Habeck will die Grünen neu ausrichten und setzt auf einen bürgerlichen Kurs, der das politische Vakuum nach Merkel füllen soll. Im ARD Interview spricht er über Ampel-Streit, Haushalt und Ostwahlen.
Positiv nach vorne Richtung Zukunft: diesen Weg hat Kamala Harris bei ihrer Nominierung zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin versprochen. Zynismus überwinden, Zusammenhalt schaffen – das ist ihr Ziel. Dieselbe Richtung will auch Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) einschlagen. Im ARD Interview der Woche zeigt er sich davon inspiriert, "dass eine Stimmung im Land sich schnell verändern kann – auch zum Positiven".
Partei aus Mitte heraus: Neuer Richtungskurs bei den Grünen?
Einen anderen Kurs deutet Habeck auch für seine Partei an, die bei der Europawahl im Juni mit am meisten Stimmen verloren hat: Mehr als 500.000 Wähler sind zur Union gewandert, viele junge Wähler hingegen zu Kleinstparteien wie Volt. Wen also zurückgewinnen: Stammwähler oder bürgerliches Milieu? Robert Habeck will Zweiteres, den Kurs öffnen und die "Einigungsfähigkeit" der Grünen beweisen: "Eine Partei aus der Mitte heraus, die dieses Vakuum nach Angela Merkel nicht einfach leer lässt, sondern dahingeht. Und natürlich gibt es auch andere Vorstellungen von Politik von den Grünen, auch innerhalb meiner Partei. Aber nicht viele mehr." Habeck glaubt also, dass es kaum noch Grüne gibt, die die Partei weiter links positionieren wollen. Allerdings: Gerade aus den traditionell linkeren Landesverbänden, wie etwa Berlin, kamen zuletzt andere Stimmen.
Es ist ein schmaler Grat zwischen Wunsch und Wirklichkeit – auch innerhalb der Ampel-Regierung. Die Euphorie scheint abzunehmen. Der Kanzler bezeichnete die Zusammenarbeit kürzlich erst als "mühselig". Habeck stimmt ihm jetzt zu. Menschlich sei die Zusammenarbeit in der Ampel "in Ordnung", aber sobald Vorhaben öffentlich werden, werde es schwierig. Daran scheitern für Habeck Ampel-Projekte.
Bundeshaushalt: Habeck setzt auf Prinzip Hoffnung
Doch es gäbe viel zu tun, die Liste an Ampel-Vorhaben ist nach wie vor lang, die Zeit wäre noch da – doch ist die nötige Kraft dafür noch vorhanden? Habeck findet, "ich denke ja." Hoffnung dafür macht ihm ausgerechnet der Haushalt: Dieser wurde zum Streitthema, das die Sommerpause überschattet hatte. Im aktuellen Haushalts-Plan klafft ein zwölf Milliarden Euro großes Loch. Aufgefüllt wird diese Lücke derzeit mit Streit – Habeck will auf Hoffnung umschwenken: Vielleicht gelinge es "mit der Verabschiedung des Haushalts den Schalter umzulegen". Nach Habeck müsse sich die Politik in konstruktiven Vorschlägen überbieten, die nach vorne gerichtet seien – als Vergleich dient ihm der US-Wahlkampf von Kamala Harris, die auf eine positive Erzählung setzt, was für Habeck einen "Turnaround" darstellt.
Eine Wende wünscht sich der Grünen-Politiker auch bei der derzeit größten Oppositionspartei: "Vielleicht lernt die Union, dass nicht die Grünen ihre Hauptgegner sind, sondern dass wir ganz andere Feinde haben, die im Moment nicht nur den Rechtsstaat, sondern eine konstruktive Stimmung im Land zerstören wollen." Habeck ruft die Union dazu auf, sich zu besinnen und statt "scharfer Töne" Gemeinsamkeiten zu suchen.
Vor den anstehenden Landtagswahlen im Osten und rund ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, diskutiert die Union über eine Koalition mit den Grünen: Während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein Bündnis mit den Grünen ablehnt, plädiert der Regierungschef von NRW, Hendrik Wüst (CDU), dafür, sich alle Optionen offenzuhalten.
"Ich bin Vizekanzler"
Offen lässt Habeck nach wie vor die Antwort auf eine mögliche Kanzlerkandidatur: "Im Moment bin ich ein Vizekanzler. (…) Solange ich also dieses Privileg ausfüllen darf, will ich mich dem vollumfänglich stellen." Der Öffentlichkeit werde ein Kandidat präsentiert, "wenn die Zeit richtig ist."
Zeit für Hilfe sieht Habeck an anderer Stelle aktuell gekommen: für die Meyer-Werft in Papenburg. Bekannt für ihre Kreuzfahrtschiffe, erlebt die Werft die schwerste Krise ihrer 200-jährigen Geschichte. Die Gründe: zeitweise hohe Energie- und Rohstoffpreise. Die Bundesregierung will das Unternehmen mit Staatshilfen retten. Habeck setzt sich dafür ein, "weil die Küstenstandorte und die Werften wichtig sind für die Wertschöpfung in der Region. Weil die Meyer-Werft was kann, weil die Kreuzfahrtschiffe so oder so gebaut werden, dann sollten sie doch besser zu hohen Standards in Deutschland gebaut werden." Indem der Staat einspringe, würden zudem rund 3.300 Arbeitsplätze gesichert.
49 Maßnahmen für das Wachstum
Generell soll die Wirtschaft in Deutschland angekurbelt werden – so zumindest der Plan der Regierung namens "Wachstumsinitiative". Konkret sollen 49 Maßnahmen helfen, etwa durch Bürokratieabbau, vereinfachte steuerliche Abschreibungen, aber auch Reformen beim Bürgergeld. Habeck gibt sich im ARD Interview der Woche optimistisch: Einiges sei "in der Abarbeitung weit fortgeschritten."
Trotz aller hoffnungsvoller Worte, Pläne und Visionen: Die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen bereiten Vize-Kanzler Habeck "große Sorgen". Die Grünen könnten nach aktuellen Prognosen und Umfragen den Einzug in beide Landesparlamente nicht schaffen. "Das heißt, in der Tat ist es knapp", so Habeck.
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