"Nehmen Sie die Wahl an?" Eigentlich der Inbegriff einer rhetorischen Frage, oder? Nicht so in Freisbach in der Südpfalz: Kurz nach der Wahl haben die ersten Gemeinderäte ihr Amt schon wieder abgegeben.
Die Turnhalle in Freisbach (Kreis Germersheim) am Dienstagabend: Unter dem Basketballkorb wurden ein paar Tische zu einem Halbrund zusammengeschoben. Davor steht Andrea Matz: Sie wird in wenigen Minuten hier zur Gemeinderätin ernannt. Vorfreude sieht anders aus: Sie hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, ob sie die Wahl noch einmal annehmen soll, sagt sie. "Ich hatte schlaflose Nächte", erzählt sie: "Meine Familie findet das auch nicht wirklich gut, dass ich das Amt annehme, obwohl ich ja gesagt habe: Wenn sich nichts ändert, mach ich das nicht." Aber sie wolle das Dorf nicht hängen lassen.
Freisbach: durch Rücktritt bundesweit in die Schlagzeilen
Sie und Wiebke Siedorf gehören zu den Gemeinderäten, die im Sommer zurückgetreten sind, um dem Land zu zeigen: Wir brauchen mehr Geld, um alles zu schaffen, was wir schaffen sollen. Der Knall wurde bundesweit gehört und diskutiert. Freisbach ist auf dem besten Weg ein Synonym für die Unzufriedenheit vieler Kommunen mit der Finanzpolitik des Landes zu werden.
Und doch nehmen Andrea Matz und Wiebke Siedorf an diesem Abend wieder unter dem Basketballkorb Platz und warten auf den Handschlag, der sie offiziell zum Gemeinderat verpflichtet. "Zähneknirschend die Wahl annehmen", nennt das Wiebke Siedorf: "Man will eigentlich nicht, aber macht es dann doch, um Gespräche führen zu können. Wir müssen da konstruktiv bleiben."
Kaum gewählt, schon wieder zurückgetreten
Das sehen nicht alle so. Zwei der neu gewählten Ratsmitglieder haben bereits im Vorfeld die Wahl abgelehnt, zwei weitere treten im Laufe des Abends zurück: Frank Raach steht gleich zu Beginn der Sitzung auf. Es sei ja "nichts Zählbares" aus Mainz gekommen. Heißt: Es hat sich aus seiner Sicht nichts an der Situation geändert, wegen der er und die anderen im Sommer zurückgetreten sind. Dem SWR sagt er später, er hätte sich zumindest gewünscht, dass jemand von der Landesregierung an diesem Abend vorbeikommt, um ihnen Möglichkeiten für Lösungen aufzuzeigen. "Wir sind doch hier auch alle Haushaltslaien. Und das sind die Profis. Von denen müssten doch Vorschläge kommen. Das ist doch quasi deren Beruf." Stattdessen sitze der Gemeinderat wieder alleine hier.
Gemeinderäte in Freisbach haben sich mehr erhofft
Ilknur Dogan hat zwar einen schriftlichen Rücktritt vorbereitet, sich aber noch nicht entschieden. Man sieht ihr an, dass sie mit sich kämpft, während der Sitzungsleiter bereits langsam das Rund abschreitet, und die anderen Räte per Handschlag verpflichtet. Und dann geht sie doch nach vorne, zieht einen Brief aus der Tasche und erklärt so ebenfalls ihren Rücktritt.
Sie sei davon ausgegangen, dass es an diesem Abend vielleicht etwas zu hören gäbe, wie es weitergehen könnte: "Zahlen, Daten, Fakten. Aber das ist doch alles wieder ein Rumgeeier. So sagt man das in der Pfalz." Die Wähler wüssten, wie sie ist. Deswegen sei sie gewählt worden, und deswegen müsse sie ihr Mandat auch erneut niederlegen.
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Es bleibt spannend in Freisbach
Das Land habe erst abwarten wollen, bis es einen neuen Ansprechpartner im Ort gebe, sagt der parteilose neue Ortsbürgermeister Jochen Ricklefs: Deswegen habe es auch heute nichts zu verkünden gegeben. Er lächelt viel, wirkt gelassen, gibt sich aber keinen Illusionen hin: "Einen ausgeglichenen Haushalt haben wir nicht, den hatten wir auch die letzten Jahrzehnte nicht. Allein der Kindergarten frisst schon mehr Geld, als wir über Steuern einnehmen. Wo die Gelder herkommen sollen, oder wo sie weniger weggehen – das wird man sehen. Ich bin gespannt."
Er hofft jetzt auf einen Gesprächstermin mit der Landes-Aufsichtsbehörde ADD, die für Finanzen zuständig ist. Der Gemeinderat sei auch trotz der Abgänge handlungsfähig. "Jetzt geht´s los!", sagt Ricklefs - und muss lachen.
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