Ex-Umweltministerin Spiegel hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass sie nach der Flutkatastrophe vor allem um ihr Image besorgt gewesen sei. Im U-Ausschuss des Landtags sagte sie, Hilfe für Betroffene habe im Mittelpunkt gestanden. Von Union und Freien Wählern kommen derweil Rücktrittsforderungen.
- Spiegel verteidigt sich im Untersuchungsausschuss
- Staatssekretär nimmt Spiegel in Schutz
- Heftige Kritik von Union und Freien Wählern
- Rückendeckung von Ex-Büroleiter und Grünenspitze
- Ex-Leiterin des Landesumweltamtes sagt ebenfalls im U-Ausschuss aus
Spiegel: Kritisierte SMS nur zwei von Tausenden
"Es ist absolut falsch und ich weise entschieden zurück, dass ich irgendwann eine andere Priorität hatte", sagte Anne Spiegel (Grüne). Wegen eines SMS-Wechsels mit Mitarbeitern war ihr vorgeworfen worden, am Tag nach der Flutkatastrophe nur auf ihr politisches Ansehen bedacht gewesen zu sein. Die heutige Bundesfamilienministerin erklärte: "Ja, es gab diese SMS, und es gab auch meine Antwort darauf." Dies seien aber nur zwei von Tausenden Nachrichten an dem Tag gewesen.
Sie habe ihrem Mitarbeiter kurz antworten wollen, ohne dass sich danach etwas daraus ergeben hätte. Alle Aktivitäten und unzählige Telefonate hätten sich nur darum gedreht, "wie wir den Menschen vor Ort helfen und sie unterstützen können". Beispielsweise habe sie einen Krisenstab in ihrem Ministerium organisiert und sich um die Trinkwasserversorgung im Ahrtal gekümmert.
Spiegel bezeichnet Verhältnis zu Lewentz als herzlich
Die frühere Umweltministerin trat auch dem Eindruck entgegen, dass es Misstrauen in der Landesregierung gegeben habe. Diese habe auch nach der Flutkatastrophe vertrauensvoll zusammengearbeitet. In einer Kurznachricht hatte sie am Morgen nach der Flut geschrieben, dass sie Innenminister Roger Lewentz (SPD) zutraue, dass er sage, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre weniger schlimm gewesen, wenn das Umweltministerium früher gewarnt hätte.
Im Ausschuss erklärte Spiegel, das sei nur "ein Gedanke gewesen", der auch direkt wieder weg gewesen sei. Es habe an dem Tag ganz viel Kommunikation gegeben. "Das Verhältnis mit Roger Lewentz war herzlich, freundschaftlich und hoch professionell", sagte die Ministerin auf Nachfrage. Sie berichtete auch, am Abend der Flut angeboten zu haben, Lewentz ins Ahrtal zu begleiten. Ihre Mitarbeiter hätten ihr aber deutlich gemacht, dass der Katastrophenschutz nicht Aufgabe des Umweltministeriums sei.
Spiegel berichtete, dass sie den Abend dann in ihrer Mainzer Privatwohnung verbracht und bis in die Nacht Telefonate geführt habe, unter anderem mit ihrem Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) und ihrem Parteikollegen Bernhard Braun.
Staatsekretär bestätigt Austausch mit Spiegel am Flutabend
Manz war zuvor im Untersuchungsausschuss dem Vorwurf entgegengetreten, Spiegel habe nicht auf einen Anruf am späten Abend reagiert. Nach einem vergeblichen Anrufversuch seinerseits um 22:34 Uhr am 14. Juli 2021 habe ihn Spiegel wenig später zurückgerufen. "Wir standen im Austausch miteinander", sagte Manz. Spiegel sei bei Anrufen "immer zuverlässig" gewesen. Sie habe sich immer sofort zurück gemeldet.
In den Anruflisten von Manz, die dem Ausschuss vorliegen, sind aber keine Telefonate mit Spiegel vermerkt. Spiegel, inzwischen Bundesfamilienministerin, steht seit Tagen durch öffentlich gewordene Chat-Protokolle in der Kritik. Demnach war sie am Flutabend telefonisch nicht mehr erreichbar.
Rücktrittsforderungen gegen Spiegel aus der Union im Bund
Die Opposition im rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal hingegen weitet ihre Kritik an der damaligen Umweltministerin Spiegel aus. Der Obmann der CDU Dirk Herber warf Spiegel vor, sich mit Mitarbeitern ihres Hauses nicht genügend ausgetauscht zu haben. Stattdessen sei die Ministerin zum Zeitpunkt, als die Menschen im Ahrtal um ihr Leben bangten, mit einem Parteifreund essen gegangen.
Unionspolitiker auf Bundesebene fordern unterdessen Spiegels Rücktritt als Bundesfamilienministerin. So hält CDU-Generalsekretär Mario Czaja Spiegel ihrer Aufgabe als Ministerin nicht gewachsen, wie er der "Bild am Sonntag" sagte. Spiegel habe mit ihrem Auftritt im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. "Das macht mir Angst mit Blick darauf, dass sie jetzt für eine noch viel größere Aufgabe mitverantwortlich ist, nämlich die Versorgung von Tausenden geflohenen Frauen und Kindern aus der Ukraine", betonte Czaja. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion Thorsten Frei (CDU) warf Spiegel unverantwortliches Handeln vor. Spiegel seien "ihre ideologische Weltsicht und ihre Selbstdarstellung wichtiger, als konkrete Hilfe für Menschen in höchster Not zu leisten", sagte Frei der "BamS".
Spiegel sei eine "Fehlbesetzung", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger. "Sie hat bisher inhaltlich nichts geleistet - und jetzt holt sie auch noch ihr Versagen in der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz ein."
Freie Wähler: Spiegel hat als Ministerin versagt
Den Rücktritt der amtierenden Familienministerin fordert auch der Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss, Stephan Wefelscheid. Sie habe als Ministerin versagt. Wefelscheid wirft Spiegel Untätigkeit in der Flutnacht vor. Er kritisiert, dass die damalige Umweltministerin lediglich mit ihrem Staatssekretär Manz in Kontakt stand. "Das Mindeste, was man hätte verlangen und erwarten dürfen ist, dass Anne Spiegel wenigstens den Kollegen Innenminister Roger Lewentz anruft, nachdem sie erfahren hat, dass an der Ahr Menschen auf den Dächern sitzen und Autos durch den Fluß treiben. Denn selbst wenn sie nicht für den Katastrophenschutz zuständig war, so hätte sie dennoch mit ihrem Ministerium im Wege der Amtshilfe dem Innenministerium hier und da helfen können", so Wefelscheid.
Ex-Büroleiter nimmt Spiegel in Schutz
Rückendeckung für Spiegel gab es im Untersuchungsausschuss von ihrem ehemaligen Büroleiter. Er habe dreieinhalb Jahre sehr eng mit Anne Spiegel als ihr Büroleiter zusammengearbeitet, berichtete Giuseppe Lipani vor dem Untersuchungsausschuss. Zudem kenne er Spiegel seit 2002. Bezogen auf die in verschiedenen Medien veröffentlichten SMS-Protokolle sagte Lipani, das Bild, was da entworfen werde, sei falsch. Er beschrieb Spiegel als "sehr empathische Person", die sehr "verständnisvoll" und den "Menschen sehr zugewandt" sei. Er habe sie zudem als gute Chefin erlebt. "Ich kann nicht bestätigen, dass ihr das Außenbild über alles geht", sagte Lipani.
"Keine Spannungen zwischen Spiegel und Lewentz"
Der Büroleiter des Umweltministeriums äußerte sich auch zum Verhältnis von Spiegel zu Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD). Sein Eindruck sei, dass die beiden ein gutes Verhältnis hatten, so Lipani. Er könne sich an keine Spannungen erinnern, auch nicht aus der Zeit, als Spiegel noch Integrationsministerin gewesen sei. Ich "kann nicht sagen, dass sie kein gutes Verhältnis hatten". Er sei selbst überrascht gewesen von den SMS-Protokollen.
Nach den von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und "FOCUS online" veröffentlichten Kurznachrichten ging es zwischen der Politikerin sowie ihren Pressesprechern am Morgen nach der Katastrophe vor allem darum, ein "Wording" dafür zu finden, dass sie rechtzeitig gewarnt hätten.
Grünenspitze in Berlin bewertet Auftritt Spiegels positiv
In Berlin hat sich die Spitze der Bundes-Grünen positiv über den Auftritt von Spiegel vor dem Untersuchungsausschuss geäußert. "Anne Spiegel hat mit ihren Aussagen gestern gezeigt, dass sie sich mit Verantwortungsbewusstsein und Empathie für die Menschen in diesem Land einsetzt und dass ihre erste Sorge den Menschen und ihrer Not galt", so die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour in einer gemeinsamen Reaktion am Samstag in Berlin.
Leiterin des Landesumweltamtes: Vor extremer Lage an der Ahr gewarnt
Die frühere Leiterin des Landesamts für Umwelt (LfU) in Rheinland-Pfalz hat im Untersuchungsausschuss ausgesagt, sie habe am Tag der Flutkatastrophe vor der Lage an der Ahr gewarnt. Sabine Riewenherm sagte, sie habe das Umweltministerium am frühen Abend des 14. Juli 2021 darüber informiert, dass sich die Lage an der Ahr extrem zuspitze. "Wir hatten die höchste Warnstufe ausgerufen und sehr, sehr hohe Pegelprognosen. Das fand ich schon sehr alarmierend", so Riewenherm. Die Prognose sei von sehr viel höheren Pegeln als beim Jahrhunderthochwasser 2016 ausgegangen.
Mit der damaligen Umweltministerin Anne Spiegel hatte Riewenherm den Angaben zufolge am 14. Juli keinen persönlichen Kontakt. Ihr Ansprechpartner an dem Tag sei Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) gewesen. Laut Riewenherm haben die Warnmeldungen der Behörde damals bis auf eine Mail funktioniert. Diese sei aufgrund eines Programmierfehlers nicht automatisch rausgegangen. Alle Warnungen seien auch über die Warn-App Katwarn herausgegangen. Sie habe dennoch wenige Tage nach der Katastrophe veranlasst, die Meldeketten des LfU zu überprüfen und Verbesserungsvorschläge zu machen, so Riewenherm.
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