Interview

Wie leben Juden in Kaiserslautern? Gemeinde-Chefin spricht über Alltag in der Stadt

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Autor/in
Daniel Novickij
Daniel Novickij

Wie leben eigentlich Juden in Kaiserslautern? Gemeinde-Chefin Marina Nikiforova erklärt im Interview unter anderem, was und wie Juden am sogenannten Schawuot-Fest feiern.

SWR Aktuell: Juden feiern bis Samstag Schawuot, das jüdische Erntedankfest. Auch Menschen jüdischen Glaubens in Kaiserslautern. In der Westpfalz ist vermutlich nicht jeder mit dieser Tradition vertraut. Daher die Fragen, was bedeutet Schawuot eigentlich und was genau feiern Juden an diesen Feiertagen?

Marina Nikiforova: Das Wort "Schawuot" kommt aus dem Hebräischen und bedeutet auf Deutsch übersetzt "Woche". Schawuot heißt alternativ also auch Wochenfest. Der Name hat etwas mit dem Zeitpunkt zu tun, an dem wir das Fest feiern. Schawuot findet nämlich immer genau sieben Wochen nach dem jüdischen Osterfest Pessach statt.

Porträt von Marina Nikiforova
Marina Nikiforova leitet die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, zu der auch Kaiserslautern gehört.

Wir feiern Schawuot aus mehreren Gründen. Einerseits soll das Fest daran erinnern, wie der jüdische Prophet Moses, laut den Erzählungen im Alten Testament, auf dem ägyptischen Berg Sinai eine Steintafel mit den zehn Geboten erhalten hat. Diese sind für unseren Glauben sehr wichtig. Schawuot ist für uns Juden aber auch das Erntedankfest, denn zu diesem Zeitpunkt wird in Israel Getreide geerntet. Wir bedanken uns mit dem Fest bei Gott für eine gute Ernte.

SWR Aktuell: Und wie genau feiert die jüdische Gemeinde Schawuot in Kaiserslautern?

Nikiforova: Wir schmücken unsere Synagoge in Kaiserslautern zu Schawuot mit Blumen, Getreide und Quitten. Zum Essen gibt es vor allem Milchprodukte, wie Kuchen, belegte Brötchen oder Sahnesoßen. Fleisch ist Tabu. Wir essen, beten und singen drei Tage lang gemeinsam.

Altar mit der Tora im jüdischen Gemeindehaus in der Helenenstraße in Kaiserslautern
Das ist übergangsweise der Raum, an dem die Gottesdienste der jüdischen Gemeinde in der Helenenstraße in Kaiserslautern stattfinden. Diese Räume gehörten früher zu einem portugiesischen Restaurant, das aber vor ein paar Jahren schließen musste. Seitdem werden sie von der jüdischen Gemeinde gemietet.

Außerdem werden bei den Gottesdiensten Mitglieder vom Rabbi aufgerufen, die sich in diesem Jahr besonders in der Gemeinde engagiert haben. Sie dürfen dann aus der Tora lesen. Das ist im Judentum eine große Ehre. Beim Fest sind auch alle herzlich willkommen, unabhängig von der Religion.

SWR Aktuell: Auch in diesem Jahr wird die jüdische Gemeinde Schawuot übergangsweise in den Räumen eines ehemaligen Restaurants feiern, so wie in den vergangenen zwei Jahren. Das eigentliche jüdische Gemeindehaus in der Basteigasse ist seither wegen Umbauarbeiten geschlossen. Wann können sie in ihre alte Synagoge zurückkehren?

Nikiforova: Ich hoffe, dass wir zum Jahresende unsere Gottesdienste wieder in unserem eigentlichen Gemeindehaus in der Basteigasse abhalten können. Bis dahin sollten die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Wir mussten die Synagoge kernsanieren. Es werden unter anderem neue Leitungsrohre verlegt, ein neuer Notausgang gebaut, ein neues Dach gedeckt. Auch die Decken müssen erneuert werden.

In der Synagoge in der Abteigasse wird umgebaut. Hier soll bis Jahresende der frisch renovierte Gottesdienstraum entstehen.
Im Moment ist alles noch im Umbau. Farbeimer stehen herum. Bis Jahresende soll hier der frisch renovierte Gottesdienstraum der Synagoge in Kaiserslautern entstehen. Das eigentliche Gemeindehaus wird seit knapp zwei Jahren kernsaniert.

Der Umbau wird voraussichtlich rund zwei Millionen Euro kosten. Allerdings können die Kosten noch steigen, da beispielsweise Baurohstoffe im Moment immer teurer werden.

SWR Aktuell: Wie sieht es mit der Mitgliederzahl in Kaiserslautern in der jüdischen Gemeinde aus? Gibt es zum Beispiel genug Jugendliche, die sich in der Synagoge ehrenamtlich engagieren?

Nikiforova: Ich hoffe, dass Kaiserslautern noch lange als Teil der jüdischen Gemeinde bestehen bleibt. Doch leider sieht es zurzeit nicht danach aus. Unsere Gemeindemitglieder in Kaiserslautern sind oft 50 Jahre oder älter. Diejenigen, die unsere Gottesdienste regelmäßig besuchen, sind sogar noch älter. Dort sind meist keine Jugendlichen anwesend. Viele Jugendliche ziehen für das Studium aus Kaiserslautern weg. Zurzeit sind es nur sechs, die sich ehrenamtlich in Kaiserslautern für die jüdische Gemeinde engagieren.

Ich hoffe, dass Kaiserslautern noch lange als Teil der jüdischen Gemeinde bestehen bleibt. Doch leider sieht es zurzeit nicht danach aus. Unsere Gemeindemitglieder in Kaiserslautern sind oft 50 Jahre oder älter.

Die Jugendlichen kommen, wenn überhaupt, nur an größeren jüdischen Feiertagen nach Kaiserslautern zu Besuch, wie eben jetzt zu Schawuot. Und es ist nicht leicht Nachwuchs für unsere Gemeinde zu finden. Wenn man nicht bereits als Jude geboren wurde, muss man eine langjährige Aufnahmeprüfung durchlaufen und bestehen und das ist sehr schwer.

SWR Aktuell: Juden haben aber nicht immer Grund, um zu feiern. Stichwort Antisemitismus. Auch in der Westpfalz hat es der Polizei zufolge im vergangenen Jahr einige Fälle von Antisemitismus gegeben. Zwar wenige, aber die Polizei schließt selbst nicht aus, dass es nicht mehr unbekannte Antisemitismus-Fälle in der Region gab. Wie erlebt Ihre Gemeinde als Betroffene die Situation in Kaiserslautern?

Nikiforova: Auf dem jüdischen Friedhof in Kaiserslautern werden regelmäßig Gräber beschädigt. Unser Gemeindehaus wird oft mit antisemitischen Botschaften und Symbolen wie dem Hakenkreuz beschmiert. Einem Jungen aus unserer Gemeinde wurde vor knapp einem Jahr, als er an der Haltestelle auf seinen Bus wartete, die Kippa von einer unbekannten Frau vom Kopf gerissen und auf den Boden geworfen. Es gab aber zum Glück noch keine körperlichen Angriffe auf offener Straße.

Ich habe früher immer einen Davidstern als Anhänger an meiner Halskette getragen. Ich musste meiner Mutter aber nun versprechen, dass ich das in Zukunft nicht mehr machen werde. Sie hat Angst um mich, auch weil ich oft mit dem Zug fahren muss. Ich dürfte nicht als Jüdin erkannt werden, das sei zu gefährlich. Ich trage jetzt ein anderes jüdisches Symbol an meiner Halskette. Das kennt niemand, außer den Juden selbst.

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