Pfarrer Ralf Sedlak aus Langenau wehrt sich seit Monaten gegen Störer, die ihn und seine Gemeinde belästigen. Und alles nur, weil er der Hamas-Opfer in Israel gedenken wollte.
Ein evangelischer Pfarrer in Langenau (Alb-Donau-Kreis) hat ein großes und vor allem lautes Problem: Seit fast einem Jahr werden Ralf Sedlak und seine Gemeinde von einem Mann und seinen Unterstützern bedrängt und angepöbelt. Angefangen hat alles vor etwa einem Jahr, als der Pfarrer in seiner Predigt kurz auf den Terrorangriff der Hamas in Israel einging.
Störer unterstellt Pfarrer Falschnachrichten
Sonntagmorgen, 6. Oktober 2024: In der Martinskirche in Langenau feiert die Gemeinde das Erntedankfest. Eigentlich ein fröhlicher Anlass. Doch vor dem Gotteshaus steht ein Streifenwagen der Polizei. Immer wieder ist in den Gesprächen zwischen den Kirchgängern von einem Mann zu hören, auch mit der Frage, ob er schon gesehen worden sei. Die Rede ist von einem Störer, der Pfarrer Sedlak und seine Gemeinde immer wieder attackiert.
Der Auslöser für den Psychoterror liegt etwa ein Jahr zurück. In einer Predigt will Sedlak der Menschen in Israel gedenken, die am 7. Oktober 2023 Opfer des Hamas-Überfalls wurden. Nach wenigen Worten wird er von dem Mann mit Zwischenrufen unterbrochen. "Fake News" würde der Pfarrer verbreiten, so der Vorwurf. Erst nach einigen Minuten schaffen es Mitarbeiter der Gemeinde, den Störer zum Verlassen der Kirche zu bewegen.
Wöchentliche Protestaktionen vor der Kirche in Langenau
Es ist der Anfang einer ganzen Serie von Vorfällen. Vor dem Wohnhaus des Pfarrers, in dem er mit seiner Familie lebt, werden Aufkleber mit der Aufschrift "Faschist" entdeckt. Seit Karfreitag organisiert der Mann mit seinen Unterstützern zudem wöchentlich Kundgebungen vor der Kirche mit israelfeindlichen Plakaten - dabei sind sie immer höchstens zu zweit, um nicht als Versammlung zu gelten.
"Das sind Dinge, die die Kirchengemeinde begleiten, die die Menschen hier am Ort belästigen", so Pfarrer Sedlak. Doch es gibt auch Vorfälle in seinem familiären Umfeld. "Man geht mit mehr Vorbehalten in die Öffentlichkeit, auf der anderen Seite möchten wir uns auch nicht einschüchtern lassen, also keinen Raum für Hass und Hetze geben." Sedlak sieht sich als Opfer in einem Konflikt, in dem er nicht der richtige Ansprechpartner sei.
Kirchgänger sind verunsichert
"Ich hab's halt einmal mitgekriegt, dann bin ich auch auf den Mann zugegangen", erzählt ein Kirchgänger, der zum Erntedankfest gekommen ist. "Und hab' gemerkt, dass der richtig aggressiv ist, dass man mit dem gar nicht reden kann. Dass da gar keine Diskussionsbasis vorhanden ist." Ein Mesner hat mittlerweile ein "mulmiges Gefühl", wenn er nach dem Gottesdienst die Kirchentüren öffnet.
Eine Besucherin findet ärgerlich, "dass ich von den älteren Damen schon gehört habe, dass die gar nicht mehr zum Hauptausgang rausgehen möchten. Weil sie schon wissen, dass sie da angepöbelt werden." Ein weiteres Gemeindemitglied merkt an, dass die Polizei zwar nicht jede Woche da sei, aber relativ oft.
Landesbischof und Dekan äußern sich zum Konflikt
Die Protestaktionen vor der Langenauer Kirche sind auch bis zum evangelischen Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl durchgedrungen. Ihn irritiere, dass ein Mensch, der sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen möchte, so massiv gegen Familien und Kirchgänger vorgehe, so Gohl. Allerdings bewege sich der Mann im "Korridor der freien Meinungsäußerung."
Dekan Torsten Krannich vom Ulmer Kirchenbezirk ist im regelmäßigen Austausch mit Pfarrer Ralf Sedlak. Er sieht eine schwierige Situation. Mit dem Störer sei eine normale Diskussion wohl nicht mehr möglich. Er habe bereits von Kirchgängern gehört, dass sie den Gottesdienst nicht mehr besuchen würden, weil das für sie zu "anstrengend ist."
Störer kommt am Sonntag nicht zum Erntedankfest
Immer wieder ermitteln auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Der Stadtverwaltung Langenau seien bei diesem Konflikt bisher die Hände gebunden, so Bürgermeisterin Daria Henning (CDU). "Es müsste schon eine konkrete Gefahrensituation vorliegen oder Hinweise vorliegen, dass gewisse Straftaten begangen werden." Dann könne im Vorfeld beispielsweise ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen werden.
An diesem 6. Oktober, als der SWR mit einem Kamerateam vor Ort ist, braucht es so ein Aufenthaltsverbot aber nicht. Denn weder der Störer noch seine Unterstützer tauchen auf. Zum ersten Mal seit langer Zeit, so Ralf Sedlak. Dass damit der Protest beendet ist, glaubt der Pfarrer aber nicht. Er hofft dennoch, dass bald wieder Ruhe einkehrt und die Belästigungen aufhören.
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