Der rheinland-pfälzische LKA-Präsident Mario Germano spricht im Interview mit SWR Aktuell darüber, was nach einer Bombendrohung bei der Polizei passiert, ob es heutzutage mehr Drohungen gibt und was es mit dem "Swatting"-Phänomen auf sich hat. Germano ist seit 2023 Chef des Landeskriminalamtes.
SWR Aktuell: Herr Germano, immer wieder mal eine Bombendrohung an einer Schule. Immer wieder ist mal ein Bahnhof gesperrt. Sind Bombendrohungen häufiger geworden?
Germano: Über die lange Zeit gesehen würde ich das nicht unterschreiben. Das sind Wellenbewegungen. Auch weil diese Drohungen bei entsprechender medialer Berichterstattung zu Nachahmer-Effekten führen können. Auch weltpolitische Lagen wie der Nahost-Konflikt können solche Wellen lostreten, weil die Täter mediale Aufmerksamkeit wollen. Ich würde nicht davon sprechen, dass wir da insgesamt einen massiven Anstieg haben.
SWR Aktuell: Gibt es darüber Zahlen?
Germano: Wir sind momentan dabei, uns zu erschließen, wie wir ein solches Zahlenmaterial erarbeiten können. Diese Taten werden bislang in der Statistik unterschiedlich erfasst, deshalb kann ich derzeit keine belastbaren Zahlen in den Raum stellen.
SWR Aktuell: Wieviele Täter kann die Polizei fassen?
Germano: Letztendlich gibt es immer mal wieder Ermittlungserfolge und wir können jemandes habhaft werden. Bei der Masse der Drohungen bleibt aber doch auch einiges im Dunkeln.
SWR Aktuell: Ist es heutzutage leichter geworden, mal kurz eine Bombendrohung rauszuhauen?
Germano: Generell fällt es Menschen leichter, mit den Möglichkeiten des Internets Drohungen in die Welt zu pusten. Das beschränkt sich nicht auf Schulen, sondern betrifft auch politisch aktive Personen, die im Netz ganz offen bedroht werden. Faszinierend ist, dass ein Teil der Menschen dabei mit Klarnamen agiert. Irgendwo ist da immer noch die Vorstellung im Kopf, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei. Aber ob ich jemanden im Internet bedrohe, eine schnelle Mail an das Schulsekretariat schreibe oder Buchstaben aus der Zeitung zusammenklebe - die Strafbarkeit ist dieselbe.
SWR Aktuell: Zurück zu den Schulen: Was passiert, wenn im Sekretariat eine Mail mit einer Drohung eingeht?
Germano: Es gibt seit Jahren eine Handreichung für die Schulen im Umgang mit solchen Bedrohungslagen. Die örtliche Polizei wird gerufen und nimmt eine Erstbewertung vor. Aufgrund dieser Bewertung entscheidet am Ende der Polizeiführer, welche Maßnahmen getroffen werden. Also zum Beispiel, wie wird abgesperrt, wann wird evakuiert, brauche ich Sprengstoffhunde, muss das Entschärfungskommando kommen, werden wir vom LKA eingebunden und so weiter.
SWR Aktuell: Worauf basiert eine solche Erstbewertung?
Germano: Gibt es rund um die Schule Manipulationen, stehen irgendwelche Gepäckstücke herum, gibt es ein verdächtiges Graffiti? Wer hat was beobachtet? Stand irgendetwas offen? Die Polizeibeamten sind auf diese Dinge trainiert. Am Ende hilft vielleicht auch die Frage: Standen heute zufälligerweise wichtige Prüfungen in der Schule an? Gibt es Erkenntnisse über Motive? Das kann von Rache und Aufmerksamkeitslust bis hin zum "Swatting" reichen.
SWR Aktuell: "Swatting"?
Germano: Dabei täuschen die Täter ein Schadensereignis vor und lösen damit Polizeieinsätze aus. Zum Beispiel bei Leuten, die man nicht mag. Diese sind dann plötzlich vor der eigenen Haustür mit Polizei und Rettungskräften konfrontiert, was die Betroffenen natürlich verunsichert. Vor einiger Zeit waren davon auch rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete betroffen. Viele "Swatter" beobachten das Ganze dann aus der Ferne.
SWR Aktuell: Wann kommt bei einer Bombendrohung das LKA ins Spiel?
Germano: Meistens wenn ein politisch motivierter Hintergrund zu vermuten ist. Dafür haben wir verschiedene Einheiten, die interdisziplinär besetzt sind - zum Beispiel mit Kriminologen, Psychologen, Islamforschern. Dann wird in einer Fallkonferernz eine gemeinsame Bewertung getroffen und der Polizeiführung an die Hand gegeben. Das muss je nach Lage schnell gehen. Und wir können den Betroffenen Unterstützung anbieten.
SWR Aktuell: Inwiefern?
Für Amts- und Mandatsträger, die Bedrohungen ausgesetzt sind, haben wir eine rund um die Uhr besetzte Hotline. Und wir haben Materialien mit Verhaltensempfehlungen. Zum Beispiel: Wo stelle ich mein Auto ab? Wie verhalte ich mich bei öffentlichen Auftritten? Mache ich meinen dienstlichen Kalender wirklich öffentlich?
SWR Aktuell: Was, wenn immer wieder die gleiche Drohung kommt, und es offensichtlich erscheint, dass nichts dahintersteckt?
Germano: Es wurden schon Drohschreiben verfasst, die dann textgleich bundesweit verschickt wurden. Das fließt in die Lagebewertung ein, weil nicht davon auszugehen ist, dass zum Beispiel an 100 Schulen gleichzeitig Bomben liegen. Letztlich dürfen wir nie in Routine verfallen. Es gab in den letzten Jahren kein tatsächliches Ereignis. Das heißt aber nicht, dass es in Zukunft nie eins geben kann. Es könnte immer die erste Bombendrohung sein, die dann später die echte war, und dann würde man seines Lebens nicht mehr froh. Und es gibt immer noch die Lagen, wo Menschen ohne Drohungen an Schulen aktiv werden. Denken Sie an den Amoklauf von Winnenden. Deshalb müssen wir auch jede Drohung ernstnehmen. Weil jemand doch etwas vorhaben könnte, aber vielleicht noch aufgehalten werden möchte.
Das Interview führte Oliver Nieder.