Das Freiburger Publikum war enorm gespannt: wie würde die erste Inszenierung des berühmten Dirigenten André de Ridder sein? Er brachte "Wozzeck" auf die Bühne. Eine Kritik.
André de Ridder hat sich vorgenommen dem Freiburger Publikum in seiner ersten großen Musiktheaterproduktion etwas ganz besonderes zu bieten. Die Oper "Wozzeck" von Alban Berg. Kein eingängiges oder gar einfaches Werk. In seiner Produktion wird das ganze Orchester Teil der Inszenierung. Es sitzt auf der großen Drehbühne statt im Orchestergraben. Die Kostüme der Sängerinnen und Sänger sind expressiv, dafür kommt die Inszenierung fast ohne Requisiten aus. So schafft es de Ridder die Musik - ganz ohne Ablenkung - wirken zu lassen, das Freiburger Publikum ist begeistert.
Wozzeck, der Verlierer
Wozzeck ist Soldat und sein Lohn reicht nicht. Also lässt er sich mit einem Arzt auf Menschenversuche ein. Er soll Bohnen essen, nur Bohnen, bis er platzt. All sein Geld bringt er seiner Frau Marie, damit es ihr und ihrem gemeinsamen Kind gut geht. Aber Marie lässt sich mit dem schicken Tambourmajor ein. Das geht ja gar nicht, denkt Wozzeck, der Erniedrigte, und tötet sie. "Wozzeck" ist die musikalische Adaption des aus dem Deutschunterricht wohlbekanntem Werk "Woyzeck" von Georg Büchner, geschrieben in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Oper dazu komponierte Alban Berg vor 100 Jahren.
Das Orchester ist das Bühnenbild
Das Orchester sitzt nicht im Graben sondern spielt, neben den Sängerinnen und Sängern, die Hauptrolle auf der großen Drehbühne. Mal langsam drehend, mal stehend tauchen die Sängerinnen und Sänger zwischen den Musikerinnen und Musikern auf. Über allem schwebt und atmet ein riesiger Ballon: Vielleicht der Mond, vielleicht ein großer Blasebalg? Requisiten gibt es sonst nur wenige. Ein Stück Holz, an dem der arme Wozzeck vor sich hin schnitzt, ohne je eine Kerbe in den Stock zu kratzen. Immer wieder, wahnsinnig langsam und nervtötend, wie so ein ewiger Verlierer eben nervtötend sein kann. Klar, dass nach seinem Tod der Sohn den Stock übernimmt und an diesem weiter schnitzt. So wie es halt immer weitergeht, das Elend. Wie der Vater, so der Sohn - könnte man meinen.
Wenig Spiel, viel Musik
Das Gute an Opernsängerinnen und -sängern ist: wenn sie, wie hier, mit ihrer Stimme begeistern. Das Schlechte ist, und das oft: wenn sie versuchen als Schauspieler mitzumachen. Nur selten gelingt das. Oft wirken die Gesten übertrieben, zu dramatisch. Das Gute, hier: Die Sängerinnen und Sänger in der Freiburger Wozzeck-Inszenierung haben dafür gar keinen Platz, ist doch das Orchester auf der Bühne und braucht eben diesen. Und das ist gut so. Denn so können sich die Zuhörerinnen und Zuhörer ganz der Musik hingeben und die Sängerinnen und Sänger ganz das tun, was sie am besten können: singen.
Die Kostüme: Glitzer in poppigen Farben
Der Tambourmajor stolziert in einer Ritterrüstung aus Glitzer-Brokat durch die Gegend, geschmückt mit einem riesiger Kopfputz. Damit ist gleich mal klar, wer der Schönste im ganzen Land ist. Er zückt die Ohrringe für Marie und hat das ganze Weib gewonnen, wir sind im 19. Jahrhundert. Und wer mag es ihr verdenken, dass sie lieber Sex mit dem Mann in der Gala-Uniform hat, als mit dem vor lauter Bohnen stets von Blähungen geplagtem Gatten?! Wieso der Soldat Wozzeck im langen Glitzerhemd durch sein armseliges Leben stolpert hat sich allerdings nicht erschlossen, aber zweifelsohne hatte der Kostümbildner jede Menge Spaß an seiner Arbeit und sorgt mit seinen skurril-avantgardistischen Klamotten für viel Gesprächsstoff unter den Premierengästen.
Ganz schön surreal, das Ganze
Und weil so wenig los ist auf der Bühne, bleiben die fast komischen Szenen besonders gut im Gedächtnis. Der Arzt, der sich mit den langen Scherenfingern die eigenen Gedärme aus dem Leib wühlt. Der Sohn von Wozzeck, der wohl doch nicht seiner ist, schließlich trägt er die Miniaturausgabe der Rüstung des Tambourmajors – knutscht seine Mutter Marie, mit Zunge! Wenige szenische Höhepunkte, grandios eingesetzt, so macht Oper Spaß.
Großer Erfolg von André de Ridder
André de Ridder schafft es, die Oper von Alban Berg in ganz besonderer Präzision auf die Bühne zu bringen. Das gräbt sich ins Unterbewusstsein ein. Da sitzend erinnert man sich an die Worte des Dramaturgen bei der Einführung: "Wir hören die Musik gewordenen Gefühle von Wozzeck." Und wir leben und leiden mit. Sie sind – zugegeben - nicht besonders harmonisch, diese Gefühle, aber in dem Fall besonders ergreifend.
Berlin in Freiburg
Bei der Inszenierung von "Wozzeck" hat man immer wieder das Gefühl, man sitzt nicht im heimeligen Südbaden sondern auf einer der großen Bühnen der Welt. Der neue Musikdirektor bringt Hauptstadtflair nach Freiburg und alleine dafür ist ihm das Publikum mehr als dankbar. Von der Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer ist überliefert, sie habe gesagt, das sei die beste Inszenierung, die sie je in Freiburg gesehen habe.
De Ridder ist angekommen
Ob der neue Star der Stadt, André de Ridder, das Hauptstadtleben vermisse, verneint er. Ganz im Gegenteil: er wollte zur Abwechslung mal ganz weit weg sein vom Rummel. Um hier konzentriert und in Ruhe arbeiten zu können. Sprach's und sagte, er habe außerdem gar keine Zeit, denn schon am Tag nach der Premiere sind die Proben für das nächste Projekt gestartet: die deutsche Uraufführung vom Marnie.
Eine Oper? Ein Thriller? Eine Kleptomanin auf der Bühne? Ui, murmelt das Freiburger Publikum, das riecht ja schon wieder nach Metropole, lauter neue Ideen, das müssen wir sehen!