Die Initiative von sechs Hebammen hat ein Ulmer Geburtshaus im Visier. Eine Immobilie ist gefunden und bald begleiten die engagierten Hebammen Hausgeburten. Als Alternative zur Klinik.
In der Ulmer Oststadt gibt es eine Immobilie, die bald zum Geburtshaus werden soll. Ursprünglich sieben, aktuell noch sechs Hebammen haben sich im vorigen Jahr zu einer Initiative zusammengeschlossen, um werdende Mütter persönlich und individuell zu begleiten. Damit wollen sie eine Alternative zu Geburten in großen Krankenhäusern bieten.
Hebamme Ines Paschke: "Man lernt sich besser kennen"
Los geht es schon in der Schwangerschaft. Gründungshebamme Ines Paschke untersucht eine werdende Mutter in der neunzehnten Woche, sanft legt sie ihre Hände auf den Babybauch, ertastet die Größe des Fötus und erlauscht mit einem Hörrohr dessen Herztöne. Bei bis zu zehn Vorsorgeterminen, für die sich die Hebamme jeweils eine Stunde Zeit nimmt, entwickelt sich ein fast intimes Verhältnis zwischen der schwangeren Cathrin Wagner und ihrer Hebamme. Sie fühle sich in ihren Händen wohler und "besser verstanden als bei der Ärztin", sagt die Schwangere. Zur Gynäkologin geht Cathrin Wagner nur noch zu den Kontrollen per Ultraschall. Durch den engeren Kontakt könne Ines Paschke als Hebamme "schon mehr spüren und die Frau besser unterstützen - auch mit Tipps und Tricks, sagt sie.
Geburtshaus Ulm bietet Eins-zu-eins-Betreuung
Im geplanten Ulmer Geburtshaus garantieren die aktuell sechs Hebammen eine Eins-zu-eins-Betreuung von der ersten bis zur letzten Wehe. Und zuletzt, so Ines Paschke, begleiten sie die Gebärende sogar vierhändig. Denn, wenn das Kind auf die Welt kommt, dann sind sie zu zweit. "Das erfüllt mich selbst als Hebamme sehr", betont die 33-Jährige. Sie ist seit 2020 im Beruf und hat gerne den Dienst in der Klinik gegen die freie Tätigkeit getauscht.
Ulmer Hebammen: Fünf Wochen rufbereit bis zur Geburt
Freie Hebammen, wie etwa im Geburtshaus, müssen fünf Wochen lang vor dem Geburtstermin "ihrer Frau" Tag und Nacht in Rufbereitschaft sein, was die Krankenkassen mittlerweile auch vergüten. Als es noch anders war, haben das manche Hebammen allein "einfach nicht mehr stemmen können" und aufgegeben, erläutert Paschke. Deshalb brauche es ein neues Modell, das die Belastung auf mehrere Schultern verteile. An diesem speziellen Dienstplan tüftelt die Ulmer Hebammen-Initiative noch. Denkbar sind abwechselnde Zwölf-Stunden-Schichten.
Eine Immobilie in der Ulmer Oststadt ist längst gefunden, jetzt wartet die Initiative der Hebammen auf die gewerbliche Genehmigung der Stadt. Denn ein Geburtshaus gilt als Gewerbe. Geplant sind zwei Geburtsräume in sonnigen Farben. Das Gebäude mit Hinterhof solle ein wenig "höhlig" wirken, wie eine Höhle, wo man sich einkuscheln kann und sich nicht beobachtet fühlt. "Dann kann das Oxytocin fließen", meint Hebamme Ines Paschke. Das Bindungshormon und auch die schmerzstillenden Endorphine, die gleichen Hormone übrigens wie beim Liebesspiel, können nämlich die Geburt erleichtern.
Dessen ist sich auch Cathrin Wagner, die schon zwei Söhne hat, sicher. "In Räumen, die einfach mit Liebe für einen geschaffen wurden, fühlt man sich schon wohler", erklärt die bald dreifache Mutter. Ein Baby merke auf jeden Fall die Gefühle der Mama, betont sie: "Und wenn sich die Mama wohl fühlt, fühlt sich auch das Baby wohl." Deshalb möchte sie ihr drittes Kind am liebsten im geplanten Geburtshaus gebären. Nur ist dieses wahrscheinlich bis zum Termin im September noch nicht renoviert. Darum plant sie mit ihrer vertrauten Hebamme eine Hausgeburt, die zum Angebot des Ulmer Geburthaus-Teams gehört.
Interesse an Geburten außerhalb der Klinik wächst
Wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt, ist es laut Ines Paschke ein "heiliger Moment". Hierzulande erleben ihn die allermeisten der Mütter und Babys im Krankenhaus, nur zwei Prozent daheim oder im Geburtshaus. Tendenz steigend. In zwanzig Jahren hat sich die Quote verdoppelt, in Baden-Württemberg sind es derzeit 2.500 Geburten außerhalb der Klinik. Und dort, wo es gute Angebote wie Geburtshäuser gibt, liege die Quote höher, wie etwa in Villingen-Schwenningen. Das wäre auch eine Vision der engagierten sechs Hebammen für das gemeinsame Geburtshaus Ulm: "Wir wollen gemeinsam Großes bewirken!"
Geburtshaus "Zehn Monde" musste 2004 schließen
Sieben Jahre lang gab es schon ein Mal ein Ulmer Geburtshaus unter dem Namen "Zehn Monde", allerdings musste es aus Kostengründen 2004 schließen. In knapp sieben Jahren kamen hier etwa 400 Babys zur Welt. Seither geben die Hebammen in der gleichnamigen Praxis Vorbereitungs- und Rückbildungskurse. Ein herber Einschnitt für viele Ulmerinnen war bereits 1995 die Schließung der Söflinger Frauenklinik. Hier leiteten in erster Linie Beleghebammen bis zu 900 Geburten im Jahr.
Inzwischen hätten sich die Rahmenbedingungen für außerklinische Geburten verbessert, meint Ines Paschke. Mit wie vielen Geburten die Initiative im neuen Geburtshaus rechnet? Das sei schwer zu sagen. Wenn das Angebot da sei, käme auch die Nachfrage. Da zeigt sich die Gründungshebamme zuversichtlich: "Wir werden alle genug Arbeit haben." Mittlerweile hat eine der Berufskolleginnen im Alleingang das Geburtshaus "Vulvarium" in Ulm eröffnet - ohne die Unterstützung der Gruppe und des Fördervereins für das Geburtshaus Ulm, der sich monatlich trifft. Das sieht Paschke nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung: Hauptsache werdende Eltern hätten die Wahl.
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