Wegen des starken Schülerschwunds scheint die Werkrealschule ein Auslaufmodell zu sein. Trotzdem hängen viele Gemeinden an ihren Schulen - was tun?
Viele der 224 öffentlichen Werkrealschulen in Baden-Württemberg bangen um ihre Existenz. Grund dafür ist die Ankündigung der grün-schwarzen Landesregierung, den Werkrealschulabschluss in wenigen Jahren abzuschaffen. Die Politik reagiert damit auch darauf, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an einer Werkrealschule ihren Abschluss gemacht haben, drastisch gesunken ist. Im Jahr 2013 waren es noch gut 12.000, zehn Jahre danach nur noch knapp 4.000. Grund dafür ist vielfach, dass mehr Kinder auf Gemeinschaftsschulen und Realschulen gehen.
Protestaktion an Werkrealschule in Niefern-Öschelbronn
In Niefern-Öschelbronn im Enzkreis will sich der Gemeinderat nicht damit abfinden, dass die Werkrealschule ein Auslaufmodell sein soll. Die Kirnbachschule ist dreizügig, erst vor kurzem hat die Gemeinde als Schulträger ein neues Gebäude für sechs Millionen Euro bauen lassen.
Seit kurzem hängt an der Schule ein großes Banner mit der Aufschrift: "Finger weg von unserer Werkrealschule, Frau Kultusministerin. Der Gemeinderat." Das Besondere hier: Alle Fraktionen machen sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Schule - auch die Ökologen im Rat. Britta Jahn, Gemeinderätin von der Liste Mensch und Umwelt, sagte dem SWR: "Wir sehen das sehr kritisch, zum einen sagen wir: Wir müssen hier regional entscheiden. Wir wollen Lernende individuell fördern und das können wir nur, indem wir individuelle Schulbildung anbieten. Und dazu gehört eben die Werkrealschule."
Schulbehörden machen Druck: Protest-Banner soll weg
Das Regierungspräsidium Karlsruhe und das zuständige Schulamt finden die Protestaktion gar nicht lustig. Rektorin Christina Bier, die ebenfalls für den Erhalt ihrer Schule kämpft, sagte sicherheitshalber erstmal gar nichts mehr dazu. Der Hausmeister erhielt am Montag von oben den Auftrag, das Banner sofort abzuhängen. Doch der Gemeinderat als Schulträger hält ihn davon ab.
Erik Schweikert, Gemeinderat in Niefern-Öschelbronn und FDP-Landtagsabgeordneter in Stuttgart, sagte dem SWR: "Das Banner soll weg, aber das Schulgebäude gehört der Gemeinde. Das ist einstimmiger Gemeinderatsbeschluss. Ich bin mal gespannt, auf was sich die Juristen einigen, wann das wegkommt. Der Gemeinderat hat zumindest angeboten, er hängt es irgendwann ab, aber natürlich nicht dann, wann das Schulamt das jetzt gerne hätte." Die FDP ist auch im Landtag der engagierteste Kämpfer für den Erhalt der Werkrealschule.
Werkrealschulen: Gemeindetag hofft noch auf Einsehen bei Grünen und CDU
Der Protest in Niefern-Öschelbronn ist kein Einzelfall. Der Gemeindetag läuft Sturm gegen die Pläne des Kultusministeriums zur Abschaffung des Werkrealschulabschlusses.
"Mit dem drohenden Wegfall des Werkrealschule-Abschlusses stehen nach unserem Dafürhalten auch die Standorte infrage, weil diese Schülerinnen und Schüler und ihre Elternhäuser sich wahrscheinlich anders entscheiden würden, wenn nur Hauptschulen übrigbleiben", sagte Verbandspräsident Steffen Jäger dem SWR.
Er hofft, dass Grüne und CDU ihre Entscheidung nochmal überdenken. Wenn es jedoch dabei bleibe, müsse sichergestellt werden, dass die Schülerinnen und Schüler an den Standorten einen mittleren Bildungsabschluss machen können - auch dann, wenn die nächste Real- oder Berufsschule relativ weit entfernt sei.
Koalition arbeitet an Kooperation mit Berufsschulen
In der Koalition waren vor allem die Grünen um Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) treibende Kraft bei der Abschaffung des Werkrealschulabschlusses zum Schuljahr 2030/2031. Das heißt, nur noch der Jahrgang, der diesen September eingeschult wurde, kann noch den Abschluss machen. Zwar beteuert Schopper immer wieder, dass sie die Standorte erhalten will. Aber bekannt ist eben auch, dass die Grünen das Schulsystem gern in zwei Säulen aufteilen würden: in das Gymnasium und eine Schule für die Sekundarstufe 1.
Die CDU will grundsätzlich an der Werkrealschule festhalten. Sie hat diese Schulart im Jahr 2010/2011 in der Regierung mit der FDP aus der Taufe gehoben, um die Hauptschule aufzuwerten. Zu der jetzigen Abschaffung des Werkrealschulabschlusses steht die CDU. Doch jetzt arbeitet die Koalition daran, eine Perspektive für die bestehenden Werkrealschulen zu finden, wie Andreas Sturm, schulpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, dem SWR bestätigte.
Flexiblere Übergänge von Werkreal- zur Berufsschule
Über 70 Werkrealschulen arbeiten schon in Verbünden mit örtlichen Realschulen. Für die Schülerinnen und Schüler an den anderen Werkrealschulen soll es nach den Plänen, die das Kultusministerium derzeit ausarbeitet, demnächst flexiblere Übergänge zur Berufsschule geben. So sagte Sturm dem SWR: "Das ist eben so, dass wir in Baden-Württemberg starke Berufsschulen haben und wir sind daran interessiert, dass es da eine viel engere Verzahnung gibt zwischen den Sek-1-Schulen und den Berufsschulen, sodass man dann nach der Schule auch auf eine Berufsschule gehen kann, um dort den bisher etablierten mittleren Bildungsabschluss zu absolvieren."
Bisher können Jugendliche nach dem Hauptschulabschluss auf die Berufsfachschule wechseln, an der sie nach zwei Jahren einen mittleren Schulabschluss, vergleichbar mit dem Abschluss an der Realschule, machen können. Nach SWR-Informationen erwägt die Koalition, dass die Schülerinnen und Schüler der Werkrealschule künftig schon in der 9. Klasse in diesen Bildungsgang wechseln.
Daniel Hager-Mann, Ministerialdirektor im Kultusministerium, sagte dazu dem SWR: "Wir diskutieren auch weiterhin darüber, wie man Anschlüsse besser und flexibler gestalten kann. Beim Übergang vom ersten zum Mittleren Abschluss könnten die beruflichen Schulen eine noch stärkere Rolle spielen. Wie das funktionieren kann, besprechen wir derzeit."
Handwerk pocht auf Fachkräfteversorgung im ländlichen Raum
Für das Handwerk in Baden-Württemberg ist die geplante Abschaffung des Werkrealschulabschlusses kein Beinbruch.
"Worauf wir natürlich überhaupt nicht verzichten können, sind die Schulstandorte und auch die Schülerinnen und Schüler, die von dort kommen. Es ist ganz wichtig für die Fachkräfteversorgung unserer Betriebe gerade im ländlichen Raum", sagte Peter Haas, Hauptgeschäftsführer Handwerk BW, dem SWR.
Entscheidend sei für das Handwerk nicht die Bezeichnung des Abschlusses, sondern dass die Jugendlichen eine ordentliche Schulbildung bekommen. "Was nachher auf dem Zeugnis steht, welche Überschrift, das ist für uns im Handwerk gar nicht so erstentscheidend, wichtig ist, was tatsächlich drin war im Unterricht. Wurde ordentlich Deutsch gelehrt, wurde ordentlich Mathe gelehrt. Und was wir von den Werkrealschulen lernen können, ist ordentliche Berufsorientierung. Da können sich auch die Gymnasien noch ein Stück von abschneiden", so Haas weiter.
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