Bis heute bewegt sich die Erde unter Staufen und führt immer wieder zu Rissen. Besonders betroffen: das historische Rathaus. Dort arbeitet ein Steinmetz gegen die Zeit.
Staufen (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) gilt seit 17 Jahren als Stadt der Risse. Das stellt die Bewohnerinnen und Bewohner immer wieder vor neue Herausforderungen. Erst kürzlich lösten sich Gesteinsbrocken aus der historischen Wendeltreppe des Rathauses und stürzten auf die Stufen - eine gefährliche Situation. Schnell war klar: Die Wendeltreppe muss restauriert werden. Doch wie soll das funktionieren bei einem statisch voneinander abhängigen System? Steinmetz Marco Ohnesorge hatte eine Idee.
Passionierter Steinmetz nimmt sich der historischen Wendeltreppe an
Marco Ohnesorge hat Mut zur Lücke. Den braucht es auch, um die schweren Sandsteinstufen im historischen Rathaus des Städtchens Staufen zu reparieren. Mit einem speziell entwickelten Verfahren überträgt er das Gewicht der Renaissance-Wendeltreppe auf einen Querbalken, um die Risse in den Stufen kleinteilig reparieren zu können. Der 63-jährige Steinmetz lebt für seinen Beruf: Seit vielen Jahren restauriert er historische Gemäuer und hält sich dabei stets auf dem neuesten Stand, was moderne Verfahren und Techniken betrifft.
Wendeltreppen-Statik macht Reparaturen schwierig
Die missglückten Geothermiebohrungen vor 17 Jahren haben neun Meter neben dem historischen Rathaus stattgefunden. Dadurch ist die Renaissance-Wendeltreppe stark mitgenommen: Faustgroße Treppenteile fallen immer wieder herunter. Und das ist extrem gefährlich, denn es gibt im Rathaus keinen anderen Weg in die oberen Stockwerke, als über die Wendeltreppe. Die Reparatur der Treppe ist sehr komplex: Die Statik der Wendeltreppe baut aufeinander auf. Das bedeutet: Der Steinmetz kann nicht einfach einzelne Teile aus den Treppenstufen herausnehmen, sonst würde die Treppe zusammenbrechen.
Stufe für Stufe geht es voran - Querbalken entlastet die Treppe
Der Gemäuer-Liebhaber Ohnesorge hat vor einigen Wochen ein spezielles Verfahren für Staufen weiterentwickelt. Dabei wird die Treppe gewichtstechnisch entlastet: Ein Querbalken im Dach sichert einen Gewindestab aus Stahl, der durch das Auge der Wendeltreppe führt. Eine extra angefertigte Manschette, die an der Stahlstange befestigt ist, überträgt das Gewicht der über 100 Kilo schweren Treppenstufen. So können gesprungene Teile herausgesägt und ersetzt werden. Mit einem Zweikomponentenkleber werden die neuen Sandsteinteile dann wieder an der richtigen Stelle eingesetzt. Die Konstruktion sichert das Gewicht der Stufen und führt es nach oben an den Querbalken. Dadurch kann der erfinderische Steinmetz einzelne Treppenteile einer Stufe ersetzen, ohne die Statik zu gefähren. Mit dieser "Vierungstechnik" kann die Wendeltreppe weitgehend erhalten werden. Ohnesorge nutzt für die Restauration Originalsandstein, den er über viele Jahre privat aus Steinbrüchen oder Abrisshäusern gesammelt hat. Seit Dezember arbeitet er sich so Stufe für Stufe voran, von oben nach unten.
"Vierungstechnik" deutschlandweit zum ersten Mal im Einsatz
Staufen ist Vorreiter in der Sanierung von historischen Wendeltreppen. Das Verfahren wird erstmalig in Deutschland angewendet. Auch andere historische Schlösser und Burgen könnten von dem Verfahren profitieren, so der Steinmetz. Allerdings ist unklar, wie lange die neuen Stufen halten.
Historisches Rathaus leidet besonders unter Hebungsrissen
Wegen der anhaltenden Hebungsrisse ist Staufen mittlerweile über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Eine Geothermiebohrung im Jahr 2007 sollte das Rathaus mit Erdwärme versorgen. Die Bohrung endete allerdings in einem Fiasko: Wasser vermischte sich mit einer Mineralschicht. Diese Schicht fing an, sich auszudehnen und die Stadt anzuheben. In den Gebäuden der historischen Altstadt rissen Wände, Böden brachen auf. Häuser mussten abgerissen werden.
Die Erdhebungen beschäftigen Staufens Bürgermeister, Michael Benitz, auch 17 Jahre nach den Bohrungen nahezu täglich. Besonders tragisch: Gerade unter der historischen Altstadt bewegt sich die Erde stark. So sehr, dass sich der Treppenturm langsam vom Rathaus wegneigt.
Sanierung der Risse - ein Fass ohne Boden?
Bei den meisten Rissschäden wird die sogenannte Vierungstechnik wohl keine Hilfe sein, denn sie ist speziell für Wendeltreppen entwickelt worden. Und auch für zukünftige Schäden werden erneut komplizierte Restaurationen nötig sein, die je nach Bedarf auf die vielen besonderen und historischen Gebäude im Städtchen Staufen angepasst werden müssen. Und es bleibt ein Desaster im Zeitlupentempo: Wenn Steinmetz Ohnesorge mit der Reparatur der Wendeltreppe unten angekommen ist, kann es also gut sein, dass er wieder von oben anfangen muss.
Hausbesitzer mit Rissschäden können sich an Schlichtungsstelle wenden
Auch viele Hauseigentümer klagen über die folgenreichen Risse. Seit einiger Zeit gibt es deswegen eine Schlichtungsstelle, die sich um die Fälle kümmert. Ein Großteil der Kosten wird im Schadensfall vom Land Baden-Württemberg übernommen. Denn die Kommune ist mit den Schäden finanziell überfordert.