Auf dem Kniebis haben sich junge stotternde Menschen aus verschiedenen Ländern getroffen. Das Ziel: sich auszutauschen und das Stottern nicht zum Tabu-Thema zu machen.
In Freudenstadt-Kniebis haben sich stotternde Menschen getroffen, um gemeinsam Erfahrungen auszutauschen. Dabei ging es vor allem darum, das Stottern zu akzeptieren und sich nicht davor zu verstecken. Mit dabei Eva (28) aus Freiburg und Anurag (19) aus Karlsruhe.
Gemeinsam Stottern: Das Tabu fällt weg
Anurag und Eva stottern seit ihrer Kindheit. Sie haben schon viele Therapien ausprobiert, manche haben besser geholfen, andere weniger. Als Anurag zwischen 10 und 15 Jahre alt war, stotterte er kaum, später kam das Stottern aber wieder zurück. Eine Therapie, bei der es mehr darum ging, das Stottern zu akzeptieren, als flüssiger zu sprechen, hat ihm geholfen - genauso wie der Austausch mit anderen stotternden Menschen.
Bei Eva war es ähnlich. Das Stottern hat sie lange psychisch belastet. Eine Zeit lang versuchte sie, es einfach zu ignorieren und zu verstecken. "Ich hatte Strategien, um nach außen hin flüssig zu reden", sagt sie. Sie sprach nur, wenn sie sich sicher fühlte. Smalltalk hat sie vermieden, und auch Telefonieren war schwierig – das ist es bis heute. Auch ihr hat es geholfen, andere Stotterer kennenzulernen: "Da musste ich mich nicht erklären. Man durfte stottern, wie man wollte." Das schätzt sie auch an dem Treffen auf dem Kniebis.
Internationales Treffen in Freudenstadt: Wie klingt Stottern auf Englisch?
Beim Treffen auf dem Kniebis ging es vor allem darum, andere stotternde Menschen in entspannter Atmosphäre kennenzulernen. Es gab Workshops mit Musik und Kunst, erzählt Anurag. Und Raum, um gemeinsam Erfahrungen auszutauschen und über Gefühle zu sprechen.
"Das hier ist ein Safe Space für uns Stotternde", sagt Anurag. Er fügt hinzu: "Für viele Menschen hier ist diese Woche eine der wichtigsten im Jahr". Im Alltag treffe man fast immer auf Menschen, die nicht stottern. Hier spiele das Stottern aber keine Rolle mehr, weil eben alle stottern.
Eva hat beim Austausch zum ersten Mal stotternde Menschen aus anderen Ländern kennengelernt. Sie hat zum ersten Mal gehört, wie Stottern in anderen Sprachen klingt. Am Anfang hat sie die Stotter-Symptome der anderen nicht richtig bemerkt, weil sie teilweise anders sind als im Deutschen. Aber: "Stottern ist am Ende immer noch Stottern." Deswegen konnte sie doch mitfühlen.
So fühlt sich Stottern für Betroffene an
"Stottern heißt: Man möchte was sagen, aber es geht einfach nicht", erzählt Eva. Es fühle sich an, als ob man die Kontrolle verliert. Sie vergleicht es mit einem Hürdenlauf: Bei manchen schwierigen Wörtern müsse man wie über eine Hürde springen. Mit bestimmten Techniken komme man manchmal ganz locker darüber. "Aber wenn ein Stotter-Symptom richtig stark ist, dann haut es einen auch mal um."
Wie verhält man sich in einem Gespräch mit einem stotternden Menschen?
"Stottern wird von der Gesellschaft oft als etwas Unangenehmes wahrgenommen", sagt Eva, "auch weil es beim Gegenüber oft Unsicherheit oder Ungeduld auslöst." Gerade wenn man jemanden zum ersten Mal treffe, dann könne das schon unangenehm sein, ergänzt Anurag.
Evas Tipp: einfach mal nachfragen. "Dann können wir kurz erzählen, was Stottern ist, und dann ist das ein bisschen vom Tisch", sagt sie.
Sonst gelten für ein Gespräch mit einem stotternden Menschen die gleichen Spielregeln wie für jedes andere höfliche Gespräch: In Ruhe zuhören, Blickkontakt halten und einander aussprechen lassen. Und unter Freunden sei es auch voll okay, auch mal über das Stottern zu lachen und es nicht super erst zu nehmen, ergänzt Anurag.
Höhepunkt auf dem Kniebis: Auftritt vor der Gruppe
Während der gemeinsamen Woche haben Eva, Anurag und die anderen vor allem auf die "Open-Mic-Session" am Samstag hingearbeitet. Beim Open-Mic kann jeder der jungen Erwachsenen ausprobieren, wie es sich anfühlt, vor der Gruppe zu sprechen. Dabei geht es nicht um den Inhalt, sondern um das öffentliche Sprechen. Für viele ist es das Highlight der Woche. Vor ihrem Auftritt war Eva nervös: "Man macht sich unglaublich angreifbar und verletzlich."
Aber wenn es vorbei ist, gebe es unglaublich viel Support von den anderen, erzählt Eva. Anurag spricht bei seinem kurzen Auftritt davon, dass es sein erstes Interview für so einen großen Sender gewesen ist. Und dass er erst nicht wusste, ob er es machen wolle. Jetzt sei er aber froh über die Erfahrung. Eva spricht bei ihrem Auftritt ein paar Sätze und tanzt dann vor der Gruppe. Dafür gibt es lauten Applaus.
Vorurteile über Stottern in der Gesellschaft
"Oft ist Stottern immer noch ein Tabu-Thema", erzählt Anurag. Viele Stotternde würden sich dafür schämen, dass sie stottern. "Und auch Vorurteile, wie dass die Ursache für's Stottern in der Psyche liegen würde, sorgen dafür, dass wir uns gar nicht zeigen wollen", so Eva. Die beiden wünschen sich mehr Offenheit und Wertschätzung von der Gesellschaft.