In einer neuen Studie aus Großbritannien haben Unternehmen gute Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche gemacht. Wirtschaftsexperte Holger Schäfer meint aber: Wir müssten mehr arbeiten.
Holger Schäfer ist Wirtschaftswissenschaftler und Experte für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Er sieht die Studie zur Vier-Tage-Woche kritisch.
Alexander Winkler, SWR: Die Beschäftigten profitieren, die Unternehmen profitieren, wann kommt die Vier-Tage-Woche also auch flächendeckend in Deutschland?
Holger Schäfer: Ja, was die Studie aus England angeht, da handelt es sich ja um eine Positivauswahl von Unternehmen. Das war ja keine zufällige Auswahl von Unternehmen, die irgendwie repräsentativ wäre. Sondern es hat sich ja um Unternehmen gehandelt, die sich dafür beworben haben, für diesen Versuch, und die sozusagen ein inhärentes Interesse auch schon überhaupt daran haben, die Arbeitszeit für ihre Arbeitnehmer zu verkürzen.
Also insofern stellt sich schon die Frage, inwieweit die Befunde da übertragbar sind. Hinzu kommt, dass einige Befunde in der Tat eindeutig waren, etwa dass die Arbeitnehmer insgesamt durchaus zufriedener waren.
Aber andere Dinge sind gar nicht so eindeutig, etwa was die Produktivität betrifft. Es sind nämlich gar keine Daten erhoben worden, die es erlauben, wirklich die Produktivität zu beurteilen. Sondern es wurde lediglich nach dem Umsatz gefragt. Und auch diese Frage hat nur die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen auch tatsächlich beantwortet. Also: Wie sich die Produktivität entwickelt hat in den Unternehmen, können wir gar nicht zweifelsfrei feststellen.
Alexander Winkler, SWR: Sie haben von einer Positivauswahl von Unternehmen gesprochen. In welchen Branchen könnte diese Variante der Vier-Tage-Woche demnach am ehesten funktionieren und umgekehrt in welchen nicht?
Holger Schäfer: Ja, also die Unternehmen, die da teilgenommen haben, das waren hauptsächlich Dienstleistungsunternehmen, die insbesondere ganz stark von Bürotätigkeiten geprägt waren. Es gab insgesamt von den über 60 Unternehmen, die dort teilgenommen haben, nur drei Industrieunternehmen. Es waren auch eine ganze Reihe von Non-Profit-Unternehmen dabei, hauptsächlich kleinere eben.
Und es ist auch nicht überall tatsächlich die Vier-Tage-Woche eingeführt worden, sondern es war lediglich Bedingung, dass man die Arbeitszeit in nennenswertem Umfang reduziert. Insgesamt wurde die Arbeitszeit um elf Prozent in der Woche reduziert. Also das ist ja nicht die volle Minderung, die man bei einem zusätzlichen Tag frei tatsächlich hätte. Es ist teilweise kompensiert worden, ein bisschen durch Überstunden. Teilweise ist auch der Urlaub gekürzt worden, aber insgesamt, wie gesagt, Dienstleistungen im Bürobereich. Da kann es teilweise eben funktionieren.
Aber wo es dann natürlich überhaupt nicht funktionieren kann, sind all die Tätigkeiten, wo eben keine Produktivitätssteigerungen möglich sind oder sehr schwer zu realisieren sind - etwa im Bereich Gesundheit, Pflege oder auch im Einzelhandel im Verkauf. Auch da lassen sich im Grunde genommen keine nennenswerten Produktivitäts-Wachstumsraten erzielen. Schon gar nicht in dem Ausmaß, das notwendig wäre, um eine so deutliche Arbeitszeitverkürzung zu kompensieren.
Alexander Winkler, SWR: Aber gerade in der Pflege oder im Einzelhandel ist doch schon jetzt die Teilzeitquote extrem hoch. Das heißt, bei vielen würde sich durch eine nennen wir sie Vier-Tage-Woche, gar nicht die Arbeitszeit reduzieren, sondern der Lohn könnte steigen. Würde das nicht zumindest das Berufsfeld attraktiver machen?
Holger Schäfer: Ja. Auf der anderen Seite: Das Geld fällt ja nicht vom Himmel, sondern muss irgendwo herkommen. Und wenn die Preise steigen, dann sinkt auch die Nachfrage nach Dienstleistungen. Natürlich kann man die Löhne so hochdrehen, dass keiner mehr Arbeit nachfragt. Aber damit ist das grundsätzliche Problem nicht gelöst, dass wir nicht genügend Arbeitskräfte haben, um das zu produzieren, was wir gerne konsumieren wollen. Also da muss man natürlich auch sehen.
Wenn man jetzt danach fragt, inwieweit diese Befunde übertragbar sind auf Deutschland, ob sie uns in der Situation, in der wir sind, helfen würden, dann muss man, glaube ich, klar verneinen. Denn wir laufen ja in eine Situation rein, wo demografisch bedingt die Arbeitskräfte deutlich weniger werden. Und da kann ja die Lösung nicht sein, das dürfte eigentlich jedem unmittelbar einleuchten, weniger zu arbeiten. Sondern im Gegenteil: Wir müssten eigentlich mehr arbeiten.
Der Einzelne müsste mehr arbeiten, um das Niveau der Produktion aufrechtzuerhalten, was wir gegenwärtig haben. Wenn wir das nicht tun und weniger arbeiten wollen, dann bleibt uns das natürlich unbenommen. Kann ja jeder für sich selber auch verhandeln mit seinem Arbeitgeber. Dann haben wir halt weniger produziert, können auch weniger konsumieren, weniger umverteilen und haben insgesamt ein niedrigeres Wohlstandsniveau.
Alexander Winkler, SWR: Der Fachkräftemangel trifft aber auch die Unternehmen und Branchen, die jetzt in der Studie begeistert sind von der Vier-Tage-Woche. Wenn tatsächlich die Produktivität steigt oder zumindest gleich bleibt und gleichzeitig Arbeitsplätze attraktiver werden - können sich solche Unternehmen dem Trend nach einer Vier-Tage-Woche verschließen?
Holger Schäfer: Was die Studie zum Beispiel nicht belegen kann, ist die These, dass durch die Arbeitszeitverkürzung die Produktivität angestiegen ist. Dafür finden sich keine Belege.
Es gibt verschiedene teilnehmende Betriebe, die es geschafft haben, offensichtlich die Produktivität so weit zu erhöhen, dass das Output-Niveau in etwa konstant blieb. Wie gesagt: Es gibt keine direkt dazu erhobenen Daten, aber man kann es aus qualitativen Interviews schließen, die geführt worden sind.
Aber die Maßnahmen, die man dort getroffen hat, zur Produktivitätssteigerung - also zum Beispiel hat man Meetings stringenter gestaltet oder hat überhaupt weniger davon gemacht - und so weiter und so fort. All diese Maßnahmen könnte man natürlich auch einführen ohne die Vier-Tage-Woche.
Also einen Produktivitätsschub oder ein Produktivitätswachstum könnte man auch ohne Arbeitszeitverkürzung herstellen und dann entsprechend mehr produzieren. Also das ist nichts, was unmittelbar mit der Arbeitszeitverkürzung zusammenhängt.
Alexander Winkler, SWR: Das heißt alles zusammengenommen. Die Vier-Tage-Woche ist Ihrer Meinung nach eher eine Schnapsidee?
Holger Schäfer: Also grundsätzlich kann ja jeder Arbeitnehmer seine Arbeitszeit frei verhandeln, genau wie den Lohn. Das ist ja nichts, was uns irgendwie als Gesellschaft etwas anginge, sondern das kann jeder einzelne für sich machen. Und viele tun das ja auch.
Es gibt ja nicht eine 40-Stunden-Woche oder 39 Stunden-Woche in Deutschland, die verpflichtend wäre oder so, sondern jeder verhandelt ganz individuell seine Arbeitszeit. Und es gibt infolgedessen auch sehr viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. Das soll auch weiterhin so bleiben. Keiner will irgendwie den Leuten vorschreiben, wie viel sie zu arbeiten haben. Das können sie ganz gut für sich selber entscheiden.
Die Frage ist halt: Ist das ein Modell, was in Deutschland in der Situation, in der wir uns befinden und in die wir demografisch reinlaufen, wirklich weiterhilft? Ich glaube, das kann man klar verneinen.
Das Gespräch führte Alexander Winkler aus der SWR-Wirtschaftsredaktion.