Die Polizei habe trotz vorheriger Warnungen und Hinweisen nichts gegen den mutmaßlichen Täter unternommen, so der Vorwurf. Doch solche Fälle gibt es immer wieder, sagen Experten.
Nachdem der Vater des getöteten 31-Jährigen in Esslingen schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben hat, dass diese trotz vorheriger Warnungen und Hinweise nichts gegen den mutmaßlichen Täter unternommen habe, erklären Experten, dass präventive Maßnahmen oft nicht schnell genug ergriffen werden können. Das rechtzeitige Ergreifen von Schutzmaßnahmen sei juristisch oft schwierig. Vergangene Woche soll ein Mann in Esslingen nach Mietstreitigkeiten den Sohn seines Vermieters und anschließend sich selbst getötet haben. Außerdem soll er im Haus ein Feuer gelegt haben. Die Staatsanwaltschaft prüft nun mögliche Versäumnisse der Behörden.
Anwalt: Es gibt ähnliche Situationen
Jens Rabe ist Fachanwalt für Strafrecht, vertritt vor Gericht meist Opfer von Gewaltverbrechen oder deren Angehörigen. Erzählungen, wie die aus Esslingen, sind ihm bekannt. "Ich habe nicht selten Mandanten vor mir sitzen, die ähnliche Situationen schildern, bei denen von einer Person eine ernst zu nehmende Gefahr auszugehen scheint", erklärt er dem SWR. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn - zumindest in strafrechtlicher Hinsicht - noch nichts Habhaftes passiert ist und man sich ausschließlich im Bereich von verbalen Bedrohungen bewege. "Dann ist es juristisch oft nicht leicht, geeignete Schutzmaßnahmen zu erwirken."
Natürlich sei die Polizei dafür zuständig, bereits begangene Straftaten zu verfolgen und auch angedrohte Straftaten präventiv zu verhindern. "Im Einzelfall erlebe ich es aber leider nicht selten, dass die Polizei die Fälle zwar untersucht, aber ihre Tragweite nicht erkennt." Rabe würde sich wünschen, dass das Fallmanagement bei potenziellen Gefahrfällen deutlich verbessert wird.
Kriminologe: Gefahrenabwehr hat was mit Prognosen zu tun
Jörg Kinzig, Professor an der Universität Tübingen für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht, erklärt: "Wenn solche Hinweise bei der Polizei eingehen, ist immer die Frage, ob bereits eine Straftat vorliegt, oder nicht. Also ist etwas bereits passiert, oder geht es um Prävention." Gefahrenabwehr habe immer etwas mit Prognosen zu tun, was passieren könnte, so Kinzig weiter. "Die Polizei bekommt sehr viele solche Fälle. Dann muss eingeschätzt und geprüft werden, ob man überhaupt tätig werden kann, und wenn ja mit welchen Maßnahmen."
Eine erste Maßnahme könnte zum Beispiel eine sogenannte Gefährderansprache sein, so Kinzig. Hausdurchsuchungen sind oft schwieriger, wegen der hohen Hürde und der Voraussetzung eines richterlichen Beschlusses. "Diese engen Voraussetzungen des Einschreitens sollen uns auch schützen." Die Polizei habe dabei den Spagat zu leisten, die Grundrechte der Bürger zu wahren und dennoch adäquat einzugreifen. Darüber hinaus gibt es noch das Ressourcen-Problem, so Kinzig weiter: "Die Polizei hat nur begrenzt Personal, daher werden Hinweise auch nach Dringlichkeit bearbeitet."
Vorwurf des Vaters: Polizei hat nicht gehandelt
Der Polizei sei der mutmaßliche Täter bereits bekannt gewesen, hat am Dienstag Rolf Seufferle, Vater des Getöteten und Hauseigentümer, dem SWR erklärt. Auch Freunde und Angehörige berichten, dass der Mieter auch gegenüber Rolf Seufferle mehrmals handgreiflich geworden sein soll. Auch habe der mutmaßliche Täter anderen von den Plänen seiner Tat erzählt, selbst gebaute Waffen gezeigt und die Freundin des Opfers gewürgt. Rolf Seufferle wirft nun der Polizei und den Behörden vor, nach den Hinweisen keine Maßnahmen ergriffen zu haben. Am Dienstagabend erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, dass sie die Staatsanwaltschaft in Heilbronn damit beauftragt habe, die Vorwürfe zu prüfen.
Der Vater des getöteten 31-jährigen Luca und Besitzer des zerstörten Hauses, Rolf Seufferle, schilderte im Gespräch mit dem SWR seine Sicht der Ereignisse:
Staatsanwaltschaft: Wir wollen eine vernünftige Prüfung
Es werde zunächst geprüft, ob ein Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung vorliege und ob ein formales Ermittlungsverfahren einzuleiten sei. Dass dieser Fall der Staatsanwaltschaft Heilbronn übertragen wurde, sei in solchen Fällen durchaus üblich, erklärt Jan Dietzel von der Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart dem SWR: "Aus Neutralitätsgründen macht man das, dass sich damit nicht die Staatsanwaltschaft vor Ort befasst." Man brauche jetzt eine sachgerechte Prüfung. Zum Inhalt und zur Dauer der Prüfung nannte er keine Details.
Nach Erkenntnissen der Polizei waren vermutlich Mietstreitigkeiten Auslöser für die Tat. Der Mietvertrag des 61-jährigen mutmaßlichen Täters sei bereits vor längerem vom Vermieter gekündigt worden, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Die Zwangsräumung der Wohnung habe wohl für den Folgetag angestanden. In diesem Zusammenhang soll es schon mehrfach zu Streitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter gekommen sein.
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