Eine der innovativsten Schulen im Land steht im beschaulichen Wutöschingen. Frontalunterricht? Fehlanzeige! Der SWR hat die Schule zum Beginn des neuen Schuljahrs besucht.
Sommerferien zu Ende, neues Schuljahr, zurück zur Routine: Schulranzen packen, im Unterricht aufpassen, Klassenarbeiten schreiben. Aber es geht auch ganz anders. Das zeigt die Alemannenschule in der 7.000-Einwohner-Gemeinde Wutöschingen (Kreis Waldshut).
Digitale Lernplattformen, selbstorganisiertes Lernen, keine Hausaufgaben, dafür Hausschuhpflicht: Die Gemeinschaftsschule ist in vielerlei Hinsicht ein Unikat: Es gibt keinen Frontalunterricht und keine Klassenräume. Auch auf Schulbücher wird weitgehend verzichtet und die Stundenpläne schreiben sich die Schülerinnen und Schüler, die sich Lernpartnerinnen und Lernpartner nennen, selbst. Mehr als 800 Kinder und Jugendliche - von der ersten bis zur 13. Klasse - besuchen die Gemeinschaftsschule neben der Kirche. Jeder Abschluss ist möglich.
Tablets statt Schulbücher, Lernateliers statt Klassenzimmer
Ein Tablet statt den schweren Ranzen voller Bücher – an der Alemannenschule ist der gesamte Lernstoff online. Siebtklässlerin Annika Blattert entscheidet selbst, was sie wann und wie schnell lernen will. "Wenn ich sage, ich will diese Woche unbedingt noch einen Mathetest schreiben, dann kann ich sagen, ich mache diese Woche komplett nur Mathe, da organisieren wir uns selber", erklärt die Schülerin.
Annikas Arbeitsplatz ist Teil eines großen Lernateliers auf zwei Ebenen. Dutzende Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters sitzen gemeinsam in einem lichtdurchfluteten Raum mit Holzbalkonen. Es darf nur geflüstert werden. Mittendrin: die Lehrerinnen und Lehrer, die hier Lernbegleiter und Coaches heißen. Statt Frontalunterricht geben sie rund 20-minütige inhaltliche Inputs. Ansonsten begleiten und coachen sie die Kinder individuell, beantworten Fragen, finden gemeinsam heraus, warum das Lernen gerade schwerfällt.
Schülerin Caroline: Muss sich einen Schubs geben
Eine von ihnen ist Marion Baumgartner. Sie ist eigentlich klassische Realschullehrerin und erst seit Kurzem an der Alemannenschule. Sie lobt vor allem die Betreuungsmöglichkeiten: "Wir haben einfach die Zeit. Wenn wir da sind, können wir ständig Fragen beantworten. Das geht in einem normalen Unterricht nicht. Das finde ich so toll."
Das Konzept sei aber vielleicht nicht für jeden was, glaubt Schülerin Carolina. "Wenn man halt keinen Bock hat, dann - denke ich - würde das auch nicht so gut funktionieren." Man müsse sich morgens schon manchmal "einen kräftigen Schubs geben". Es brauche die passende Einstellung und den Willen, seine Aufgaben durchzuziehen, sagt Carolina.
Kontrolle des Lernens abgeben, Kindern viel zutrauen
Schule mal ganz anders – eine Vision, die vor mehr als zehn Jahren Realität wurde. Hinter dem Konzept steckt Schulleiter Stefan Ruppaner. Sein Ziel: die Lernbedingungen für Kinder zu verbessern. "Man muss den Unterricht im Prinzip weglassen oder ganz stark beschneiden, damit Zeit zum Lernen da ist", sagt der Rektor. Dafür hat er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die sogenannte Schmetterlingspädagogik entwickelt: Eine Flügelseite steht für das selbstorganisierte Lernen und die andere für das "Lernen durch Erleben". An der Alemannenschule gibt es nachmittags zum Beispiel praktische Workshops rund ums Imkern oder Filmedrehen.
Schulkonzept ist ein Erfolgsmodell
Das Schulkonzept ist mehrfach ausgezeichnet worden, zum Beispiel 2019 mit dem Deutschen Schulpreis. Immer wieder sind Pädagogen zu Gast, um sich den Alltag an der Alemannenschule aus der Nähe anzusehen. Jeden Montag ist sozusagen Tag der offenen Tür. Es gibt sogar eine spezielle Koordinatorin für Besuche.
Auch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler sprechen für den Erfolg des Konzepts. Im vergangenen Jahr gab es erstmals einen Abiturjahrgang. Der Notendurchschnitt lag bei 1,7, also deutlich besser als der Schnitt der allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg, der bei 2,17 lag. Darauf ist Schulleiter Stefan Ruppaner stolz. Sein Konzept scheint offenbar anzukommen. Rund 100 Kinder und Jugendliche könne er jedes Jahr aufnehmen, erzählt er. "Bewerben" würden sich aber rund 150 Kids.
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