Geld gesucht: Wie kommen die gesetzlichen Krankenkassen aus den Miesen?

Stand
Autor/in
Andreas Herrler

13,8 Milliarden Euro. Soviel Geld fehlt im nächsten Jahr bei den gesetzlichen Krankenkassen- das sagt der sogenannte Schätzerkreis. Die Kassen können ihre Zusatzbeiträge erhöhen. Wie das System reformiert werden könnte, erklärt Clarissa Kurscheid, Professorin für Gesundheitsökonomie und Präsidentin der EU|FH - Hochschule für Gesundheit, Soziales und Pädagogik, im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Herrler.

SWR Aktuell: Wenn wir darüber sprechen, was sich die Gesellschaft eigentlich in Sachen Gesundheit leisten möchte und leisten kann, dann muss man ja erst mal festhalten, dass es da im Prinzip zwei Gesellschaften gibt, nämlich die gesetzlich Versicherten und die Privatversicherten. Müsste denn dieser Graben nicht vielleicht erstmal geschlossen werden?

Clarissa Kurscheid: Ehrlich gesagt, ich sehe das noch mal ein bisschen anders. Es gibt zwei Gesellschaften, das ist richtig: Es sind die Menschen mit Beziehungen und sind die Menschen ohne Beziehungen. Die, die Beziehungen ins Gesundheitswesen haben, die bekommen einfach relativ schnell Zugang - und die ohne Beziehung, die stehen halt blöd da.

SWR Aktuell: Das heißt, dieser Graben hat wenig oder nichts mit dem Versicherungsstatus zu tun?

Kurscheid:Wenig.

SWR Aktuell: Aber wir hören doch trotzdem immer wieder, dass zum Beispiel Privatversicherte einen Facharzttermin relativ schnell bekommen, während gesetzlich Versicherte manchmal Monate warten…

Kurscheid:Ja, das ist einerseits richtig. Auf der anderen Seite ist es aber auch wirklich so, wenn sie einen guten Freund, Bekannten, Freundin haben, die Ärztin ist und Sie haben ein Problem, dann kümmert derjenige sich, und dann kommen sie einfach schneller an einen Termin. Es findet keine qualitätsorientierte Gesundheitsversorgung statt. Dann können sie das Paradigma des Privatversicherten natürlich noch mit dazunehmen. Das wäre dann der zweite Punkt, auch wenn ich weiß, dass sie sehr gerne da noch mal den Blick drauf werfen wollen. Wir können auch sagen: Die Diskussion in der letzten Woche, warum der Schätzerkreis erst einen Tag später die Zahlen rausgegeben hat, das lag unter anderem daran, dass Herr Lindner nicht dagegen war, dass die Beitragsbemessungsgrenze höher gesetzt wird. An der Stelle gebe ich Ihnen natürlich Recht.

SWR Aktuell: Aber wenn wir auf diesen „Beziehungsvorteil“ schauen, den Sie ansprechen: Ist das überhaupt etwas, wogegen die Politik etwas tun könnte?

Kurscheid: Nein. Aber vielleicht werfen wir mal den Blick auf das Thema gesamtgesellschaftliche Gesundheit und sagen, okay, wir müssen von diesem Reparaturparadigma weg, also nicht den Schwerpunkt auf die Krankenversorgung legen, sondern die Gesundheit stärker in den Fokus zu rücken, dass wir auch noch mal sagen müssen: Die Gesundheitspolitik dürften wir nicht isoliert betrachten, sondern wir müssten das als systemübergreifende Aufgabe der Sozialpolitik sehen, dass wir die Bildungspolitik mit dazunehmen, dass wir das Arbeits- und Sozialministerium dazunehmen, das wir zwischen den einzelnen Sektoren deutlicher Brücken bauen und ein Miteinander gestalten.

SWR Aktuell: Ginge das dann eher auch in Richtung Gesundheitsvorsorge?

Kurscheid: Unter anderem, ja.

SWR Aktuell: Wenn Sie sagen, die Gesundheit ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, dann sind wir vielleicht doch wieder auch beim Versicherungsbereich. Denn da hat ja die Politik, vor allem die SPD, auch mal über eine Bürgerversicherung gesprochen, dass man  das eben ein bisschen vielleicht auch gesamtgesellschaftlich vereinheitlicht. Wäre das eine gute Idee, diese Idee wieder auf den Tisch zu holen?

Kurscheid: Ich glaube, das ist politisch nicht tragbar derzeit. Wir könnten auch genauso hingehen – und das zeigt eine ifo-Studie, die im September rausgekommen ist - Anreize zur Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit zu schaffen, und da nochmal die freie Familienmitgliedschaft verändern und gleichzeitig halt auch hier Möglichkeiten schaffen, dass Frauen stärker erwerbstätig werden und dann auch als Mitglieder in die Sozialversicherung einzahlen.

SWR Aktuell: Klar, das Ziel ist, dass möglichst viele da einzahlen? Aber kann dieses System tatsächlich weiter funktionieren, wenn eben zum Beispiel zahlungskräftige, gutverdienende Menschen in die Sozialkassen nicht einzahlen, weil sie eben in einer privaten Versicherung sind?

Kurscheid:Ich glaube, dass der Anteil derer doch noch relativ klein ist. Aber wo ich ein Stück weit mit Ihnen gehe, ist, deutlich die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen.

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Andreas Herrler