Für die in die sogenannten Polizei-Affäre verwickelte Polizistin hat ein Professor eine Solidaritätsaktion gestartet. Die Initiatoren sollen nun "von oben" zurückgepfiffen worden sein. Das Innenministerium dementiert eine Einflussnahme.
Angesichts des Skandals um sexuelle Belästigung bei der baden-württembergischen Polizei hat ein Professor von der Hochschule der Polizei schwere Vorwürfe gegen das Innenministerium erhoben. Der Inspekteur der Polizei steht wegen des Verdachts sexueller Nötigung vor Gericht. Aus der Hochschule für die Polizei kam jüngst der Aufruf, sich mit dem mutmaßlichen Opfer zu solidarisieren. Doch die Initiatoren wurden nun von der Hochschulleitung zurückgepfiffen.
Knut Latscha, Professor für Psychologie an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis), versteht die Welt nicht mehr. An der Hochschule der Polizei ist der Psychologieprofessor der Beauftragte für das Thema sexuelle Belästigung. Doch wenn er sich öffentlich dazu äußert, wird er "von oben" zurückgepfiffen. Latscha sagt: "Ich bin wahnsinnig frustriert."
Er erhebt massive Vorwürfe. Gegen die Polizeiführung und das baden-württembergische Innenministerium. Aus dem Fall des Inspekteurs der Polizei, der gerade vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt wird, habe man nichts gelernt. Im Gegenteil: Bei der Polizei in Baden-Württemberg herrsche ein Klima der Angst, sagte Latscha dem SWR. Das Thema sexuelle Belästigung werde nicht richtig aufgearbeitet, stattdessen schotte sich die Polizei ab.
Landespolizeipräsidentin: "Nein, wir verteilen keine Maulkörbe"
Nach den massiven Vorwürfen des Professors hat Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz im SWR Stellung bezogen. "Nein, wir verteilen keine Maulkörbe. Es gab in Bezug auf die Solidaritätsaktion, die Professorinnen und Professoren an der Hochschule in Villingen-Schwenningen gestartet haben, von oben keinerlei Weisung oder Intervention", stellte Hinz am Freitagabend klar.
Sie hielt Latscha vor, seine Behauptung, die Polizeispitze habe den Solidaritätsaufruf unterbunden, sei falsch. "Er hat die Vermutung geäußert und da wäre es natürlich schön gewesen, wenn er einfach mal versucht hätte, auch das zu verifizieren", sagte die Landespolizeipräsidentin.
Innenministerium denkt über finanzielle Hilfe für mutmaßliches Opfer nach
Die Chefin der Landespolizei erläuterte, dass es wegen des Aufrufs rechtliche Probleme gebe. "Jetzt ist aber so, dass bei uns auch an der Hochschule gewisse Regeln gelte", sagte Hinz. Da sind einige Dinge wie beispielsweise, dass man Verteiler offen genutzt hat, so, dass unsere Hochschulleitung sich das anschaut und zusammen mit den Initiatoren nach Lösungen sucht."
Man überlege, "wie man diesen Solidaritätsaufruf und auch diesen Spendenaufruf so gestalten kann, dass sich Kolleginnen und Kollegen dran beteiligen können". Hinz deutete an, dass auch das Innenministerium darüber nachdenkt, wie man dem mutmaßlichen Opfer angesichts der Anwaltskosten finanziell unter die Arme greifen kann. "Selbstverständlich ist uns das Thema der finanziellen Unterstützung sehr wohl bewusst, dass für die Kollegin da erhebliche Kosten im Raum stehen", sagte Hinz.
Initiatoren des Spendenaufrufs droht Disziplinarverfahren
Was ist passiert? Der Dozent an der Hochschule in Villingen-Schwenningen hatte vergangene Woche gemeinsam mit sieben Kolleginnen einen Spendenaufruf für die Polizistin gestartet, die vom Inspekteur der Polizei sexuell genötigt worden sein soll.
Diese Solidaritätsaktion sei nun von oben gestoppt worden, erklärt Latscha. "Man hat uns disziplinarische Maßnahmen angedroht. Es würde gegen alle ermittelt." Die Leitung der Hochschule habe erklärt, die Initiatoren des Aufrufs hätten womöglich gegen das "Neutralitätsgebot" verstoßen. Es drohe ein Disziplinarverfahren, Latscha ist selbst Beamter.
Professor spricht von "Machtmissbrauch von oben nach unten"
Latscha geht davon aus, dass die Weisung aus dem Landespolizeipräsidium im Innenministerium kam. Für den Professor demonstriert diese Maßnahme, dass bei der Polizei grundsätzlich etwas schiefläuft. "Das zeigt: Bei der Polizei gibt es eine Form des Machtmissbrauchs, der von oben nach unten geht."
Er könne nicht verstehen, warum der Aufruf in der Polizeiführung auf Widerstand stoße: "Es geht ja gar nicht nur um die sexuelle Belästigung, sondern um das Machtgefälle, das hier ausgenutzt wurde. Allein das ist für eine Führungskraft unmöglich."
Innenministerium: Es gab keine Weisung von oben an die Hochschule
Das Innenministerium widersprach den Vorwürfen des Professors: "Es gab in der hochschulinternen Angelegenheit keine Weisungen von oben", sagte eine Sprecherin. Der Spendenaufruf aus der Hochschule zeige: "Die Menschen bei der Polizei beschäftigen sich mit dem Fall. Sie leisten einen Beitrag. Jeder kann selber für sich entscheiden, ob er den Aufruf unterstützt oder nicht. Auf jeden Fall ist er aber Teil der Aufarbeitungsprozesses."
Das Ministerium erklärte zudem, die Vorwürfe gegen den Inspekteur würden aktiv aufgearbeitet. "Wir haben immer gesagt: Wir dulden keinen Rassismus, keinen Extremismus, keinen Sexismus." Man sei auf dem Weg zu einer neuen, modernen Führungs- und Fehlerkultur. "In diesem Sinne ist es gut und folgerichtig, dass Verfehlungen eben nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden. Wir wollen, dass das nicht mehr stattfindet. Und dazu gehört, dass man jeden einzelnen Fall zu Tage bringt."
Hochschule spricht von rechtlichen Bedenken und Beratung
Ein Sprecher der Hochschule erklärte, die Leitung sei zu Beginn nur darüber informiert worden, "dass durch eine Gruppe von Dozierenden eine Solidaritätsaktion innerhalb der Hochschule gestartet werden soll. Diese war jedoch nicht näher konkretisiert.
Von einem Spendenaufruf war der Hochschulleitung zu diesem Zeitpunkt demzufolge nichts bekannt". Nach der Veröffentlichung des Aufrufs sei nun unklar, ob dieser rechtlich unbedenklich ist. "Daher wurde die Gruppe beraten und gebeten, das Spendenkonto bis zu einer Klärung zunächst ruhen zu lassen", erklärte der Sprecher.
Opposition: Mutige sollen eingeschüchtert werden
Die FDP-Innenexpertin Julia Goll kritisierte die Polizeispitze: "Anscheinend versucht man, die Solidaritätsbekundungen für das mutmaßliche Opfer des Inspekteurs im Keim zu ersticken und lässt damit die Polizeibeamtin im Stich. Unter Androhung von konstruiert erscheinenden juristischen Konsequenzen sollen diejenigen verunsichert und unter Druck gesetzt werden, die dem mutmaßlichen Opfer beistehen wollen", sagte sie dem SWR. Strobl müsse sich hierzu umgehend äußern.
Sascha Binder von der SPD zeigte sich schockiert, dass die Solidaritätsaktion gestoppt worden sei. "Die Beamtin hat Respekt für ihren Mut verdient. Ihr ist es zu verdanken, dass krasse Missstände in der Polizei zu Tage getreten sind, die vorher von einer Mauer des Schweigens umhüllt waren." Der SPD-Innenpolitiker sagte weiter: "Dass den engagierten Beamtinnen und Beamten nun gedroht wird und sie eingeschüchtert werden, ist ein Skandal und ein fatales Zeichen für all jene, die von sexueller Belästigung betroffen sind." Wenn der Professor von einem "Klima der Angst" und "Machtmissbrauch in der Landespolizei" spreche, sei das beängstigend.
Verfasser des Aufrufs sehen in Polizistin ein Vorbild für andere
Die Initiatoren des Aufrufs hatten eine E-Mail an die Polizeibeamtinnen und -beamten des Landes geschrieben mit dem Titel: "Solidarität mit einer, die Mut hat, sexuelle Belästigung anzuzeigen". Die Verfasser schreiben weiter: "Die psychischen Belastungen, die die Kollegin u.a. durch Vorwürfe und Anfeindungen von innen und von außen erleidet, lassen sich nur erahnen." Die Polizistin, die in den höheren Dienst wollte, soll im November 2021 vom Inspekteur Andreas R. sexuell genötigt worden sein. Es sei ihr Respekt zu zollen, dass sie das Erlebte öffentlich gemacht habe und "diesen Weg stellvertretend für andere Betroffene" gegangen sei. Mit ihrem Aufruf wollen die Initiatoren dem mutmaßlichen Opfer zeigen, dass "sie nicht alleine ist". Sie rufen dazu auf, Geld zu spenden, weil die Polizistin als Nebenklägerin Anwaltskosten im fünfstelligen Bereich haben werde.
Die acht Verfasser um Latscha mahnen die Beschäftigten in der Polizei, bei sexueller Belästigung aktiv zu werden. "Indem man nicht wegschaut, sondern sich klar positioniert, Missstände thematisiert und betroffenen Kolleg:innen zur Seite steht." Sie appellieren an mögliche Opfer sexualisierter Gewalt innerhalb der Polizei, ihre Erlebnisse nicht für sich zu behalten: "Auch wenn es Sie Mut kostet und Angst hervorruft, machen Sie es öffentlich und wenden Sie sich an die entsprechenden Ansprechstellen."
"Ertragt es, seid ruhig": Dozent sieht verheerendes Signal
Wenn nun der Aufruf unterbunden werde, sei das verheerend, sagte Latscha dem SWR. "Was für ein Zeichen sendet man mit dieser Maßnahme aus? Haltet die Fresse oder prüft erstmal sieben Monate rechtlich, ob ihr so einen Aufruf starten dürft." Für die Mit-Initiatorinnen sei die Ansage von oben bedrohlich gewesen. "Da stehen sieben selbstbewusste Frauen und sagen zu mir: 'Sag‘ es ab, ich habe Angst.'"
Aus Sicht des Professors hätte die Hochschulleitung auch anders mit dem Aufruf umgehen können. "Man hätte sagen können: Die dürfen ihre Meinung haben. Stattdessen wird mit der rechtlichen Keule hantiert." Er fragt sich, wie die Kolleginnen nach dieser Ansage weiterarbeiten sollen. "Eine Kollegin hält Vorträge über Zivilcourage, wie soll die denn jetzt damit umgehen?" Es könne doch nicht sein, dass das Signal von oben sei: "Ertragt es, seid ruhig." Er selbst sei derzeit wegen eines Freisemesters zwar nicht an der Hochschule, aber auch er stelle sich nun Fragen zu seiner Tätigkeit.
Gesprächsangebot an Innenminister Strobl
Der Professor setzt noch darauf, dass Innenminister Thomas Strobl (CDU) sich selbst einschaltet. "Ich würde gern mit Herrn Strobl sprechen." Schließlich habe sich der Minister kürzlich selbst deutlich vom freigestellten Inspekteur distanziert. Strobl habe sich neulich im Landtag selbst klar positioniert und gesagt, der Inspekteur könne nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren. "Das sagt mein Dienstvorgesetzter und gegen mich soll ermittelt werden", so Latscha. Er appellierte nun an den Minister, sich solidarisch mit der Polizistin zu zeigen. "Strobl könnte sich Lorbeeren verdienen, wenn er sagen würde, man bezahlt dem mutmaßlichen Opfer die Anwaltskosten."
Der Dozent vermisst - trotz aller Bekenntnisse nach außen - ein klares Umdenken bei der Polizeiführung im Umgang mit sexueller Belästigung. "Wieso positionieren sich die Polizeipräsidenten nicht?", fragte Latscha. Er ist auch irritiert darüber, dass die Fachleute der Hochschule bei geplanten Maßnahmen des Innenministeriums nicht eingebunden werden. "Bei der neuen Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung wurden wir gar nicht beteiligt. Jetzt im Nachhinein sollen wir uns dazu äußern."
Die Hochschule für Polizei hat ihren Sitz in Villingen-Schwenningen, es werden aber an weiteren sechs Standorten im Land Polizistinnen und Polizisten für den mittleren, gehobenen und höheren Polizeivollzugsdienst ausgebildet.
Polizei-Affäre in Baden-Württemberg BW-Innenminister Strobl glaubt nicht an Rückkehr des Polizei-Inspekteurs
Der freigestellte Inspekteur der Polizei soll eine Untergebene sexuell genötigt haben - der Prozess läuft. Strobl kann sich persönlich nur schwer vorstellen, dass Andreas R. in sein Amt zurückkehren wird.
Die Vorgeschichte:
Innenminister Strobl steht in Zusammenhang mit der Polizei-Affäre in Baden-Württemberg selbst stark in der Kritik - unter anderem wegen der Weitergabe eines Anwaltsschreibens an einen Journalisten. Strobl hatte damit gegen Datenschutzrecht verstoßen. Bevor er die Weitergabe eingestand, hatte sich das Innenministerium geweigert, die Staatsanwaltschaft ermitteln zu lassen. Die SPD forderte im vergangenen Jahr sogar den Rücktritt Strobls.
Der inzwischen freigestellte Inspekteur der Polizei soll 2021 eine junge Polizeibeamtin sexuell belästigt haben. Vor dem Stuttgarter Landgericht läuft ein Prozess gegen ihn wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung. Dabei soll geklärt werden, ob der Mann seine Machtstellung als ranghöchster Polizist des Landes und Vorgesetzter der Kommissarin missbrauchte, um sie zu sexuellen Gefälligkeiten zu drängen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigt sich zudem mit sexueller Belästigung in Landesbehörden, der Beförderungspraxis bei der Polizei und der Weitergabe des Anwaltsschreibens durch Innenminister Strobl.
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