Die "Bar jeder Sicht" ist seit zwanzig Jahren der Anlaufpunkt für die queere Community in Mainz. Sie ist nämlich nicht nur eine Bar, sondern bietet auch Kulturveranstaltungen an und berät Menschen - zum Beispiel rund um ihr Coming-out.
Für Chey Schulmerich war der erste Besuch in der "Bar jeder Sicht" vor etwa zwanzig Jahren wie eine "Horizont-Erweiterung". Chey war in einem kleinen Dorf im Hunsrück aufgewachsen und 2003 nach Mainz gezogen. Schnell ging Chey dann auch zum ersten Mal in die damals neu eröffnete "Bar jeder Sicht".
Das Coming-out hatte Chey damals zwar schon. "In Mainz habe ich aber zum ersten Mal queere Menschen persönlich kennengelernt", erzählt Chey. Und nicht nur - wie bis dahin - in Filmen oder anderen Medien. Chey habe sich dann auch selbst eine Zukunft als queerer Mensch vorstellen können.
In der "Bar jeder Sicht" in Mainz muss sich niemand erklären
Chey bezeichnet sich selbst als trans*. Menschen wie Chey fühlen sich nicht dem Geschlecht zugehörig, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Die "Bar jeder Sicht" sei ein Ort, an dem man nicht das Gefühl habe, sich erklären zu müssen, sagt Diana Gläßer aus dem Vorstand der Bar. "Es ist ein Ort, an dem man Menschen trifft, mit denen man sich identifizieren kann. Und das ist einfach etwas Wunderbares."
Außerdem sei die Bar ein "safe space" vor der queer-feindlichen Welt draußen, so Gläßer. Und so gibt es in der "Bar jeder Sicht" neben Kulturveranstaltungen wie Diskussionsrunden, Lesungen und wechselnden Ausstellungen auch Treffen von fast 30 Gruppen aus der queeren Community und Beratungsangebote. Diese würden auch immer stärker nachgefragt.
Beratungsangebote: Größerer Zulauf an Trans*-Menschen
Durch den Zulauf bei den Beratungsangeboten können die Verantwortlichen laut Diana Gläßer auch gut abschätzen, welche Themen die Gesellschaft gerade bewegen. "Wir haben aktuell einen hohen Zulauf an Trans*-Menschen, die für sich oftmals schon ganz klar sagen können, dass sie transgeschlechtlich sind. Aber die Frage ist: Was passiert, wenn ich mich in der Schule oute? Oder was passiert, wenn ich mich bei meinem Arbeitgeber oute?"
Soziale Medien schaffen mehr Sichtbarkeit für die "Bar jeder Sicht"
Allgemein habe sich die Bar in den vergangenen zwanzig Jahren aber auch mehr zu einem Treffpunkt für alle Menschen in Mainz entwickelt. Gläßer schätzt, dass die Bar durch das Internet und die sozialen Medien mehr Sichtbarkeit bekommen habe. "Dadurch sehen die Menschen, was in der Bar passiert. Und das hat man vor zwanzig Jahren eben nicht gesehen, als man hierher gekommen ist und vor der Tür gestanden hat und sich gefragt hat: Wer mag jetzt da drin sein?!"
Denn solche Ängste gebe es auch, sagt Gläßer. "Vielleicht weil man aus den 60er- bzw. 70er-Jahren noch Schwulen-Bars kennt, wo eine Gesichtskontrolle stattgefunden hat."
In dieser Zeit habe dieses Konzept auch seine Berechtigung gehabt, die "Bar jeder Sicht" stehe aber für Sichtbarkeit, so Gläßer. "Durch soziale Medien kann man jetzt noch besser sehen, was hier los ist, wer da ist und wer sich dafür einsetzt." Gläßer geht davon aus, dass es dadurch in den letzten zwanzig Jahren auch mehr Gäste in die "Bar jeder Sicht" gezogen hat.
Nach Corona-Zeit: Menschen suchen Gesellschaft in der "Bar jeder Sicht"
Chey Schulmerich arbeitet seit ein paar Jahren auch ehrenamtlich in der Bar. Dabei hat Chey beobachtet, dass gerade nach der Corona-Zeit viele neue Gäste dazugekommen seien. "Es sind ganz viele Menschen gekommen und haben sich an die Theke gesetzt, bei denen man gemerkt hat, dass sie einfach ein soziales Umfeld brauchen. Das sind sicher nicht alles nur homosexuelle oder transidente Menschen. Sondern einfach Menschen, die Gesellschaft suchen."
Für solche Menschen sei die Bar genau der richtige Anlaufpunkt, schließlich gebe es auch offene Angebote, wie zum Beispiel Spieleabende. "Gerade nach Corona habe ich gemerkt, dass das ganz gemischt war, von den Leuten, die hergekommen sind."
"Bar jeder Sicht" sucht neue Räumlichkeiten
Und so berichten sowohl Chey Schulmerich als auch Diana Gläßer, dass die Bar wegen des hohen Zulaufs mittlerweile eigentlich aus allen Nähten platzt. Der Verein sucht deshalb aktuell nach neuen größeren Räumlichkeiten. Konkretes gebe es aber noch nicht, sagt Gläßer.
Das 20-jährige Jubiläum in diesem Jahr wird deshalb erstmal in den "alten" Räumen der Bar in der Hinteren Bleiche gefeiert: Am Mittwochabend in einer kleinen Runde mit Förderinnen, Förderern und Vereinsangehörigen und am 7. September dann noch mit einem Straßenfest vor der Bar.
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