Interview mit Ex-JVA-Chefin Sybille von Schneider

Als Gefängnisdirektorin in Gmünd "ein ganzes Leben hinter Gittern"

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Maja Nötzel
SWR-Aktuell Redakteurin Maja Nötzel
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Sabine Bauer

Das Frauengefängnis Gotteszell in Schwäbisch Gmünd ist die einzige Justizvollzugsanstalt für Frauen im Land. Sybille von Schneider war 20 Jahre lang Direktorin, bereut hat sie es nie.

Für viele ist es ein Ort, an dem sie nie waren und auch nie hinkommen werden - das Gefängnis. Man meint es zu kennen, aus dem Fernsehen und dem Kino. Die einzige Justizvollzugsanstalt für Frauen in Baden-Württemberg ist das Frauengefängnis Gotteszell, in einem ehemaligen Kloster in Schwäbisch Gmünd. Sybille von Schneider hat 36 Jahre dort gewirkt, die letzten 20 Jahre war sie Gefängnisdirektorin. Seit Juli ist sie im Ruhestand, jetzt im November wird sie offiziell verabschiedet.

SWR Aktuell: Frau von Schneider, stimmt denn das Bild, das man vom Gefängnis oder auch von Ihrer Aufgabe als JVA-Chefin hat, in irgendeiner Weise mit der Realität überein?

Sybille von Schneider: Ich glaube, wenn man das so aus der subjektiven Sicht sehen kann, unterscheidet sich das doch sehr. Wir Anstaltsleiter in Baden-Württemberg behaupten immer, dass unser Posten ähnlich ist wie der eines Bürgermeisters, weil auch von der Infrastruktur in einer Vollzugsanstalt eigentlich alles da ist, was in so einer kleinen Gemeinde auch da ist und es geht darum, diese kleine Gemeinde zu verwalten.

Sie haben ja Ihr ganzes Berufsleben sozusagen hinter Gittern verbracht - was hat Sie denn als junge Juristin dazu gebracht, sich dafür zu entscheiden?

Das war reiner Zufall. Während des Studiums und des Referendariats war ich reine Zivilrechtlerin und ich wollte eigentlich Zivilrichterin werden. Ein Referendarskollege meinte, das Anforderungsprofil einer ausgeschriebenen Stelle in der Justizvollzugsanstalt in Bruchsal würde eigentlich zu mir passen. Dann habe ich mich dort beworben, für die allgemeine Justiz. Die Abteilung Strafvollzug war schneller, und dort hieß es, falls es mir im Vollzug nicht gefallen würde, könnte ich in die allgemeine Justiz, und da habe ich gedacht: Na, das guckst du dir jetzt mal an. Das war eigentlich alles.

Und Sie haben es dann offensichtlich 36 Jahre lang nicht bereut und sind dort geblieben.

Ja, es ist ein hochinteressanter Beruf. Ich war noch zweieinhalb Jahre bei der Staatsanwaltschaft, aber sonst war ich die ganze Zeit im Strafvollzug. Es macht unglaublich viel Spaß, das ist so vielfältig. Im Vollzug ist es so: Sie wissen morgens nicht, was abends passiert sein wird, und es passiert ständig irgendwas Neues.

Haben Sie da ein Beispiel? Weil ich denke jetzt natürlich sofort an Gefängnisaufstand, irgendjemand greift jemand anderen an, aber ich glaube, das meinen Sie gar nicht, oder?

Nein, das meine ich nicht (lacht). Plötzlich entsteht ein Personalproblem, das sie lösen müssen, oder plötzlich ist eine unerwartete Baubesprechung angesagt, weil bei uns ja ständig irgendetwas renoviert wurde. Aber natürlich gibt es auch Probleme mit Gefangenen, aber nicht so dramatisch, wie man sich das draußen vorstellt, sondern ganz einfache Probleme: Zum Beispiel jemand kommt ins Krankenhaus, und man muss sich überlegen, wie man denjenigen jetzt bewacht.

Macht es denn einen Unterschied, in einem Frauen- oder in einem Männergefängnis zu arbeiten?

Ich glaube, die Schwerpunkte sind andere: Im Männervollzug hat doch die Gefährlichkeit der Männer eine andere Priorität als im Frauenvollzug. Dort sind es vielfach psychische Problem. Die Frauen sind psychisch überwiegend auffällig, und es ist auch nicht dieses große Thema, dass sie sich untereinander schlagen. Natürlich gibt es auch Ärger zwischen den Frauen, aber es wird eben anders ausgetragen als die Männervollzug.

Mit welchen Straftaten hat man es in der JVA in Schwäbisch Gmünd zu tun?

Da wir die zentrale Frauenvollzugsanstalt von Baden-Württemberg sind, ist bei uns alles vertreten: Von der Untersuchungshaft bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe, Zivilhaft oder Erzwingungshaft.

Frauengefängnis, das bedeutet ja auch, dass Mütter in Schwäbisch Gmünd einsitzen. In Gotteszell gibt es daher auch eine Mutter-Kind-Abteilung und einen Kinderhort. Wann ist denn ein Kind mit der Mutter im Gefängnis dabei?

Also die erste Voraussetzung ist, dass das Kind nicht älter ist als drei Jahre, bis die Mutter entlassen werden wird. Es ist einfach so, dass die Kinder ab drei Jahren schon sehr deutlich mitbekommen, wo sie sind, und wenn sie merken, dass ihre Mütter weniger Macht haben als die Frauen, die den Schlüssel haben, das ist aus unserer Sicht pädagogisch nicht sehr sinnvoll. Darüber hinaus darf keine Fluchtgefahr bestehen und kein Drogen- oder Alkoholproblem, weil die Mutter-Kind-Abteilung ganz am Rand ist und nur die alte Klostermauer davor ist. Und die Mutter muss zuverlässig sein, und es darf keine Kindswohlgefährdung vorliegen.

Wie läuft der Gefängnisalltag denn dann ab?

Die Mütter sind prinzipiell für ihre Kinder verantwortlich. Sie geben morgens ihre Kinder im Hort ab, bei Erzieherinnen, die teilweise auch Zusatzausbildung im uniformierten Dienst haben. Dann gehen die Mütter arbeiten, holen ihre Kinder nachmittags wieder ab, und sind dann für ihre Kinder wieder selbst verantwortlich. Das ist uns ein großes Anliegen, dass die Mütter einen ganz normalen Tagesablauf lernen.

So wie sie das erzählen, klingt das ja alles ziemlich locker, und auch zum Teil recht fröhlich...

Auch bei Führungen habe ich immer wieder gehört: Ach, es ist doch eigentlich hier ganz schön, und das wirkt doch so wie in einem Studentenwohnheim. Das ist auch durchaus die Absicht, dass das Ganze einen ganz normalen Alltag nimmt. Aber die Strafe liegt einfach darin, inhaftiert zu sein und der Freiheit beraubt zu sein, und das muss man schon deutlich in den Vordergrund stellen.

Ich bin im Übrigen nicht der Meinung, dass man den Vollzugsalltag besonders hart machen sollte, denn die Frauen sollen ja vor allem dazu gebracht werden, darüber nachzudenken, warum sie überhaupt inhaftiert wurden, und was sie dazu geführt hat. Und wenn Sie sich daran aufreiben können, dass die Bediensteten unfreundlich sind und dass das Essen schlecht ist, werden sie nicht dazukommen, darüber nachzudenken, wieso sie im Gefängnis sind.

Sie haben sicherlich auch schreckliche oder berührende Erlebnisse während Ihrer Zeit in Gotteszell gehabt, oder?

Wenn wir Jugendliche entlassen haben, die dann in Freiheit eigentlich niemanden hatten, keine Familie, keine zuverlässigen Bezugspersonen - das hat mich immer am meisten berührt. Weil ich es einfach schlimm finde, wenn junge Leute irgendwo hingehen und eigentlich keinen Halt haben, und dann denkt man sich, mein Gott, wie soll denn das gut gehen.

Es ist sicher schwierig, in so einer Position das Arbeitsleben komplett hinter sich zu lassen, wenn man dann ins Privatleben tritt.

In meinem ersten halben Jahr im Vollzug sagte mir ein altgedienter uniformierter Bediensteter: Wenn Sie es nicht schaffen, das, was sie hier erleben, abends mit ihrem Schlüssel abzugeben, dann können Sie nicht länger als fünf Jahre im Vollzug arbeiten, und das muss man lernen. Das ist mir überwiegend auch ganz gut gelungen. Natürlich gibt es immer wieder Probleme, die man ins Privatleben mitnimmt, aber ich glaube, das geht jedem Berufstätigen so.

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