Rund einer von 1.000 Menschen weltweit leidet an Cluster-Kopfschmerzen. Eine Betroffene aus Mainz erzählt, warum sie wegen ihrer Krankheit nur noch ungern das Haus verlässt.
Patientinnen und Patienten beschrieben den Schmerz wie eine brennende Grillzange oder einen Bohrer, der sich durch ihren Kopf arbeite: Cluster-Kopfschmerzen sind eher selten, doch Betroffene leiden sehr. Eine von ihnen ist Sandra Knesovic aus Mainz, sie leidet seit etwa 24 Jahren schon an der Krankheit. Es habe bei ihr lange gedauert, bis die Ärzte ihr die richtige Diagnose stellen konnten. Der Grund: Viele Medizinerinnen und Mediziner hätten Cluster-Kopfschmerzen nicht auf dem Schirm, erklärt Dr. Timo Klan. Er arbeitet am psychologischen Institut der Universität in Mainz und forscht an diesem Krankheitsbild.
Was sind Cluster-Kopfschmerzen?
Cluster-Kopfschmerzen gelten laut Klan als sogenannten primäre Kopfschmerzerkrankung, ähnlich wie Migräne. Die Schmerzen würden dabei die Krankheit selbst darstellen und sind nicht eine Begleiterscheinung eines anderen Zustands, wie etwa bei einer Hirnhautentzündung. Verglichen mit der Migräne kämen Cluster-Kopfschmerzen jedoch eher selten vor: Weltweit sei einer von 1.000 Menschen betroffen – Männer dabei häufiger als Frauen. Das sind Klan zufolge in etwa so viele, wie an Multipler Sklerose erkranken. Dennoch sei die Krankheit verhältnismäßig unbekannt. Bei Sandra Knesovic wurde sie erst neun Jahren nach ihrem ersten Anfall diagnostiziert. Davor lief sie in Mainz, aber auch in ihrer alten Heimat Kroatien von Arzt zu Arzt, allerdings ohne Erfolg.
Wann und wie häufig kommen die Schmerzattacken?
Clusterkopfschmerzen sind wiederkehrende Schmerzattacken, die meist zwischen 15 Minuten und drei Stunden andauern. Sie könne ein- bis achtmal am Tag auftreten. Das besondere ist laut Klan, dass sie in bestimmten Zeiträumen, sogenannten Episoden, auftreten. Das heißt: Phasen mit Schmerzattacken wechseln sich mit Phasen ohne diese ab. Durch diese Bündelung der Attacken ergebe sich auch der Name "Cluster" (zu Deutsch: Ansammlung, Anhäufung). Die Attacken treten bei den meisten Betroffenen über mehrere Wochen im Frühjahr und im Herbst auf. In der Sommer- und Winterzeit hätten sie hingegen Ruhe.
Wie fühlen sich Cluster-Kopfschmerzen an?
Der Schmerz tritt dem Arzt zufolge einseitig im Bereich der Augenhöhle auf. Das Besondere an den Cluster-Kopfschmerzen sei die Intensität, denn sie gelten als die schlimmsten Kopfschmerzen. Um dies einzuordnen, hätten Forschende Betroffene befragt, die noch andere Schmerzerfahrungen gemacht haben – etwa eine Geburt, Schussverletzungen, Blinddarmentzündungen oder Migräne. Alle hätten gesagt, dass sie die Cluster-Kopfschmerzen als deutlich schlimmer empfunden hätten als die anderen Schmerzen.
Sandra Knesovic fühlt das ähnlich: Es sei so schlimm, dass sie oft den Impuls habe, sich ihr Auge herausreißen zu wollen. Sie fühle sich während einer Attacke unruhig, müsse sich bewegen. Zudem verletze sie sich auch dann an der linken Körperseite selbst, wovon ihr Mann sie abhalten müsse.
Wie werden Cluster-Kopfschmerzen ausgelöst?
Ersten Forschungen nach könnten die Schmerzen mit dem Hirnareal Hypothalamus zusammenhängen. Dieser steuert Klan zufolge unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus des Körpers und reagiere empfindlich auf Tageslichtveränderungen. Demnach könnten die länger, beziehungsweise kürzer werdenden Tage im Frühjahr und Herbst die Cluster-Kopfschmerzen auslösen. Abschließende Forschungsergebnisse dazu gebe es aber noch keine. Zudem gebe es auch Ausnahmen bei Patientinnen und Patienten, deren Attacken im Sommer oder Winter auftreten. Auch Stress und Alkohol können Auslöser für eine Attacke sein. Allerdings nur in den Zeiträumen der Episoden.
Für Cluster-Kopfschmerzen brauche es auch eine genetische Veranlagung, ähnlich wie bei Migräne, sie seien aber nicht unbedingt vererbbar. Gleichzeitig muss man laut Klan auch sagen, dass die Attacken bei den Betroffenen auch Stress auslösen, besonders da sie meistens nachts kämen. "Stress geht in beide Richtungen: Stress kann Cluster-Attacken auslösen. Aber auch andersherum, diese Cluster-Attacken machen Stress", erklärt Klan.
Wie kann man Cluster-Kopfschmerzen vorbeugen?
Präventiv gegen die Attacken werden dem Psychologen nach zum einen Medikamente verschrieben - am häufigsten Verapamil oder Lithium. Bei regelmäßiger Einnahme können sie die Häufigkeit der Attacken senken, oder gar eine ganze Episode beenden. Da Stress ein Treiber für die Kopfschmerzen sei, werde Betroffenen geraten, diesen zu reduzieren. Außerdem werde ein ausgeglichener Lebensstil empfohlen.
Wie wird eine Attacke behandelt?
Bei akuten Attacken hilft laut Klan den meisten das Inhalieren von reinem, hochdosiertem Sauerstoff. Das wirke bei etwa 70 Prozent der Patientinnen und Patienten. Sie haben wie die Bergsteiger eine Maske und eine kleine Sauerstoffflasche, erklärt Klan. "Es reicht auch nicht zu sagen: 'Geht doch mal an die frische Luft.'" Auch Sandra Knesovic helfe der Sauerstoff, was ihre Anfälle von bis zu zwei Stunden auf 15 bis 20 Minuten reduziere. Medikamente hätten bei ihr keine Wirkung gezeigt.
Eine andere Möglichkeit ist ein Medikament, ein sogenanntes Triptan, zu verwenden. Triptane werden in verschiedenen Formen auch bei Migräne verabreicht. Diese werden laut Klan allerdings nicht als Tablette genommen, sondern als Nasenspray oder mit einer Spritze, ähnlich der gegen allergische Schocks. Dadurch komme das Medikament schneller in den Blutkreislauf und werde schneller verstoffwechselt. Zudem könne es helfen, sich während einer Attacke an einen bestimmten Ort - etwa ein Zimmer im Haus - zurückzuziehen.
Wie stark schränkt die Krankheit die Betroffenen ein?
Das ist laut Klan unterschiedlich und lasse sich auch nicht allein an der Häufigkeit der Attacken festmachen. Es hänge eher damit zusammen, wie resilient der oder die einzelne sei. Manche würden weiterhin normal am Alltagsleben teilnehmen, andere ziehen sich sozial komplett zurück.
Auch bei Sandra Knesovic sei es sehr gemischt. Sie ist berufstätig, arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe ihrer Wohnung. Ihr Arbeitgeber wisse um ihre Krankheit und unterstützt sie, auch dort hat sie eine Sauerstoffdosis abgelegt. "Ich brauche sieben Minuten von Flasche zu Flasche", sagt sie. Gleichzeitig geht sie nicht gerne aus ihrer Wohnung aus Angst, dass eine Attacke kommt. "Ich bin gerne in meiner Wohnung, da bin ich sicher."
Wo kann man sich Hilfe holen?
Die beste Anlaufstelle ist laut Klan eine neurologische Fachpraxis. Hier müsse man darauf achten, dass sie auch auf das Thema Kopfschmerzen spezialisiert sei. Außerdem gebe es auch immer mehr Kopfschmerzzentren, die einem weiterhelfen können.