Die sogenannte Abnehmspritze ist für viele Übergewichtige ein Segen. Experten fordern, sie als Kassenleistung anzuerkennen, trotz hoher Kosten. Das Land sieht noch Beratungsbedarf.
"Du bist dick, fett. Dann iss doch einfach weniger" - solche Sätze hat Adile Aydemir schon hunderte Male gehört. Seit sie denken kann, hat die 42-Jährige mit ihrem Gewicht zu kämpfen. Diverse Diäten hat sie schon gemacht.
Vor zwei Jahren, kurz nach der Geburt des dritten Kindes, hat die gelernte Krankenschwester dann von dieser Abnehmspritze gehört. Seitdem ist Aydemir bei Katja Schippel-Coressel in Behandlung. Von der Fachärztin für Innere Medizin bekam sie die sogenannte Abnehmspritze verschrieben.
"Die Kilos sind gepurzelt"
Gleichzeitig hat Aydemir ihre Ernährung umgestellt - und macht Sport. Die Folge: Die Kilos sind gepurzelt. In zwei Jahren hat Aydemir 31 Kilogramm abgenommen. Von einem Startgewicht von 120 hat sie es heute auf 89 Kilo geschafft.
So funktioniert die Abnehmspritze
Eine Spritze, mit der man abnimmt. Klingt fast zu schön um wahr zu sein. Noch dazu in einem Land, in dem die Hälfte der Menschen als übergewichtig gilt.
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Für Patienten mit Diabetes sowie stark übergewichtige Menschen sind sie eine neue Hoffnung - Mittel wie Wegovy und Mounjaro können helfen, schnell Gewicht zu verlieren.
Inzwischen gibt es mehrere Produkte auf dem Markt, eines davon ist Wegovy von der Firma Novo Nordisk. Die Spritze enthält den Wirkstoff Semaglutid. Entwickelt wurde der ursprünglich für Menschen mit Diabetes-Typ-2. Semaglutid regt die Insulinproduktion an und senkt dadurch den Blutzuckerspiegel.
Doch Semaglutid hat noch eine weitere Wirkung. Es ahmt ein Darm-Hormon nach, das dem Gehirn vorgaukelt, dass man satt ist und es verlangsamt die Magenentleerung. Und weil man so weniger isst, nimmt man ab.
Medikament muss dauerhaft genommen werden
Was Kritiker allerdings bemängeln: Um langfristig das neue Gewicht zu halten, muss das Medikament dauerhaft genommen werden. Für den Arzt Johannes Oepen, den Vorsitzenden des Adipositasnetzwerks RLP, kein Argument. "Ich habe Bluthochdruck. Ich muss meine Tabletten mein Leben lang nehmen. Wenn ich das nicht mache, steigt er wieder an, das ist normal bei chronischen Erkrankungen."
Oepen beklagt, dass die Diskussion um die Abnehmspritze - oder "Fett-weg-Spritze", wie sie auch genannt wird - häufig mit Scheinargumenten geführt werde. "Kein Mensch würde von einer Krebs-weg-Spritze sprechen. Allein schon die Wortwahl ist stigmatisierend und abwertend." Adipositas sei eine chronische, fortschreitende Erkrankung. Viele neigten aber dazu, die Schuld an der Krankheit den Betroffenen zuzuschreiben.
Oepen sieht in der Abnehmspritze eine Revolution: "Alles, was es bisher an Medikamenten gab, hatte kaum Wirkung und schlimme Nebenwirkungen. Jetzt haben wir es umgekehrt. Deshalb ist das ein Game-Changer." Noch nie habe es so gute Behandlungsmöglichkeiten gegeben.
Nebenwirkungen noch nicht ausreichend erforscht
Doch die Spritze hat Nebenwirkungen. Das weiß auch Adile Aydemir: "Übelkeit, flauer Magen, Kopfschmerzen." Aber diese Nebenwirkungen hätten bei ihr nur ein, zwei Tage angehalten.
Über die Langzeitfolgen der Mittel ist noch nicht viel bekannt. In den USA haben aber Anfang des Jahres mehrere Personen eine Sammelklage gegen Novo Nordisk eingereicht. Sie beschuldigen den Abnehmspritzen-Hersteller, durch die Einnahme seines Mittels Magenlähmungen entwickelt zu haben.
Elon Musk machte Abnehmspritze populär
Der dänischen Firma hat es bislang nicht geschadet. Novo Nordisk gilt aktuell als eines der wertvollsten Unternehmen in ganz Europa. Das hat es auch Elon Musk zu verdanken. Der Milliardär hatte sich öffentlich dazu bekannt, dank der Abnehmspritze einige Kilos verloren zu haben und damit einen Hype in den Sozialen Medien ausgelöst.
Menschen, die das Mittel wirklich bräuchten, habe er damit einen Bärendienst erwiesen, sagt Johannes Oepen: "Wenn Leute, die keine Ahnung haben von Pharmakologie, sich einfach irgendwas reinpfeifen, dann ist das nicht gesund."
Krankenkassen übernehmen Kosten bislang nicht
Adile Aydemir hat inzwischen mehrere Mittel probiert, bis zu 300 Euro pro Monat hat sie dafür ausgegeben. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür bislang nicht. Denn die Appetit-zügelnde Spritze gilt per Defintion als Lifestyle-Produkt.
"Das ist Verhöhnung der Patienten", klagt Oepen. "Je mehr das Medikament produziert wird, desto billiger wird es werden. Die ganzen Folgen, die wir haben, beim Ausfall von Arbeitnehmern, die ganzen Folgen, die wir haben an Behandlung der Folgeerkrankungen, die müssen gegengerechnet werden gegen die Kosten dieser Behandlung."
Doch das könnte teurer werden. Die AOK Rheinland-Pfalz stellt auf SWR-Anfrage folgende Rechnung auf: Wenn man die Jahrestherapiekosten von knapp 4.000 Euro mit der Anzahl der Menschen multipliziere, die einen BMI (Body-Mass-Index) über 30 haben, "dann kommt man auf Ausgaben von 45 Milliarden Euro" für die Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherungen.
Fast genauso viel gaben die gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland im vergangenen Jahr für alle Arzneimittel zusammen aus.
Gesundheitsminister Hoch will erst Studien abwarten
Trotzdem hat unter anderem die FDP kürzlich gefordert, die Abnehmspritze zur Kassenleistung zu machen. Deutlich zurückhaltender zeigt sich der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD): "Im Moment laufen wissenschaftliche Studien, wie dieses Medikament tatsächlich heilen kann." Nun sollten erst einmal die Ergebnisse abgewartet werden.
Eigentlich sei das Mittel für Menschen mit diabetischen Erkrankungen konzipiert, betont Hoch. "Und für diese Menschen brauchen wir es auch. Und weil es diesen Lifestyle-Hype gibt, ist es im Moment auch knapp."
Schwarzmarkt und gefälschte Präparate
Diese Knappheit führt dazu, dass Diabetiker teils Wochen darauf warten müssen, die Spritze mit dem Medikament aus der Apotheke zu erhalten, zeigen Recherchen des ARD-Magazins Panorama. "Wir haben lange Wartezeiten von bis zu acht Wochen, bis wir unsere Kunden beliefern können", sagt auch die Mainzer Apothekerin Julia Sachse. Ihre Apotheke arbeite mit Wartelisten "und sobald wir vom Großhandel Ware zugeteilt bekommen, können wir die Patienten versorgen, was sehr unbefriedigend ist".
Zudem würden die entsprechenden Mittel im Netz gehandelt, es gibt laut Panorama auch regelrechte Dealer, die das Medikament illegal verkauften.
Auch gefälschte Rezepte werden laut Panorama angeboten. "Mehrere Patientinnen und Patienten mussten daraufhin in die Notaufnahme eingeliefert werden mit teils lebensbedrohlichen Symptomen."
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Adipositas ist eine chronische Stoffwechselkrankheit, bei der sich Körperfett zu stark vermehrt und ansammelt. Seit einiger Zeit gibt es eine neue Therapiemöglichkeit – die Abnehmspritzen. Die Medikamente Wegovy oder Ozempic sind eigentlich zugelassen für Menschen mit Diabetes – zum Abnehmen. Was können die Spritzen bewirken?
Christine Langer im Gespräch mit Prof. Jochen Seufert, Abteilung Endokrinologie und Diabetologie an der Uniklinik Freiburg.