Deutsche Einheit und Migrationsdebatte

"Wir müssen uns nicht zwischen Identitäten entscheiden"

Stand
Autor/in
Ellermann, Eva

Die Menschen in Deutschland müssen sich nicht mehr für eine Identität entscheiden, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan. Im ARD Interview der Woche verrät sie, was sie sich für ihre kleine Tochter wünscht.

Reem Alabali-Radovan ist erst 34 Jahre alt und hat eine Vorzeige-Einwanderungsgeschichte: sie ist in Moskau geboren als Tochter irakischer Eltern, mit ihnen kam die damals 6-Jährige als Flüchtling nach Schwerin. Alabali-Radovan machte Abitur, studierte Politikwissenschaften und stieg 2015 in die Koordination der Flüchtlingsarbeit ein. Erst vor drei Jahren trat sie in die SPD ein und gewann bei der letzten Bundestagswahl gleich ein Direktmandat für ihre Partei. Sie ist Staatsministerin im Kanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und seit 2022 auch für Antirassismus. Alabali-Radovan ist verheiratet mit einem Boxer mit rumänischen Wurzeln und Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter.

"Identität geht auch im Plural"

Die Zentrale Feier für den Tag der Deutschen Einheit war in diesem Jahr in Schwerin – ihrer Heimatstadt, freut sich Alabali-Radovan. Zu Deutschland gehören aus ihrer Sicht alle Menschen, die hier leben und ihren Beitrag leisten. "„Wir sind ein Einwanderungsland und wir wollen es auch bleiben und alle Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gehören selbstverständlich auch dazu", sagt die Integrationsbeauftragte im ARD Interview der Woche. "Wir müssen uns gar nicht zwischen Identitäten entscheiden", ergänzt sie. Sie selbst sagt über sich: "Ich fühle mich als Deutsche, als Schwerinerin, als Ostdeutsche, aber ich habe eben auch einen großen Bezug zu meinem irakischen Wurzeln. So fühlen viele Menschen, dass sie sich nicht zwischen einer Identität entscheiden können und wir müssen uns auch gar nicht zwischen Identitäten entscheiden. Ich finde, das gehört zu einem modernen Einwanderungsland dazu." Trotz der teilweise aufgeheizten Migrationsdebatte, sieht Alabali-Radovan keine Spaltung der Gesellschaft.

Reem Alabali-Radovan und Korrespondentin Eva Ellermann stehen im ARD-Hauptstadtstudio nebeneinander und schauen in die Kamera
Reem Alabali-Radovan und Korrespondentin Eva Ellermann im ARD-Hauptstadtstudio

"Patriarchale Strukturen gibt’s auch beim Oktoberfest"

"Völlig klar ist, wir müssen Migration ordnen und steuern", stellt die Migrationsbeauftragte klar. Allerdings kritisiert sie die Migrationsdebatte als aufgeheizt und teilweise populistisch. Ihr Kabinettskollege Cem Özdemir von den Grünen hat vor kurzem gefordert, es müsse über problematische Frauenbilder und patriarchale Strukturen von jungen Männern mit Migrationshintergrund geredet werden. Die Integrationsbeauftragte widerspricht im ARD Interview der Woche: "Ich finde, es geht insgesamt um patriarchale Strukturen, die wir ebenso in Deutschland erleben bei Menschen ohne Migrationsgeschichte. Ich denke da nur zum Beispiel ans Oktoberfest und was da manchmal so los ist." Bei der Integration müssten noch viele Hürden beseitigt werden. Für ihre kleine Tochter wünscht sich Alabali-Radovan: "Vor allem, dass sie die besten Chancen hat auf gute Bildung und ich glaube, das ist das, was sich alle Eltern wünschen, dass sie unabhängig von dem, was sie jetzt von ihrem Elternhaus mitbringen, unabhängig von ihrer Herkunft, von ihrem Namen, die Möglichkeiten hat, das bestmögliche Bildungssystem zu genießen."

"Ich stehe an der Seite der Jüdinnen und Juden und auch an der Seite der Palästinenserinnen und Palästinenser"

In wenigen Tagen jährt sich der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel – eine Zäsur, sagt die Integrationsbeauftragte. "Für mich gibt es keine Seite, zu der man sich stellen muss, sondern es geht um Menschenwürde", sagt Alabali-Radovan im Interview der Woche. Sie betont, dass Antisemitismus strafrechtlich verfolgt werden muss und wird. Dass der Konflikt teilweise mit Gewalt und Hass auf deutsche Straßen getragen wird, kritisiert sie, warnt aber zugleich davor, alle Demonstranten unter Generalverdacht zu stellen: "Antisemitismus geht auf solchen Demonstrationen überhaupt gar nicht. Es muss aber auch eben einen Raum geben für Menschen, wo sie auf das Leid der Menschen in Gaza oder in der Region hinweisen dürfen." Alabali-Radovan setzt auf den Dialog mit Juden und Muslimen.

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Ellermann, Eva