Nach Messerangriff auf Mädchen

Bürgermeister von Illerkirchberg: "Werde massiv angegangen"

Stand
Interview
Tim Diekmann
Onlinefassung
Kristina Priebe
Kristina Priebe

Der tödliche Messerangriff in Illerkirchberg hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Den kleinen Ort hat das überfordert. Im Interview schildert Bürgermeister Markus Häußler, wie er diese Tage erlebt.

Markus Häußler (parteilos) ist seit 2020 Bürgermeister von Illerkirchberg in der Nähe von Ulm. Am Morgen der Tat war er persönlich am Tatort - und auch am Abend, als die ersten rechten Parolen vor der Asylbewerberunterkunft laut wurden. Das Medieninteresse an seiner Gemeinde wuchs, gleichzeitig musste die Illerkirchberger Verwaltung heftigen Anfeindungen begegnen. Im Interview erzählt der Bürgermeister, wie die Gemeinde damit umgeht.

SWR Aktuell: Herr Häußler, wie geht es Ihnen jetzt mehr als eine Woche nach dieser schrecklichen Tat in Ihrer Gemeinde?

Markus Häußler: Ich persönlich bin nach wie vor schwer betroffen und trauere mit meiner Gemeinde über diesen schrecklichen Vorfall. Wir sind natürlich geschockt, dass sich diese Tat hier bei uns ereignen konnte, dass hier zwei Mädchen Opfer eines so brutalen Angriffs waren. Ich persönlich und meine Mitarbeiter sind gerade im "Funktionieren-Modus". Wir sind sehr angespannt. Eine kleine Gemeinde mit einem überschaubaren Rathausteam sieht sich gerade einem sehr großen Andrang ausgesetzt und natürlich auch mit einer großen Anzahl an Presseanfragen, die wir gar nicht alle bewältigen können.

SWR Aktuell: Was ist da auf Sie eingestürmt nach der Tat? Worum müssen Sie sich jetzt kümmern?

Häußler: Das große Medieninteresse an der Tat war einfach für unsere kleinen, dörflichen Strukturen zu groß. Vor allem lag für uns der Fokus auch auf der Familie. Es war mir persönlich ein ganz großes Anliegen, sowohl der Familie des getöteten Mädchens als auch der Familie des verletzten Mädchens Hilfe anzubieten, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Und mir war es auch ein ganz großes Anliegen, gleich an die Bürgerschaft die Botschaft zu senden, dass man jetzt bitte keinen Generalverdacht äußern soll, und sich gegen Gewalt stellen soll. Deshalb der offene Brief. Das war übrigens auch ein großer Wunsch der beiden betroffenen Familien. 

SWR Aktuell: Sie haben bereits zwei offene Briefe geschrieben. Einen auch nach dem Suizid eines zunächst Tatverdächtigen. Hatten Sie den Eindruck, dass diese Worte ankamen?

Häußler: Ich habe den Eindruck, dass diese Worte sehr wohl ankamen. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen bekommen aus der Gemeinde, die dankbar war für die offenen, für die klaren Worte. Auch für den Aufruf eben, diesen Generalverdacht nicht zu äußern, sich ganz klar hinter diese Botschaft zu stellen: Keine Gewalt in unserer Gemeinde, wir sind dagegen. Wir sind auch im Übrigen dagegen, diese Tat politisch zu vereinnahmen. Wir möchten gemeinsam trauern. Es kamen tatsächlich auch sehr viele schöne Rückmeldungen, die mir und auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr gut getan haben.

SWR Aktuell: Die Bürgerschaft steht hinter Ihnen, sagen Sie, aber diese Vereinnahmung passiert ja gerade schon. Wenn man in die sozialen Netzwerke schaut, oder auch bei Ihnen in der Gemeinde. Schon kurz nach der Tat hat es eine AfD-Demo gegeben, am Montag gab es eine vom rechtsextremen "Dritten Weg", die diese Tat vereinnahmen. Was macht das mit Ihnen?

Häußler: Ich persönlich halte es für höchst unpassend, diese Kundgebungen in einer Gemeinde abzuhalten, die gesamtheitlich trauert. Sie haben das vielleicht auch gesehen oder gehört: Es haben sich auch Bürger zu einem stillen Protest getroffen. Das fand ich ganz stark und bin da wirklich stolz auf meine Bürgerinnen und Bürger

SWR Aktuell: Der Landrat des Alb-Donau-Kreises Heiner Scheffold hat am Montag in der Kreistagssitzung erwähnt, dass Sie ganz persönlich mit viel Hass, Hetze und auch Bedrohungen zu tun haben. Was können Sie dazu sagen? 

Häußler: Tatsächlich ist es so, dass ich persönlich und auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter massiv angegangen werden. Ich war und bin wirklich entsetzt über die Wortwahl, die sich hier manche Absender zu eigen machen, und wie sie mit uns umgehen. Andererseits, und das ist mir eigentlich viel wichtiger zu betonen: Wir bekommen wirklich aus der Gemeinde sehr viel Zuspruch und Rückhalt. Das gibt uns, das gibt mir persönlich sehr, sehr viel Kraft in dieser Zeit, um auch an der Seite der Familien und der Bürgerinnen und Bürger zu stehen, die jetzt ganz klar Fragen haben. Diese Fragen müssen auch aufgearbeitet werden

SWR Aktuell: Können Sie konkret sagen, worum es bei diesen Anfeindungen geht?

Häußler: Konkret möchte ich das nicht sagen. Aber wenn eine entsprechende Wortwahl zutage tritt, erfolgt das Ganze anonym, und das macht es ein Stück weit noch bedrückender. Wenn ich jemanden habe, mit dem ich ins Gespräch gehen kann, dann kann ich vielleicht noch mal den Austausch suchen oder dann auch strafrechtlich vorgehen, wenn es denn in diesen Bereich geht.

SWR Aktuell: Was würden Sie denn den Menschen gerne mitgeben, die jetzt Hass und Hetze schüren?

Häußler: Man muss sich zunächst mal überlegen: Wie möchte man denn selber, dass mit einem umgegangen wird? Dass es Fragen gibt, ist für mich völlig selbstverständlich und als gewählter Vertreter ist man das auch gewohnt, dass man auf teilweise kritische Fragen eingeht. In unserem Grundgesetz in Artikel eins steht drin: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Und wenn sich jeder von dieser Maxime leiten ließe, dann könnten wir in eine sachliche Diskussion kommen, in der wir auch viele Fragen beantworten können. Das wäre mein Appell. Auch in Worten kann man Gewalt und Aggressivität entgegenbringen. Das darf in unserer Gesellschaft nicht sein.

SWR Aktuell: Wir haben die beiden Pfarrer begleitet, die sagen, es sei still geworden im Ort. Trotzdem gibt es den Bedarf an geschützten Räumen, wo miteinander kommuniziert werden kann. Wie nehmen Sie denn Ihre Gemeinde in diesen Tagen wahr?

Häußler: Ich kann das bestätigen. Das war schon greifbar. Ich finde solche Zusammenkünfte in geschützten Räumen jetzt ganz wichtig und es ist auch wichtig, dass das jetzt angeboten wird. Ich bin da den Kirchen sehr dankbar, dass sie das tun, dass sie diese Räume anbieten. Man muss darüber sprechen, um diese Trauer, um dieses Geschehen verarbeiten zu können.

SWR Aktuell: Glauben Sie, dass es einen Weg zur Normalität für Ihre Gemeinde gibt? 

Häußler: Die Tat ist jetzt eine gute Woche her. Wir sind natürlich noch ganz am Anfang. Die polizeilichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Natürlich macht es mit einer Gemeinde etwas. Das wird noch lange Zeit dauern, bis man das tatsächlich aufgearbeitet hat. Ob es eine Normalität in dieser Form geben wird, kann ich schlicht und ergreifend nicht beantworten. Ich kann nur sagen, dass wir noch einen Weg vor uns haben, den wir gemeinsam gehen müssen. Und auf diesem Weg werden wir uns viele Fragen stellen müssen. Auf die werden wir gemeinsam versuchen, Antworten zu finden.

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