Seit 23 Jahren leitet Claudia Schumann das Hospiz in Ulm. Ende des Jahres geht sie in den Ruhestand. Im SWR-Interview erzählt sie, wie sie das Thema Sterben verändert hat.
Die langjährige Leiterin des Ulmer Hospizes, Claudia Schumann, geht Ende des Jahres in den Ruhestand. Sie erzählt über ihre Arbeit, das Hospiz am Ulmer Michelsberg und ihren Blick auf das Sterben.
SWR Aktuell: Das Hospiz in Ulm bietet einen Blick über Ulm in Richtung Alpen. Was macht denn dieser Blick mit den Menschen?
Claudia Schumann: Es ist ein tröstlicher Blick, der unseren Gästen einfach diese Verbundenheit mit der Stadt bietet. Wir haben eine große Dachterrasse. Auf dieser Dachterrasse können wir auch unsere Gäste mit den Betten hinausfahren, da haben sie dann den Blick auf das Münster, und das ist so eine ganz wichtige Verbundenheit. Der Blick in die Alpen, die Sonne und das Licht, das tut unseren Gästen gut, und den Angehörigen übrigens auch.
SWR Aktuell: Wenn man an den Tod und das Sterben denkt, da haben viele Menschen Berührungsängste. Jetzt schildern Sie das in einem sehr positiven Licht. Wie würden Sie denn die Stimmung im Haus beschreiben?
Schumann: Bei uns geht es nicht darum, dass es jetzt ein Haus ist, in dem primär das Sterben im Vordergrund steht, sondern wir sagen: Leben bis zuletzt. Wir gestalten Leben bis zuletzt, und bis zuletzt heißt wirklich bis zum letzten Atemzug. Wenn die Menschen bei uns sind und noch Wünsche haben, dann versuchen wir, diese Wünsche zu erfüllen. Da kann es auch passieren, dass eine Krankenschwester mitten im Januar draußen den Grill aufbaut, weil sich ein Gast noch ein Grillfest gewünscht hat und wir nicht wissen, wie viel Zeit bleibt.
SWR Aktuell: Sie leiten das Hospiz seit 23 Jahren. Ende des Jahres gehen Sie in den Ruhestand. Was hat diese Arbeit mit Ihnen gemacht?
Schumann: Sehr viel. Ich glaube, ich bin persönlich extrem an dem Thema gewachsen. Natürlich hat jeder Mensch Angst vor dem Thema Tod, vor dem Thema Sterben und auch vor Trauer. Und trotzdem gehört es einfach zu unserem Leben dazu. Das ist wie der Anfang - die Geburt, da gehört das Sterben dazu. Die Annäherung an dieses Thema, das vertraut machen mit diesem Thema, das Thema zulassen und in das eigene Leben zu integrieren, immer mit dem Wissen - es ist auch endlich, das macht unheimlich reich.
Diese Angst vor dem Sterben ein Stück weit zu kontrollieren, oder in den Griff zu kriegen, das befreit auch. In unserem Haus wird extrem viel gelacht und ist sehr viel gute Stimmung, das merkt man. Eigentlich jeder, der kommt, sagt, hier ist irgendwas Besonderes.
SWR Aktuell: Gab es denn auch Berührungsängste mit dem Thema?
Schumann: Als Freunde oder Verwandte mitgekriegt haben, dass ich beim Hospiz arbeite, haben die mit dem Kopf geschüttelt, oder es kamen Sätze wie: "Aha, schöner sterben", oder "Das könnte ich nie". Also viel Ablehnung. Es war gar kein Thema, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen.
SWR Akuell: Stimmt es, dass Sie im Hospiz einmal einen Umschlag mit 5.000 Euro im Briefkasten gehabt haben?
Schumann: Ja. Da war ich fassungslos. Es war eine komplett anonyme Spende und wir konnten uns nicht bedanken. Also, ich bedanke mich bei jedem Spender und die liebste Spenderin war eine ganz alte Dame im Anna-Stift, da musste ich jedes Jahr einmal antanzen und dann hat sie mir so nen selbstgehäkelten kleinen Umschlag mit 5 Euro für unser Hospiz gegeben, und für das bin ich genauso dankbar.
SWR Akuell: Mit dem Wort Wunder muss man ja vorsichtig umgehen. Aber, Frau Schumann, gab es in all den Jahren auch das eine oder andere Wunder, dass Sie Menschen bei sich im Hospiz hatten, die plötzlich wieder gesund geworden sind?
Schumann: Ja, die gibt es, die gibt es, die gibt es. Ich erinnere mich an eine Dame, die kam zu uns und hat zu mir gesagt, sie hat nur noch wenige Tage zu leben und das wisse sie und sie wäre mit allem einverstanden. Nach zwei, drei Wochen hat sie mich gefragt, ob sie unser Klavier zum Üben nehmen kann. Und nach drei Monaten ist sie wieder zurück in ihr Haus gezogen und hat gesagt, das Hospiz Ulm habe sie gerettet.