Jochen Hartloffs (SPD) Zeit als Stadtbürgermeister von Kusel neigt sich dem Ende entgegen. Insgesamt mehr als 30 Jahre hat er dieses Amt, war auch Landtagsabgeordneter und Justizminister. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie sich Politik verändert hat und was er heute anders machen würde.
SWR Aktuell: Herr Hartloff, nach mehr als drei Jahrzehnten endet nun bald ihre Zeit als Politiker. Wie fühlen Sie sich so kurz vor dem Ende dieser langen Strecke?
Jochen Hartloff: Mir geht es gut. Auf der einen Seite bin ich etwas entspannt, auf der anderen Seite bin ich noch mit viel Kleinkram beschäftigt, den ich gerne noch fertig machen würde, bevor dann die Amtszeit endet.
SWR Aktuell: Wie fällt Ihre Bilanz nach mehr als 30 Jahren in der Politik aus?
Hartloff: Es sind in diesem Jahr sogar 40 Jahre, dass ich hier im Kuseler Land politisch unterwegs bin. Es ist eigentlich eine positive Bilanz. Nicht alles, was man sich vornimmt, kann man in so einer Zeit bewegen - aber vieles, zum Beispiel, dass in Kusel die Tuchfabriken erhalten sind oder dass wir viele soziale Einrichtungen haben. Man hat viel mit Menschen zu tun, was ich liebe. Es ist eine positive Bilanz über ein Stück Bewegen in der Demokratie mit Ecken und Kanten, das gehört dazu. Und es gibt auch manches, was ich mit Sorgen beobachte, etwa wenn ich die Demokratieverdrossenheit mitbekomme. Aber da ist nach dieser Zeit auch eine Gelassenheit, das sind Wellen, da können wir auch wieder dagegen arbeiten. Zukunft gibt's immer!
SWR Aktuell: Es gab auch schwierige Zeiten, gerade als Ihre Zeit als rheinland-pfälzischer Justizminister in Folge der Nürburgring-Pleite endete. Gab es da in all den Jahren auch mal Phasen, in denen Sie es bereut hatten, politisch tätig zu sein?
Hartloff: Das kommt immer mal wieder vor, aber ich bin ja von Haus aus Rechtsanwalt und hatte immer meinen Beruf. Das war für mich immer ein bisschen die Sicherheit: "Ich bin mit meiner Partei nicht verheiratet. Ich bin nicht abhängig." Ich konnte unabhängig meinen politischen Weg gehen. Das ist sehr viel wert. Abhängig zu sein von Politik ist schwierig. Das sollte man nicht sein.
SWR Aktuell: Schmerzt Sie heute noch das Ende Ihrer Zeit als Justizminsiter - oder haben Sie das alles abgehakt?
Hartloff: Das ärgert mich nach wie vor. Aber den Gefallen, dass das ein Lebensärger ist, den tue ich niemandem. Ich bin auf ein paar Leistungen, die wir da bewegt haben, durchaus stolz, zum Beispiel ein sehr modernes Strafvollzugsgesetz. Ich werde immer noch von Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern eingeladen, weil wir da was in einer relativ kurzen Zeit bewegt haben. Ich hätte gerne noch ein bisschen mehr bewegt - nicht von jedem ist sowas gewünscht.
SWR Aktuell: Wenn Sie heute die Chance hätten, etwas anders zu machen - gibt es da etwas, was Sie gerne ändern würden?
Hartloff: Ach, da gibt es immer Sachen. Da gibt es auch Fehler, die man gemacht hat und die man später einsieht. Ich hätte wahrscheinlich kräftiger interveniert bei der Geschichte am Nürburgring. Da war ich ja schon nah dabei, auch wenn nicht verantwortlich. Aber man hätte vielleicht intensiver intervenieren können, um Fehler zu vermeiden. Das sind Sachen, wo man im Laufe des Lebens weiser wird.
SWR Aktuell: Sie haben die fünf vergangenen Jahre als Stadtbürgermeister in Kusel als Zugabe bezeichnet. War es eine gute Zugabe?
Hartloff: Das müssen die Wählerinnen und Wähler beurteilen. Ein bisschen ist es so in diesem Amt: Man ist in der Gefahr, im Kleinkram zu ersticken und man würde gerne noch mehr bewegen. Zum Beispiel in Richtung Konversion. Dass das so ewig zäh ist, bis eine Entscheidung fällt, wie es mit dem Gelände der ehemaligen Bundeswehrkaserne weiter geht - kommen da noch Amerikaner? Kommen sie nicht? Kann die Stadt das Gelände anders nutzen? Gibt es für so etwas Zuschüsse? Das ist schlecht, es hemmt Entwicklungen. Und so etwas ärgert mich nach wie vor. Dazu bin ich zu sehr politisch unterwegs. Andere Sachen haben wir auf einen guten Weg gebracht.
SWR Aktuell: Wie beurteilen Sie heute die Diskussionen um die Flüchtlingsunterkunft auf dem Windhof? Da hatten im Herbst ja viele Bürgerinnen und Bürger deutlich gemacht, dass es ihnen zu viele Flüchtlinge für die Größe der Stadt sind.
Hartloff: Manche Diskussionen muss man glaube ich nicht in der Art und Weise führen wie sie da öffentlich geführt werden. Da wird teilweise vergessen, dass es um menschliche Schicksale geht. Da habe ich eine ganz eindeutige Position und das gehört sich auch, wenn man politisch verantwortlich ist. Nämlich: Dass da ein Ausgleich zu finden ist und dass man bei aller Kritik an einzelnen Entscheidungen immer die Menschen im Mittelpunkt sehen muss.
SWR Aktuell: Hatte Sie die Dimension mit hunderten Menschen, die da zwei Mal auf die Straße gingen, ein Stückweit überrascht?
Hartloff: Nein, das hat mich nicht so sehr überrascht, weil es ja Anzeichen dieser Unzufriedenheit gab, weil wir darüber gesprochen haben, weil wir versucht haben, gegenseitig Verständnis zu wecken. Die Undultsamkeiten kenne ich ja aus der allgemeinen Politik, aus der allgemeinen Diskussion. Diese zunehmende Undultsamkeit ist natürlich in Kusel so wie an anderen Orten.
SWR Aktuell: In den vergangenen Monaten hat sich hier etwas getan. Es gab einen runden Tisch, eine Bürgerversammlung, ein Netzwerktreffen, es gibt einen Kümmerer, Sie hoffen auch noch auf einen Streetworker. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Hartloff: Das ist aus meiner Sicht vernünftig, weil das Probleme schneller aufgreifen kann. Solche Anregungen wie Streetworker oder Kümmerer hatten wir aber auch schon vor Jahren. Da hatte sich das Land ein bisschen schwerfällig bewegt. Aber es hat sich bewegt - und das ist wiederum gut (lacht).
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SWR Aktuell: Wie hat sich die Politik in den vergangenen 40 Jahren geändert?
Hartloff: Sie ist hektischer geworden. Und es gibt noch mehr als früher Pseudoprobleme und Pseudodiskussionen. Es werden Wichtigkeiten aufgebaut, was vielleicht unter dem Strich gar nicht so wichtig ist. Das wird dann sehr heiß hin- und hergehandelt - auf der Bundesebene bis runter in die Kommunalpolitik. Das Wissen um Politik hat sich nicht unbedingt vertieft nach meiner Beobachtung, sondern ganz einfache Zusammenhänge - zum Beispiel wer für was zuständig ist - verlieren sich etwas, aber die Vollmundigkeit nimmt auch durch die sozialen Medien zu. Da muss man viel Aufklärungsarbeit leisten.
SWR Aktuell: Kann man denn das Ehrenamt Stadtbürgermeister in Kusel heutzutage überhaupt noch vernünftig stemmen, wenn man einen Beruf hat?
Hartloff: Fast nicht. Man braucht Änderungen - mit einer stärkeren Unterstützung. Ich habe da mein Modell: Ich glaube, dass in solch einer Größenordnung ein bis zwei Verwaltungsleute notwendig sind, die direkt einer Bürgermeisterin oder einem Bürgermeister zugeordnet sind. Das auf Kosten der Verbandsgemeinde, weil viele Aufgaben eigentlich Verwaltungsarbeiten sind. Dann könnte man das ganz gut ehrenamtlich stemmen. Ohne so etwas ist das ehrenamtlich fast nicht zu leisten und es bedarf solcher Narren wie mich und andere, die sehr, sehr viel Freizeit reinhängen und es ist fast ein Ganztagsjob, den man dann hat - wenn man es vernünftig machen will. Ich verstehe auch, wenn manche Bürgerinnen und Bürger unzufrieden sind, weil sie sich kaum vorstellen können, welches Rad man dreht.
SWR Aktuell: Was würden Sie zum Ende Ihrer Amtszeit gerne noch umsetzen?
Hartloff: Es gibt manchmal lange Vorläufe, wie bei der Renovierung des Kochschen Marktes mitten in der Stadt oder auch bei ein paar Grundstücksangelegenheiten, wo einfach die Weichen gestellt sein sollen, dass es weiter geht - in einem großen Einvernehmen mit dem Stadtrat. Und dann ist es noch viel Kleinkram, den man erledigt, damit so ein Amt vernünftig und sauber übergeben werden kann.
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SWR Aktuell: Gibt es ein Projekt, das Sie gerne umgesetzt hätten, aber nicht mehr schaffen?
Hartloff: Ja, es gibt noch eine Herzensangelegenheit: Das Stadt- und Heimatmuseum braucht neue Räumlichkeiten, die dann auch barrierefrei sind. Wir haben hier ein Gebäude, das in einem sehr schlechten Zustand und denkmalgeschützt ist. Das würden wir gerne anders nutzen. Das habe ich nicht so weit auf den Weg gebracht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Campingplatz in Diedelkopf ist auch noch nicht fertig. Das ist auch was, was sich länger hingezogen hat.
SWR Aktuell: Was fehlt der Stadt Kusel?
Hartloff: Es fehlt ein Stück an Wirtschaftskraft, damit man auch als Kommune mehr investieren kann. Es fehlt an Investoren. Wir haben eine sehr gute Lebensqualität, wir haben gute Angebote für eine Kleinstadt mit knapp 6.000 Einwohnern, was Einkaufen anbelangt, was medizinische Versorgung anbelangt, und, und, und. Da gibt es natürlich Umbrüche. Aber ich ziehe das Resümee: Es lässt sich in Kusel sehr gut leben.
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