Vor einem Jahr sorgte die Gräfenau-Grundschule in Ludwigshafen bundesweit für Aufsehen, weil fast 40 Erstklässler wiederholen mussten. Nach den Sommerferien geht es diesmal für 37 Erstklässler wieder zurück in die erste Klasse.
Die Erstklässler, die wiederholen müssen, können zu wenig Deutsch und haben deshalb Probleme beim Lesen, Schreiben oder Rechnen.
"Es ist nicht schön, wenn man schlechte Noten geben muss", sagt Lehrerin Eva-Maria Wenz. Sie unterrichtet an der Ludwigshafener Gräfenau-Grundschule eine erste Klasse. Fünf der insgesamt 22 Kinder in der Klasse werden nach den Sommerferien nochmal neu starten.
Wiederholen erhöht die Chance auf Schulerfolg
Bei einigen hat Lehrerin Eva-Maria Wenz das kommen sehen. Andere, von denen sie zuerst dachte, dass ihre Sprachprobleme zu groß sein könnten, haben sich toll entwickelt, sagt sie. "Natürlich ist es nicht schön, wenn man den Kindern sagen muss. Es ist besser, wenn du jetzt nochmal ein Jahr wiederholst. Da kannst du gut Deutsch lernen, damit du dann eine gute Basis hast, um in dein Schulleben zu starten". Aber es sei keine Schande, ein Jahr länger in der Schule zu bleiben.
Und für die Kinder fühle es sich auch nicht wie eine Niederlage an. Sie hätten das ganze Schuljahr über ja bereits zum Teil andere, auch leichtere Aufgaben bekommen, als die Mitschüler. Und gemerkt, dass es bei ihnen nicht so einfach läuft wie bei den anderen. Und jetzt würden sie sich sogar auf die neue Chance freuen. "Zwei sind auch glücklich, weil sie zusammenbleiben dürfen. Einer freut sich auf seine neue Lehrerin, weil er die schon durch die Schwester kennt".
Gräfenauschule wurde 2023 bundesweit bekannt
Bereits im Schuljahr 2022/23 hatte die Direktorin der Gräfenauschule Ludwigshafen, Barbara Mächtle, öffentlich Hilfe eingefordert - und damit bundesweit Aufsehen erregt: Damals waren es 39 Kinder, die die erste Klasse freiwillig wiederholten. Mächtle machte damals darauf aufmerksam, dass die Lehrerinnen und Lehrer es nicht mehr schafften, den vielen Kindern gerecht zu werden, die ohne oder mit nur sehr wenig Deutsch-Kenntnissen in die erste Klasse kommen.
"98 Prozent der Kinder an unserer Schule haben Migrationshintergrund", sagte Barbara Mächtle damals. Und viele von ihnen bräuchten Förderunterricht - vor allem an der deutschen Sprache hapere es. Viele der Kinder hatten zuvor nur kurz oder gar nicht eine Kita besucht.
Noch ein weiter Weg
Das Land Rheinland-Pfalz hatte deshalb zu Beginn des jetzigen Schuljahrs sechs Wochen lang Lehramtsstudierende an der Gräfenauschule eingesetzt. In kleinen Gruppen konnten die Kinder, die Probleme hatten, so Deutsch, Mathematik oder auch Motorik trainieren und individuelle Übungen bekommen.
"Die Kollegen fanden sich sehr unterstützt. Die Kinder haben davon profitiert, weil sie vielleicht das eine oder andere besser verstanden haben, was sie für den Rest des Schuljahres benötigen. Und die Studenten haben viele Erfahrungen sammeln können", sagte Direktorin Barbara Mächtle nach dem Abschluss des Projekts. Sie kritisierte aber auch, dass es mit lediglich sechs Wochen Unterstützung für die Schulkinder nicht getan sei.
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Ludwigshafen bekommt Familiengrundschulzentren
Im Februar entschied der Stadtrat Ludwigshafen, dass vier Grundschulen ein sogenanntes Familiengrundschulzentrum bekommen sollen -darunter auch die Gräfenauschule. Sozialarbeiter sollen dabei die Schulleitung entlasten, Anlaufstelle für Eltern sein und soziale Hilfsangebote vermitteln. Finanziert werden die Zentren vom Land Rheinland-Pfalz, der Stadt und einer privaten Stiftung.
Schulleiterin Barbara Mächtle zieht am Ende des Schuljahrs jetzt eine Bilanz und sagt: "Trotz allem - es hat sich nichts großartig geändert." Zufrieden sei sie damit, dass es den Deutsch-Förderunterricht kontinuierlich zwei Stunden am Tag gegeben habe.
Deutschunterricht muss schon in der Kita starten
Aber wenn man dauerhaft verhindern wolle, dass viele Kinder die 1. Klasse wiederholen müssen, dann "muss man logischerweise vor der Schule ansetzen, denn wenn die Kinder in der 1. Klasse sind und kein Deutsch sprechen, dann schaffen sie es oftmals nicht". Mangelnde Deutschkenntnisse wirken sich auf alle anderen Fächer aus, sagt Mächtle.
Doch die Sprachförderung bereits in der Kita ist nur punktuell möglich, sagt Claudia Theobald, die Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Kita-Fachkräfteverbandes. Im Kita-Alltag bleibe dafür meist kaum Zeit - es mangele ganz einfach am Personal.
Das Bildungsministerium ist in der Pflicht
Der Fehler liege im System, kritisiert die Vorsitzende des Philologenverbands der Gymnasiallehrer in Rheinland-Pfalz, Cornelia Schwartz. Die Methode, wie das Bildungsministerium "Deutsch als Fremdsprache" vermittle, sei falsch. Das Bildungsministerium stelle sich vor, fremdsprachige Kinder würden Deutsch lernen, indem sie es einfach "aufsaugen". Dabei gehe das Ministerium davon aus, dass diese Kinder ständig von Deutsch umgeben sind und nur eine Art “Sprachbad“ nehmen müssen. Für die Ludwigshafener Gräfenauschule sei dieses Vorgehen fast Hohn - dort gebe es außer den Lehrern kaum deutsche Muttersprachler.
Gräfenauschule Ludwigshafen - wie gehts weiter?
In der Gräfenauschule hofft Schulleiterin Barbara Mächtle jetzt erst mal, dass der Deutsch-Förderunterricht im neuen Schuljahr so weiterlaufen kann. Lehrerin Eva-Maria Wenz blickt positiv aufs Schuljahr zurück: Auch, wenn jetzt fünf ihrer Erstklässler noch mal wiederholen werden, sei es ein gutes Schuljahr gewesen: "Ich sehe bei jedem Kind die einzelne, individuelle Entwicklung. Und ich weiß, dass die Kinder so viel dazu gelernt haben."
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