In Neuwied haben am Donnerstag rund 60 Menschen mit und ohne Beeinträchtigung einen ungewöhnlichen Perspektivwechsel gewagt: Sie tauschten ihren Job. Für Konrad Ante aus dem Neuwieder Heinrich Haus ging es zur Kriminalpolizei.
Konrad Ante lebt mit Trisomie 21, dem so genannten Down-Syndrom. Am bundesweiten Aktionstag "Schichtwechsel" ist der 27-Jährige bei der Spurensicherung der Kripo in Straßenhaus bei Neuwied im Einsatz.
Ausgerüstet mit Handschuhen und einem Fotoapparat stellt er in der Polizeiwache Blutspuren und Fingerabdrücke sicher, die ein vermeintlicher Einbrecher hinterlassen hat.
Polizeihauptkommissar Patrick Marquardt und sein Team haben den Einbruch für ihren Hospitanten aus der Behindertenwerkstatt so realitätsnah wie möglich nachgestellt. "Das ist ein Tatort, wie wir ihn häufig vorfinden", erklärt er.
Professionelle Spurensicherung beim "Schichtwechsel"
Hospitant Konrad Ante sichert DNA-Spuren, rekonstruiert den Tathergang oder befragt einen möglichen Verdächtigen. Die Profi-Ermittler sind erstaunt, welche Fähigkeiten er dafür mitbringt. "Vor allem, dass Konrad in mehrere Richtungen denkt", meint Patrick Marquardt. "Das ist wichtig bei der Polizeiarbeit".
Arbeitsplatzwechsel: Vom Drogerieartikel verpacken für einen Tag zur Polizei
Konrad Ante arbeitet normalerweise in einer Werkstatt des Heinrich-Hauses in Neuwied, ein Sozialunternehmen, das mehrere Werkstätten für etwa 700 Menschen mit Beeinträchtigung im Landkreis Neuwied betreibt. Der junge Mann mit Down-Syndrom verpackt dort Drogerieartikel, die später in Supermärkten verkauft werden. Der Arbeitsplatzwechsel mache ihm Spaß, sagt er lachend. "Meine Polizeilehrer sind alle nett und höflich. Das sind Leute, mit denen man gut umgehen kann“, schmunzelt der junge Mann.
Der Kontakt zwischen Konrad Ante und der Polizei Straßenhaus kam zufällig zustande. Er habe von dem Aktionstag durch einen Bekannten erfahren, erzählt Polizist Patrick Marquard. "Bedenken oder Berührungsängste, die man vielleicht vorher gehabt hat, die waren ruckzuck weg, als Konrad heute zu uns kam."
Aktion "Schichtwechsel" soll zum Perspektivwechsel führen
Aufgrund seiner Beeinträchtigung ist es wohl ausgeschlossen, dass Konrad Ante einmal Polizeibeamter wird. Aber dennoch könnten er und andere Beschäftigte aus den Werkstätten einfache Tätigkeiten in Betrieben und Behörden übernehmen, meint Christiane Kahlert vom Heinrich Haus. Sie hat den Aktionstag "Schichtwechsel" im Kreis Neuwied organisiert und will damit vor allem in den Betrieben Vorurteile gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung abbauen.
Vorurteile gegen Menschen mit Behinderungen in Betrieben abbauen
Gerade im Zusammenhang mit dem zunehmenden Fachkräftemangel sei es wichtig darüber nachzudenken, wie beeinträchtigte Menschen Fachkräfte unterstützen könnten, etwa indem sie ihnen kleinere Arbeiten abnehmen. "Das gelingt nicht bei allen und kann auch nicht bei allen gelingen, aber doch bei einigen", meint Christiane Kahlert.
Dass ihr Engagement Früchte trägt, zeigt sich an diesem Tag in einer der Werkstätten des Heinrich Hauses. Dort haben zwei Beschäftigte aus dem Abfallbetrieb des Landkreises Neuwied ihren Schreibtischjob gegen die Arbeit an der Maschine von Konrad Ante getauscht. Margarete Bednarek kommt aus der Personalabteilung des Unternehmens und Andrea Bergholz aus der Pressestelle. Sie zeigen sich beeindruckt von ihrem Schnuppertag.
Aktion "Schichtwechsel" könnte zum Jobvermittler werden
Der "Schichtwechsel" habe sie noch einmal in ihrem Vorhaben bestärkt, künftig Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance zu geben, sagen sie. "Was zählt ist alleine die Qualifikation eines Menschen, und nicht, ob er beeinträchtigt ist", meint Margarete Bednarek. Im November werde ihr Unternehmen mit dem Heinrich Haus erste Gespräche über mögliche Job-Praktika führen.