Behinderten-Werkstätten sollen bei der Suche eines Jobs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt helfen. Das gelingt den Trägern im Westen der Pfalz aber nur selten. Das hat Gründe.
Von Kinderfahrrädern, über Stoßdämpfer bis hin zu Bierzeltgarnituren: Produkte, die Menschen mit Behinderung in ihren Werkstätten herstellen, umgeben uns in ganz unterschiedlichen Bereichen. Viele große Unternehmen wie Mercedes-Benz, Bosch oder Siemens lassen in Behinderten-Werkstätten fertigen – für geringe Lohnkosten. Werkstatt-Beschäftigte erhalten durchschnittlich rund 1,40 Euro pro Stunde, was Kritiker auf den Plan gerufen hat. Schließlich liegt der Mindestlohn bei 12 Euro. Auch wird Werkstatt-Betreibern vorgeworfen, sie würden behinderte Menschen nur selten in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. Das bestätigt auch ein Blick auf die Zahlen in der Westpfalz.
Werkstatt-Träger im Westen der Pfalz legen Statistiken offen
Die Kimmle-Stiftung in Pirmasens beschäftigt 890 Menschen in ihren Werkstätten. Der Werkstatt-Träger hat in diesem Jahr sechs Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gebracht – also dabei geholfen, dass ein Unternehmen einen Menschen mit Beeinträchtigung sozialversicherungspflichtig anstellt.
Auf die Frage, wie gut diese Überführung in den sogenannten "ersten" Arbeitsmarkt der Stiftung gelinge, antwortet der Vorstand der Kimmle-Stiftung Marco Dobrani: "eigentlich recht gut" – vor dem Hintergrund, dass Werkstatt-Beschäftigte als erwerbsunfähig gelten.
Bund übernimmt zu einem Großteil die Lohnkosten
Die Zahlen sehen bei den Westpfalz-Werkstätten und auch den Werkstätten von Zoar in der Pfalz, dem evangelischen Diakoniewerk, ähnlich aus: Zoar beschäftigt 810 Menschen mit Behinderung und hat in den vergangenen Jahren durchschnittlich fünf Menschen jährlich einen regulären Job vermittelt – die Vermittlungsquote liegt bei 0,6 Prozent. Die Westpfalz-Werkstätten beschäftigen knapp 780 Menschen und vermitteln im Jahr etwa sechs bis sieben Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, 2023 bereits jetzt acht.
Zudem geben alle Werkstatt-Träger an, dass die Jobvermittlung fast immer über das sogenannte "Budget für Arbeit" durch den Bund gefördert wird. Will heißen: Wenn eine Firma einen Menschen mit Behinderung anstellt und einen Antrag für diese Förderung stellt, übernimmt der Bund zu einem Großteil die Lohnkosten.
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Behinderten-Werkstätten verfolgen verschiedene Ziele
Im Interview mit dem SWR betonen die Kimmle-Stiftung, Zoar und die Westpfalz-Werkstätten: Die Vermittlung von regulären Jobs sei schließlich nur eines von vielen Zielen, das die Werkstätten verfolgen. Sie müssten viele verschiedene Interessen bedenken, sagt Bettina Rivera, die bei den Westpfalz-Werkstätten den Bereich Teilhabe im Arbeitsleben leitet. Daher sei der Auftrag der Werkstätten sehr komplex, teilweise auch widersprüchlich. Auch gebe es hierzulande kein Anreizsystem für die Werkstätten, Beeinträchtigte in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Nun steht Zoar-Werkstatt-Leiter Thomas Kreck-Hövel kurz vor der Rente und nach wie vor sind viele Menschen in Werkstätten beschäftigt. Der Hauptgrund für die niedrige Vermittlungsquote ist laut den pfälzischen Werkstatt-Trägern, dass die meisten Werkstattbeschäftigen mit ihrer jeweiligen Behinderung auf dem Arbeitsmarkt gar keinen Platz finden können. Marco Dobrani spricht hier von 80 bis 85 Prozent. Die anderen 15 oder 20 Prozent würden Jobvermittler der jeweiligen Werkstatt aber auf ihrem individuellen Weg beraten.
Nur wenige Behinderte werden angestellt – Werkstatt-Träger nennen Gründe
Allerdings würden längst nicht alle Behinderten die Werkstatt tatsächlich gegen eine Anstellung bei einem Unternehmen eintauschen wollen. Manche schätzten das Umfeld und die Unterstützung einer Werkstatt. Andere hätten früher einmal auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schlechte Erfahrungen gemacht. Außerdem erhalten Menschen mit Behinderung in der Werkstatt einen Zuverdienst zur Grundsicherung oder Erwerbsminderungsrente und erwerben dort auch Rentenansprüche. Im Einzelfall erhält ein Werkstatt-Beschäftigter sogar mehr Geld am Ende des Monats, als wenn er Mindestlohn als Angestellter bekommen würde – sagen Dobrani und Rivera.
Laut den Werkstätten gibt es da noch andere Gründe für die schlechte Quote: Viele einfache Jobs fielen heutzutage weg und manche Unternehmen seien schlichtweg nicht bereit, einen behinderten Menschen anzustellen. Wenn das Unternehmen einen Werkstattmitarbeiter im "Außendienst" beschäftigt, könne es diesen im Falle des Falles unkomplizierter nach Hause schicken als in einem regulären Arbeitsverhältnis.
Und nicht zuletzt – erinnert sich der Kimmle-Stiftungsvorstand – gab es in den Werkstätten früher noch eine andere Mentalität. In der Vergangenheit sei es wohl auch mal so gewesen, dass Behinderten-Werkstätten ihre "Leistungsträger" nicht gehen lassen wollten. "Doch in den letzten 15 Jahren hat sich viel geändert", so Dobrani. "Ich predige immer: ,Wenn ein Mensch in den ersten Arbeitsmarkt will, ist das verdammt noch mal unsere Aufgabe ihn dabei zu unterstützen.'" Beispielsweise überlege man in der Geschäftsführung nun, weniger Aufträge für die "Beschichtungsabteilung" der Werkstatt anzunehmen. Denn ein Großteil der Menschen, die früher hier Bierbänke beschichtet haben, hat die Stiftung erfolgreich "wegvermittelt".
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