Vergewaltigung, anzügliche Mails, ungebetene Nacktbilder - wer sexualisierte Gewalt erlebt, wendet sich immer häufiger an eine Beratungsstelle. Das zeigt auch der Jahresbericht des Mainzer Frauennotrufs für 2022.
"Bist du das auf dem Bild hier?" Auf den ersten Blick ein harmloser Satz. Wenn man aber als junges Mädchen nur in Unterwäsche bekleidet auf diesem Foto zu sehen ist, bekommt der Satz eine ganz andere Dimension. Gerade dann, wenn das Bild eigentlich nur für den Freund bestimmt war, er es aber nun in der ganzen Schule verbreitet.
Knapp 300 Betroffene suchten Hilfe beim Mainzer Frauennotruf
Mit diesen und vielen anderen Formen der sexualisierten Gewalt haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Frauennotrufs in Mainz im vergangenem Jahr täglich auseinandergesetzt. In den meisten Fällen wurden die Betroffenen vergewaltigt, sexuell genötigt oder erfuhren sexuelle Gewalt im Internet oder am Arbeitsplatz.
Auch Männer wenden sich an Frauennotruf
Insgesamt kamen über 280 Betroffene in die Beratungsstelle - überwiegend Frauen und Mädchen. Es waren aber auch zehn Männer darunter, denn auch Männer erfahren sexualisierte Gewalt. Außerdem wurden auch Fachkräfte und Vertrauenspersonen, beispielsweise an Schulen, beraten. Insgesamt wurden 2022 so viele Menschen beraten wie noch nie, sagen die Verantwortlichen des Mainzer Frauennotrufs.
Dass die Zahl der Beratungen zunimmt und sich somit mehr Menschen Hilfe suchen, liegt laut Anette Diehl vom Frauennotruf in Mainz aber nicht daran, dass es zu mehr Gewalt kommt. Vielmehr werde inzwischen für das Thema sensibilisiert. "Die Gewalt gab es schon immer, es wird nur mehr drüber gesprochen."
Betroffene von sexualisierter Gewalt fühlen sich mehr im Recht
Durch Bewegungen wie beispielsweise die #MeToo-Bewegung und deren mediale Aufmerksamkeit, würde das Thema der sexualisierten Gewalt zunehmend in den Mittelpunkt von gesellschaftlichen Diskussionen gestellt. Auch in Büchern oder Filmen finde das Thema und die Verurteilung dessen immer mehr Präsenz. So würden Betroffene mehr dafür sensibilisiert werden, dass sie das Recht darauf hätten, Hilfe zu holen und dass diese Hilfe auch wirklich etwas nutze, so Anette Diehl.
Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz
Im vergangenen Jahr hat der Frauennotruf zudem verstärkt auf das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aufmerksam gemacht. In rund 22 Workshops und Fortbildungen wurden Beschäftigte und Führungskräfte geschult und für das Thema sensibilisiert. Über dieses Angebot und die positiven Rückmeldungen ist Annette Diehl sehr glücklich. Denn gerade am Arbeitsplatz seien die zwischenmenschlichen Verhältnisse zusätzlich an Berufliches gebunden, was den Umgang mit sexuellen Vorfällen nicht einfacher mache.
Hilfe für junge Mädchen
Zudem ging das Projekt „Mädchen und junge Frauen im Frauennotruf Mainz“ an den Start. Das Angebot richtet sich gezielt an junge Mädchen ab einem Alter vom 12 Jahren. Ihnen sollen niedrigschwellige Angebote wie beispielsweise der Kontakt über den Messenger-Dienst Signal dabei helfen, schneller Unterstützung zu finden und Beratungen zu bekommen.
"Vielen Mädchen ist noch nicht klar, was ihnen da passiert ist. Aber sie merken sehr wohl, dass es ihnen schlecht geht", so Anette Diehl. Ihr sei es enorm wichtig, dass man den Mädchen frühzeitig zur Seite steht und sie bestärkt. Denn: Dass der Ex-Freund ein intimes Fotos in der Schule herumschickt, sei in keinem Fall die Schuld des Mädchens.
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