Podiumsdiskussion mit Wissenschaftlern

Forschung zu Raubkunst in Mainzer Museen

Stand
Autor/in
Golo Schlenk

Gemälde, Bücher oder Statuen: Die Liste von geraubten Kunstwerken aus der Nazi- oder Kolonialzeit ist lang, auch in Mainz. Forscher zeigten am Samstag, womit sie sich aktuell befassen.

Es ist ein unscheinbares Büchlein, das vor zwei Jahren die Neugier der Mainzer Provenienzforscherin Nathalie Neumann geweckt hat. Die Wissenschaftlerin des Instituts für Kunstgeschichte an der Uni Mainz entdeckte es in der Universitätsbibliothek. Das Werk trägt den unscheinbaren Namen "William Cohn: Ostasiatische Porträtmalerei". Es wurde im Jahr 1922 verfasst und war bis zum Zweiten Weltkrieg im Besitz des Mainzer Teppichhändlers und Kunstsammlers Felix Ganz.

Besitzer wegen jüdischen Glaubens ermordet

Die Nazis enteigneten ihn wegen seiner jüdischen Herkunft und ermordeten ihn und seine Frau Erna im Jahr 1944. Das Buch landete irgendwann in den Beständen der Johannes Gutenberg-Universität. Dort fristete es jahrzehntelang sein unscheinbares Dasein - bis Nathalie Neumann auf seine Spuren stieß. Die Wissenschaftlerin befasst sich in ihrem Forschungsprojekt mit der "Rekonstruktion und Lokalisierung der privaten Kunstsammlung des Teppichhändlers Felix Ganz".

Uni gibt Buch an Urenkel zurück

Das Buch wurde kurz nach dem Fund ohne bürokratischen Aufwand an den Urenkel von Felix Ganz, Adam Ganz, zurückgegeben. Auch er beschäftigt sich mit der so genannten Provenienzforschung, also dem Aufspüren von Raubkunst. Und er war einer der Gäste bei der Podiumsdiskussion im Mainzer Landesmuseum. Sie fand anlässlich des Internationalen Tages der Provenienzforschung statt.

"Aus der Nazi-Zeit gibt es kein Quellen-Material."

Auch das Landesmuseum in Mainz betreibt ein eigenes Forschungsprojekt. Es geht dabei um Exponate, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ins Museum kamen. Eigentlich werden Neuerwerbungen im so genannten Inventarbuch eingetragen und genau erläutert. Aber "aus der Nazi-Zeit gibt es offensichtlich kein Quellenmaterial", erklärt Projektleiterin Dorothee Glawe. Das Inventarbuch nennen sie am Landesmuseum deshalb vielsagend "Fledder-Inventar".

25 verdächtige Exponate im Landesmuseum

Im Landesmuseum Mainz stammen aktuell 370 Exponate aus der Nazi-Zeit. Nach den bisherigen Forschungen nach ihrer Herkunft sind nur 94 von ihnen nachweislich unbedenklich, so Glawe. Mindestens 25 sind verdächtig, und zwei Stücke wurden zweifelsfrei als Raubkunst identifiziert, darunter ein Gemälde, das bald den Eigentümern bzw. ihren Nachfahren übergeben werden soll.

Kunsthandwerk aus Kamerun an Museen verkauft

Von Raubkunst mit anderem Hintergrund berichtete die Wissenschaftlerin Anna-Maria Brandstetter vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Uni Mainz. Sie forscht zu dem vor dem Ersten Weltkrieg in Kamerun tätigen Händler Adolf Diehl aus Oppenheim. Er ließ Anfang des 20. Jahrhunderts in Afrika Kunsthandwerk herstellen und verkaufte es an deutsche Museen. Brandstetter zeigte eine der Masken, die aus afrikanischem Besitz stammen.

Wertvolle Gläser vom Bau der Bagdadbahn

Und auch das LEIZA, das Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz, beteiligte sich an der Podiumsdiskussion. Zwei Forscher berichteten von antiken Gläsern, die vor rund 110 Jahren beim Bau der Bagdadbahn im Nahen Osten entdeckt und nach Mainz gebracht worden waren.

Die Besucherinnen und Besucher konnten nach der etwa einstündigen Diskussion im Landesmuseum Fragen stellen und die etwa zehn Original-Exponate anschauen.

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