Es wird viel über "die Jugend" gesprochen, aber wenig mit ihr. Es gibt Vorurteile wie: "faul", "handysüchtig" oder wahlweise: "unpolitisch" und "radikal". Aber stimmt das überhaupt?
Wie tickt die Jugend wirklich, was bewegt Jugendliche und junge Menschen in Rheinland-Pfalz? Wir haben sie gefragt - natürlich nicht alle, sondern eine Auswahl. Sechs junge Menschen, mit unterschiedlichen Hintergründen, verschiedenen Lebenswegen und Überzeugungen, mit ganz unterschiedlichen Interessen.
Leonie - Berufsziel: Försterin
Da ist Leonie, 19 Jahre alt. Sie macht ein freiwilliges ökologisches Jahr beim Forstamt in Trier. Ihr Berufsziel: Försterin. Sie will versuchen, soviel wie möglich darüber zu lernen, wie sie die Umwelt schützen kann. Man müsse Verantwortung für die Natur übernehmen, auch wenn es keine einfachen Lösungen für den Klimawandel gebe. Manchmal fühle sie sich etwas hilflos, sagt Leonie. "Man weiß nicht so recht, was man groß machen kann. Man kann kleine Sachen machen, wie Mülltrennung, mehr mit dem Fahrrad fahren, auf Ernährung achten."
Aaron - Rassismus im Alltag
Aaron ist 21, seine Eltern stammen aus dem Kongo. Er ist in Prüm geboren, lebt jetzt in Bitburg. Er hat hier Abitur gemacht, will Bankkaufmann werden. Einfach war dieser Weg für ihn nicht. Als Kind erlebte er Alltagsrassismus, schon in der Grundschule. Beim Fußballspielen wurde er nicht in eine Mannschaft gewählt, sondern weggeschickt und beleidigt.
Nicht immer sei den Menschen klar, wie ihre Äußerungen wirken, sagt Aaron: "Es ist ihnen nicht immer bewusst, was sie da sagen wie Mohrenkopf oder Negerkuss oder so, dass das irgendwie falsch ist."
Aaron erinnert sich gut an einen Vorfall mit einer bestimmten Lehrerin. Die habe den Inhalt seines Mäppchens vor ihm ausgekippt und ihn aus dem Klassenraum geworfen. "Ich war nur noch geschockt. Und das macht was mit einem Kind, das gibt dir wirklich das Gefühl du bist nicht akzeptiert, du gehörst hier nicht hin und das verdienst du auch nicht", erzählt er.
Er sei unbewusst zu dem geworden, was die anderen in ihm gesehen haben. Aus Trauer und Frustration sei auch Aggressivität geworden. Die habe sich dann auch in seinem Verhalten widergespiegelt.
Aaron engagiert sich im Jugendtreff seiner Kirchengemeinde in Trier. Hier diskutieren sie regelmäßig über Alltagsthemen, die sie beschäftigen. Durch seinen Glauben hat Aaron eine Möglichkeit gefunden, nicht mehr selbst mit Aggression auf Anfeindungen zu reagieren. Aber die Verletzungen blieben, wie alte Narben, die immer dicker werden.
Dominik - Wohnort als Makel
Ganz andere, aber auch diskriminierende Erfahrungen haben Dominik sein Leben lang begleitet. Der 28-Jährige aus Ludwigshafen lebt in der Bayreuther Straße. Ein sozialer Brennpunkt. Wer hier aufwachse, werde schnell abgestempelt, sagt Dominik. Das sei das Schwierigste gewesen. "Du kommst aus dem sozialen Abgrund, hier nehmen doch alle Drogen, hier leben bloß Hartzer." Dabei sei das nicht die Wahrheit.
Er könne verstehen, dass hier viele "zur AfD abspringen", wie er sagt. Migration sei ein großes Thema - und Migranten teilweise bessergestellt. "Die kriegen neue Container gebaut und teilweise haben wir hier nicht mal die nötigste Ausstattung." Viele seien ohne Perspektive. Da liege das Problem. "Es ändert sich nichts", sagt Dominik.
Dominik hat trotz aller Widerstände eine Ausbildung gemacht, er ist jetzt gelernter Altenpfleger. Bei der Ausbildungssuche hatte er es nicht leicht, viele Arbeitgeber lehnten ihn nur aufgrund der Adresse ab. Im Seniorenzentrum der Diakonissen in Speyer bekam er eine Chance. Die Bewohner schätzen ihn und seine Arbeit. In letzter Zeit diskutieren sie auch oft über die Wahlergebnisse der AfD und die politische Lage. Die Erfahrungen der älteren Generation prägen seine Einstellung zu politischen Themen, wie dem zunehmenden Rechtsruck. Seine persönliche Ansicht sei eine andere, sagt er. Dominik wählt nicht AfD, aber wen er wählen wird, weiß er noch nicht. "Momentan macht es keiner gescheit."
Lara - Mit 14 politisch aktiv
Die jüngste in der Runde ist Lara. 16 Jahre alt aus Hahnheim. Sie engagiert sich politisch, ist aktiv im Landesjugendbeirat. Der berät die rheinland-pfälzische Landesregierung in kinder- und jugendpolitischen Fragen. Es sei wichtig, junge Menschen mehr einzubinden, ist Lara überzeugt.
Dieses Jahr durfte sie das erste Mal wählen. Und wunderte sich, dass sie keinen in ihrem Alter im Wahllokal traf. Aber wenn nicht im Elternhaus über Politik gesprochen werde, sei es für Jugendliche schwer, sich ein Bild zu machen. Das sei auch ein Grund, warum die AfD gerade bei jungen Leuten Erfolg habe, findet sie. Sie biete für sehr schwierige Themen vermeintlich sehr einfache Lösungen, die dann für Jugendliche sehr verständlich seien. Gerade weil die AfD auf Plattformen wie TikTok oder Instagram sehr präsent sei.
Lara will dazu beitragen, dass sich das ändert. An der Mainzer Uni nimmt sie an einer Podiumsdiskussion zum Thema Bildungschancen teil. "Bildung ist ja quasi unser Start ins Leben, das bestimmt alles. Unseren Beruf, ob wir später einen guten Job haben", sagt sie.
Klima, Politik, Demokratie, Bildung - Themen, die junge Menschen im Alltag beunruhigen und umtreiben. Aber wie gehen sie damit um?
Kim - Anderer Umgang mit Krisen
Kim ist 22 Jahre alt, kommt aus Betzdorf. Sie packt gerade für den Umzug mit ihrem Freund. Sie verlässt ihr Elternhaus, zieht allerdings nur ein paar Orte weiter. In der Stadt leben will sie nicht. Die Work-Life-Balance ist für Kim wichtig. Sie geht extra früh zur Arbeit, um nachmittags Zeit für ihre Bedürfnisse zu haben. Sie will anders arbeiten, aber deshalb nicht weniger. Das sei ein Vorurteil. Die Prioritäten liegen woanders.
Ein stabiles soziales Umfeld, Familie und Freunde, das ist Kim, wie vielen jungen Menschen, sehr wichtig. Manchmal seien die ganzen Krisen und Unsicherheiten in der Welt auch einfach zu viel, man habe das Gefühl sich selbst schützen zu müssen, sagt sie.
Elisa - Angekommen in ihrer Identität
Elisa wuchs bei ihren Großeltern auf, geboren als Junge. In einem Körper, in dem sie sich fremd fühlte. Heute lebt Elisa als Frau. Ihre Jugend sei geprägt gewesen von Mobbing und dem Gefühl, sich immer verstellen zu müssen. Erst mit 17, als die Großmutter starb, hat sie sich geoutet. Früher habe sie viel Wert darauf gelegt, was andere über sie dachten, wie sie wahrgenommen wurde. Aber: "Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass es die falsche Herangehensweise ist", sagt Elisa.
Nach dem Outing ist ihr Freundeskreis damals komplett weggebrochen. Deshalb will die heute 23-Jährige anderen aus der queeren Community helfen. Sie gründete die Beratungsstelle Queer Palatina und hat auch sonst noch viel vor. "Es gab noch nie einen CSD (Christopher Street Day, Anm. d. Autorin) in Landau. Und wenn die Stadt nichts organisiert, dann werde ich gucken, dass ich irgendeinen Parkplatz finde. Und wenn wir den selbst absperren und was organisieren."
Sechs Menschen, sechs Geschichten, unterschiedliche Perspektiven und Lebensentwürfe. Aber so viel trennt sie gar nicht. Voneinander nicht und auch nicht von früheren Generationen. Sie wollen ernst genommen und gehört werden. Alle haben zumindest den Anfang ihres Weges gefunden - und schauen, wie die meisten Jugendlichen in Rheinland-Pfalz, trotz aller Krisen durchaus optimistisch in die Zukunft.