Muss die A643 zwischen Mainz und Wiesbaden tatsächlich 6-spurig ausgebaut werden? Die EU-Kommission hat Fragen dazu gestellt, die nahelegen, dass sie nicht davon überzeugt ist.
Die EU-Kommission hat Zweifel daran geäußert, dass die Autobahn 643 zwischen Mainz und Wiesbaden sechsspurig ausgebaut werden muss. Ein entsprechendes Schreiben mit kritischen Fragen aus dem Juli 2022 liegt dem SWR vor. Die Kommission regt stattdessen an, andere Möglichkeiten zu prüfen.
Eine Option wäre laut EU, den Standstreifen bei hohem Aufkommen für den Verkehr freizugeben. Das sei durch ein Ampelsystem einfach zu realisieren. Außerdem sei ein strengeres Tempolimit nicht ernsthaft geprüft worden. Das könnte zur Folge haben, dass die Spuren weniger breit angelegt werden müssen und die Autobahn daher weniger breit ausgebaut werden muss. Und schließlich seien bei der Planung nicht genug Ausgleichsflächen für die gefährdeten Arten berücksichtigt worden.
Standstreifennutzung laut LBM nicht praktikabel
Der Landesbetrieb Mobilität (LBM) hat der EU-Kommission geantwortet. Auch dieses Schreiben liegt dem SWR vor. Die Variante mit vier Fahrspuren und optionaler Standstreifennutzung (4+2-Variante) habe zu viele Nachteile, schreibt der LBM. Auf dem Abschnitt der A643 gebe es zu viele Auf- und Abfahrten, durch die der Standstreifen regelmäßig unterbrochen werde. Dieser könne daher nicht durchgängig als optionaler Fahrsteifen genutzt werden.
Außerdem müsse die Autobahn auch für die 4+2-Variante verbreitert und zusätzlich Nothaltebuchten eingerichtet werden. In der Folge würde fast genau so viel an neuer Fläche versiegelt wie bei einem vollständigen Ausbau mit sechs Spuren.
Und schließlich müssten für eine dynamische Verkehrsführung neue Anzeigen aufgebaut, unterhalten und rund um die Uhr betreut werden. Das bedeute zusätzlichen Aufwand. Der LBM befürwortet daher auch weiterhin einen sechsspurigen Ausbau der A643 – auch mit Blick auf die zunehmende Verkehrsentwicklung.
Ausbau der A643 hängt von EU-Entscheidung ab
In einem nächsten Schritt wird die EU-Kommission mitteilen, ob sie von diesen und weiteren Argumentationen des LBM überzeugt ist. Von dieser Entscheidung hängt ab, ob und wie die A643 ausgebaut werden darf.
Von diesem Ausbau ist der Mainzer Sand betroffen. Das ist ein ökologischer Schatz in Mainz, in dem viele bedrohte Arten heimisch sind. Der Mainzer Sand ist ein europäisches Schutzgebiet. Deshalb muss Brüssel zwingend grünes Licht geben, bevor die Bagger anrollen und die ersten Arbeiten an der Autobahn beginnen.
Gibt es dieses grüne Licht nicht und die Bagger kommen trotzdem, dann riskiert Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren von der EU. Das kann darin enden, dass Deutschland Strafzahlungen nach Brüssel überweisen muss.
Der Landesbetrieb Mobilität und das Verkehrsministerium in Rheinland-Pfalz haben sich auf SWR-Anfrage nicht zu dem Thema geäußert.
Naturschutzbund: Ausbau ist Projekt aus vorigem Jahrhundert
Der Naturschutzbund Mainz hat den kritischen Fragenkatalog der EU begrüßt. Sein Vorsitzender Christian Henkes sagte dem SWR: "Ich habe angesichts dieses Papiers große Zweifel, dass dieses Projekt so kommt, wie es sich unsere Planungsbehörden in Deutschland vorstellen. Unserer Einschätzung nach soll hier ein Projekt des vorigen Jahrhunderts verfolgt werden. Und neuere Lösungen, die Natur und Verkehr genauso bedienen würden, werden gar nicht verfolgt."
Tabea Rößner: Hoffe auf Einsicht, dass der Eingriff "nicht begründbar" ist
Abgeordnete der Grünen sprachen sich am Sonntag bei einem Rundgang mit Naturschutzverbänden erneut für eine sogenannte 4+2-Regelung aus. Dabei soll die Autobahn - nicht wie vom Bund geplant - sechsspurig ausgebaut werden. Stattdessen sollen bei hohem Verkehrsaufkommen die beiden Standspuren auf der A643 genutzt werden. Die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner begrüßte die kritischen Fragen der EU-Kommission zum geplanten Autobahnausbau im Mainzer Sand. Für diese sei nun das Bundesumweltministerium zuständig. "Und die erwarten jetzt eine ordentliche Begründung von Seiten des Landes", so Rößner. Sie hoffe, dass dann die Einsicht herrsche, dass dieser Eingriff "überhaupt nicht mehr begründbar" sei.