Mit Nino Haase bekommt Mainz erstmals einen parteilosen Oberbürgermeister. Freiburg und Heidelberg haben schon einen. Ein neuer Trend in der Kommunalpolitik?
Nino Haase wird der erste OB der Landeshauptstadt, der ohne Parteibuch, aber auch ohne Mehrheit regieren wird. Was bedeutet es für die Demokratie, wenn parteilose Kommunalpolitikerinnen und -politiker an die Spitze kommen? Einschätzungen dazu von Claudia Ritzi, Politikwissenschaftlerin an der Universität Trier.
SWR Aktuell: Frau Ritzi, ist es ein Vor- oder ein Nachteil, als Bürgermeister oder Bürgermeisterin kein Parteibuch zu haben?
Claudia Ritzi: Nicht so einfach festzulegen, weil die Zahl der Fallbeispiele begrenzt ist - und wir gehen politikwissenschaftlich nicht davon aus, dass das ein eindeutiger Trend ist. Aber die Krise der Parteien, der mangelnde Rückhalt in der Bevölkerung - das spiegelt sich ein Stück weit auch in Bürgermeisterwahlen wieder.
SWR Aktuell: Man könnte sagen, Parteilose kommen aus dem echten Leben, waren vielleicht vorher in der Verwaltung, kennen sich aus - ist das so?
Claudia Ritzi: Ja, das ist ja der Unterschied: Weil jemand, der aus der Verwaltung kommt, die Praxis und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen genau kennt. Oder ist er wirklich ein Quereinsteiger? Die werden meist gewählt, weil die Bevölkerung mal frischen Wind will und einen unverstellten Blick, quasi "einer von uns sitzt in diesem Amt". Beides ist möglich.
SWR Aktuell: Wie unabhängig ist ein Parteiloser? Manchmal ist der Kandidat zwar parteilos, reist aber auf dem Ticket von Parteien - eine Art Mogelpackung, oder?
Claudia Ritzi: Ich glaube, gemogelt werden kann da nicht; diese Wahlkämpfe sind stark personalisiert. OB-Wahlen sind ja direkte Personenwahlen und insofern werden die Persönlichkeiten, die da kandidieren, auch immer ganz genau unter die Lupe genommen. Es wird gefragt: Welcher Partei steht er oder sie eigentlich nahe? Warum ist er oder sie nicht Mitglied und kandidiert nicht für dies Partei? Das sind die ersten Fragen, die gestellt werden, und da ist nicht viel mit Vertuschen, sondern da gibt’s einfach unterschiedliche Situationen.
SWR Aktuell: Können Parteilose freier agieren, weil sie nicht Parteizwängen unterworfen sind?
Claudia Ritzi: Gelegentlich kann das der Fall sein. Wichtig ist, dass das Amt der Bürgermeisterin und des Bürgermeisters ja vor Ort und mit ganz konkreten Problemen und Situationen konfrontiert ist. Da kann es manchmal von Vorteil sein, wenn man in den Räten große Allianzen schließen kann, wenn man sehr pragmatisch handeln kann - und das ist manchmal für Parteilose einfacher als für andere. Andererseits gibt es eine Diskussion, ob es die Räte ein bisschen schwächt, weil der Einfluss der Parteien zurückgeht - und das macht die Attraktivität zur Mitarbeit in den Räten geringer.
SWR Aktuell: Nehmen wir mal den Fall Boris Palmer in Tübingen - der musste seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhen lassen, trat parteilos an und gewann haushoch. Ist das ein Sonderfall?
Claudia Ritzi: Es ist insofern kein Sonderfall, weil wir hier merken, welches Gewicht die Persönlichkeit hat. Das ist entscheidend – viel mehr als das Parteibuch. Palmer ist ja sehr umstritten gewesen als Person. Aber wie er dann bei der Wahl unter Beweis gestellt hat, ist es ihm gelungen, einen großen Teil der Tübinger Bevölkerung hinter sich zu scharen. Das gibt ihm viel Macht und Rückhalt.
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