Mittwoch war ein Tag der politischen Veränderungen: Erst das Ergebnis der US-Wahl. Dann die Meldung aus Berlin: Scholz entlässt Lindner. Erste Reaktionen aus Südbaden auf Ampel-Bruch.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen und will im Januar die Vertrauensfrage stellen. Der baden-württembergische SPD-Landesvorsitzende, Andreas Stoch, bedauert das Ende der Ampel-Koalition in Berlin. Der Fraktionschef der baden-württembergischen FDP, Hans-Ulrich Rülke, sprach dagegen von einem "sinnvollen Angebot" von Christian Lindner an Olaf Scholz, "das Ampelelend" zu beenden und Anfang 2025 neu wählen zu lassen.
Wie aber reagieren Politiker und Wissenschaftler aus Südbaden? Auch einige Passantinnen und Passanten in Freiburg scheint das politische Erdbeben in Berlin am Donnerstagmorgen bewegt zu haben.
Eine Straßenumfrage in Freiburg:
Von "Bravo" bis "Schock": Das sagen einige Freiburger zum Ampel-Bruch
"Ich bin teils überrascht, teils froh", sagt eine Frau bei einer Straßenumfrage ins SWR-Mikrofon. Mehrere Freiburgerinnen und Freiburger wirkten erleichtert über die Nachrichten aus Berlin und Lindners Rauswurf. "Ich war schockiert, aber es hat mich nicht gewundert. Diese Profilierungssucht von einzelnen Leuten, die ist wirklich zu viel gewesen", sagt eine Passantin, die im Morgengrauen auf dem Weg zur Arbeit am Schwabentor vorbeigeht. Eine andere Frau, die am Stadttheater unterwegs ist, schließt sich dieser Meinung an: "Ich glaube, die bekriegen sich alle gerade und zermürben sich, was echt eine Enttäuschung ist."
Dass Neuwahlen vielleicht auch das Potenzial hätten, die ganze Situation zu verbessern, äußert zum Schluss eine Frau, die der SWR in der Freiburger Innenstadt antrifft.
Politikwissenschafter aus Freiburg: "FDP wollte die Koalition zum Platzen bringen"
Der Freiburger Politikwissenschaftler, Ulrich Eith, sieht die FDP als treibende Kraft für den Bruch der Ampelkoalition. "Vor dem Hintergrund der sehr schlechten Wahlergebnisse und nicht minder besserer Umfragewerte hat sich bei der FDP und bei Lindner wohl die Überzeugung durchgesetzt, dass es besser ist, diese Koalition platzen zu lassen", sagte Eith am Donnerstagmorgen auf SWR-Anfrage. Zeitgleich wollte sich die FDP als die Partei präsentieren, die die Wirtschaft voranbringen könne. Diesen Plan der FDP habe der Bundeskanzler mit der "gestrigen Aktion" durchkreuzt, so Eith.
Ein Bruch sei in den vergangenen Tagen aber immer wahrscheinlicher geworden, so Eith. Dass es am Mittwoch in dieser Form dazu gekommen sei, habe ihn jedoch überrascht. Eith leitet das "Haus Wiesneck", Institut für politische Bildung Baden-Württemberg e.V., in Buchenbach bei Freiburg.
Politikwissenschaftler: Neuwahlen seien vor Weihnachten gar nicht möglich
"Es ist organisatorischer Quatsch", dass es vor Weihnachten noch Neuwahlen geben wird, betont Uwe Wagschal, Politikwissenschaftler der Universität Freiburg. Alle die jetzt von baldigen Neuwahlen sprechen, würden Scheingefechte führen. Denn in einer Demokratie müssten Kandidaten gefunden werden, Landeslisten aufgestellt und Programme geschrieben werden, sagt Wagschal. Auch müssten Kleinstparteien erst Unterschriften sammeln. In Baden-Württemberg sind höchstens 2.000 erforderlich.
Grünen-Politiker aus Offenburg: Koalitions-Bruch ist der richtige Schritt
Der Grünen-Politiker Thomas Marwein sieht seine Partei gut für einen Wahlkampf und Neuwahlen Anfang 2025 vorbereitet. "Das Programm wird zwar etwas dünner, aber in der Aussagekraft auf jeden Fall Gewicht haben", sagt Marwein, der seit 13 Jahren für den Wahlkreis Offenburg im baden-württembergischen Landtag sitzt und 2005 auch Bundestagskandidat war. Auch damals hat es vorgezogene Neuwahlen gegeben. Trotz der kurzen Zeit hätten die Grünen damals ein Wahlprogramm aufgestellt. "Ich kenne meine Partei, die kriegen das hin", so Marwein.
Die Rede von Bundeskanzler Scholz fand er "sehr gut", fügt aber hinzu: "So eine Rede hätte ich mir schon in den Jahren davor immer mal wieder gewünscht". Auch die Reaktion der Grünen-Minister Baerbock und Habeck fand er angemessen, weil sie darauf verwiesen haben, dass "wir" eine handlungsfähige Regierung sein müssten.
FDP-Politiker Hoffmann aus Kreis Lörrach begrüßt Neuwahlen
"Wir können auch nicht zuschauen, wie die Wirtschaft an die Wand fährt und die Bürokratie weiter wuchert", sagt FDP-Politiker Christoph Hoffmann. Hoffmann ist Bundestagsabgeordneter aus Schliengen (Kreis Lörrach) und appelliert für baldige Neuwahlen. Denn eine weitere Zusammenarbeit in der Ampelkoalition schade Deutschland - so seine Meinung. Er verstehe nicht, warum der Kanzler erst im Januar die Vertrauensfrage stellen will, da es vorher noch andere Abstimmungen in der Regierung geben wird. Da komme es aber auch auf den Bundespräsidenten an.
SPD-Bundestagsabgeordneter Fechner: Notwendige Gesetze sollen nicht warten
"Es ist gut und richtig, dass der Kanzler Lindner rausgeworfen hat", sagt der SPD-Politiker Johannes Fechner im SWR-Interview. Lindner habe nur noch "rücksichtslos parteipolitische Interessen" durchsetzen wollen. Fechner sitzt für den Wahlkreis Emmendingen-Lahr im Bundestag. Für Südbaden sei es jetzt wichtig, dass die Regierung noch notwendige Gesetze bearbeitet, so Fechner: Dazu zähle das Pflegekompetenz-Gesetz und die Krankenhausfinanzierung. Denn beides könnte nicht ein halbes oder ein Jahr warten, auch wenn jetzt sicherlich eine interessante parlamentarische Zeit beginne, mit vielleicht ganz neuen Mehrheiten, sagt er.
CDU-Bundestagskandidat bereitet sich schon länger auf Neuwahlen vor
Seit Wochen sei klar gewesen, dass es einen Plan A oder B gebe, sagte Klaus Schüle von der CDU. Er wurde im September zum CDU-Direktkandidaten für den Wahlkreis Freiburg und Umland gewählt. Seitdem hat er sich bereits auf einen früheren Wahlkampf vorbereitet: Spenden gesammelt, eine Social-Media-Kampagne erstellt und wöchentliche Treffen abgehalten. "Weil wir von Anfang an das Gefühl hatten, dass es früher zu Ende gehen wird", so Schüle über die Ampel-Koalition in Berlin.
Ampel-Bruch freue vor allem die Oppositon, so Politikwissenschaftler Wehner
Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg zeigt sich überrascht darüber, dass der Ampel-Bruch so schnell gekommen ist. Besonders für die Ampelparteien seien Neuwahlen ein "Hochrisikospiel", so der Politikwissenschaftler. Lächeln könnten aktuell nur die Oppositionsparteien, sowohl die CDU als auch die AfD, sagt er.