Bei dem Brand eines mehrstöckigen Wohnhauses in der Ludwigshafener Innenstadt starben am 3. Februar 2008 neun Menschen. Wir blicken zurück.
Es ist die größte Brandkatastrophe in der Stadt Ludwigshafen nach dem Zweiten Weltkrieg: Bei dem Brand eines mehrstöckigen Wohnhauses am Danziger Platz in der Innenstadt sterben am 3. Februar 2008 neun Menschen. Unter den Todesopfern sind vier Frauen und fünf Kinder, alle mit türkischen Wurzeln. Mehr als 40 Menschen aus dem Haus werden zum Teil schwer verletzt.
Brandkatastrophe in Ludwigshafen: Betroffene leiden noch heute
Das traumatische Erlebnis verfolgt viele Betroffene bis heute - sowohl Überlebende, die damals in dem Haus wohnten, als auch Feuerwehr- und Einsatzkräfte. Einige Wunden sind immer noch nicht verheilt. Bewohner Kamil Kaplan verliert durch das Feuer acht Familienangehörige, darunter seine Frau und mehrere seiner Kinder.
Feuer bricht nach Fastnachtsumzug aus
Das Feuer bricht kurz nach dem gemeinsamen Fasnachtszug von Ludwigshafen und Mannheim aus, der direkt an dem Haus vorbeiführte. In wenigen Minuten breitet sich der Brand vom Keller bis zum Dachstuhl aus. Für viele Bewohner ist der Weg durch das Treppenhaus abgeschnitten. Einige versuchen sich durch die Fenster in den oberen Etagen zu retten. Auch Kamil Kaplan, der wegen Kinderlähmung im Rollstuhl sitzt.
Spektakulär ist die Rettung eines Babys: Der nur wenige Monate alte Junge Onur wird von seinem Onkel Kamil Kaplan aus dem dritten Stock absichtlich fallen gelassen und landet wohlbehalten in den Armen des Polizeibeamten Uwe Reuber. Der erinnert sich: "Das vergesse ich nie. Der hatte pechschwarze Augen, der Kamil. Wir sind aus Leibeskräften am Hochrufen: 'Nein, nein, nein, mach es nicht, mach es nicht!' Ich habe diese Augen gesehen. Ich wusste: Er lässt ihn fallen. Er hat ihn nicht geworfen, er hat ihn fallenlassen, den kleinen Mann." Das Foto wird zum Symbol der Katastrophe.
Viel Wut und offene Fragen
Der Brand war unter der Kellertreppe ausgebrochen, eine genaue Ursache ist bis heute nicht ermittelt. Obwohl die Einsatzkräfte schon nach wenigen Minuten vor Ort sind und so Schlimmeres verhindern, schaukeln sich in Teilen der türkischen Bevölkerung die Anfeindungen hoch. Der Vorwurf: Die Feuerwehr sei nicht schnell genug vor Ort gewesen - absichtlich. Einige bespucken und beschimpfen die Feuerwehrleute sogar. Aus den Rettern werden plötzlich Beschuldigte. Feuerwehrmann Stefan Limburg erinnert sich: "Man hat uns unterstellt, wir wüssten, dass dort Migranten wohnen, wir hätten bewusst langsamer gemacht. Also solche Vorwürfe kannten wir bis dahin nie und es war in einem Ausmaß, das konnten wir gar nicht verarbeiten."
Schnell lösen falsche Verdächtigungen und Spekulationen einen Medienrummel aus: Wie konnte am helllichten Tag ein Wohnhaus mitten in der Stadt einfach ausbrennen? Auch die Theorie eines rechtsextremen Anschlags kursiert - vor allem in türkischen Medien. Zunehmend wird Misstrauen gegenüber der deutschen Polizei gesät. Das schürt Ängste und heizt die Stimmung in der türkischen Community in Ludwigshafen an.
Brandkatastrophe wird zur Polit-Affäre
Der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) will sich selbst ein Bild von der Lage machen und die Gemüter in Ludwigshafen beruhigen. Beck verkündet - nach Rücksprache mit den Behörden - vorschnell vermeintliche Ergebnisse. Es gebe keinerlei Hinweise auf ein Verschulden Dritter oder auf eine fremdenfeindliche Tat. Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt hatte noch keine Branduntersuchung stattgefunden, denn das Haus ist stark einsturzgefährdet. Noch am gleichen Tag stellt die Staatsanwaltschaft fest, es könne keine Brandursache ausgeschlossen werden - auch ein Anschlag nicht. Beck erntet anschließend Kritik für seine Aussagen.
Auch international sorgt der Brand in Ludwigshafen für Aufsehen. Der damalige türkische Ministerpräsident Erdogan schaltet sich ein und reist nach Ludwigshafen. Er sieht Parallelen zu anderen rechtsextremen Brandanschlägen in Deutschland, wie etwa in Solingen 15 Jahre zuvor. Er schickt eigene Ermittler aus der Türkei. Die Sorge ist groß, dass Erdogan, der auf Wahlkampftour ist, die Stimmung weiter verschärft. Doch vor der Brandruine ruft er zur Mäßigung auf und würdigt auch die Arbeit der Ludwigshafener Einsatzkräfte.
War es Brandstiftung?
Die zuständige Staatsanwaltschaft geht auch der Spur eines mutmaßlichen Brandstifters nach. Umfangreiche Ermittlungen ergeben jedoch: Das Feuer ist fahrlässig verursacht worden. Die damaligen Ermittler haben den Verdacht eines rechtsradikalen Anschlag nicht definitiv ausgeschlossen. Es gab aber auch umgekehrt keine Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund, sagte der heute Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber dem SWR.
Vermittlungsversuche: Feuerwehrmann Murat Isik wird geehrt
Auch Feuerwehrmann Murat Isik, der selbst türkische Wurzeln hat, ist bei dem Brand im Einsatz und versucht zwischen türkischstämmigen Anwohnern und Einsatzkräften zu vermitteln. Er wirbt um Verständnis für seine Kollegen bei der Feuerwehr und deren schwierige Arbeit, und hört gleichzeitig den betroffenen und besorgten Menschen vor Ort am Danziger Platz zu, setzt sich für ihre Belange ein, leistet Beistand. Für seinen Einsatz wird Isik 2009 mit der Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Er habe entscheidend zur Deeskalation nach dem Brand beigetragen, heißt es. Die Erlebnisse sind für Isik zudem Anlass einen Hilfsverein zu gründen, der sich bis heute in vielen Projekten um Menschen in Not auf der ganzen Welt kümmert.
Was bleibt nach 15 Jahren?
Auch 15 Jahre nach dem traumatischen Erlebnis hat die Zeit nicht alle Wunden geheilt. Aber sie hat neue Wege gebahnt und tiefe Freundschaften entstehen lassen. Zwischen Kamil Kaplan und dem Polizisten Uwe Reuber. Zwischen Ludwigshafen und der türkischen Stadt Gaziantep ist eine bis heute andauernde Städtepartnerschaft entstanden. Viele der Brandopfer stammen ursprünglich von dort. Außerdem, so Feuerwehrmann Murat Isik, sei nach dem Brand 2008 das Thema Migration und Integration in der Stadt Ludwigshafen viel stärker in den Fokus gerückt und habe viele Projekte erst möglich gemacht.
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Sendehinweis: ARD-Doku
ARD-Doku "Feuerkinder – Über Leben nach der Katastrophe" - seit 20. Februar in der ARD-Mediathek