Den Zusatzbahnhof zu Stuttgart 21 wird es nicht geben - das Gutachten dazu wurde am Mittwoch vorgestellt. Aber welche Planungen für den Bahnknoten Stuttgart gibt es stattdessen?
Nach viel Kritik hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Idee eines Zusatzbahnhofs für Stuttgart 21 nun verworfen. Diese Information lag dem SWR vorab vor, das Gutachten dazu wurde am Mittwoch vorgestellt. Doch wie soll der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart dann aussehen?
Kommt nach Stuttgart 21 jetzt Stuttgart 2040?
Der neue Tiefbahnhof in Stuttgart wird nicht reichen, um die Verkehrs- und Klimawende voranzutreiben. Davon ist Verkehrsminister Winfried Hermann überzeugt. Seine Idee seit Jahren: einen unterirdischen Ergänzungskopfbahnhof direkt neben dem Durchgangsbahnhof. Das hat das Ministerium vom Verkehrswissenschaftlichen Institut (VWI) und dem Schweizer Beratungsunternehmen SMA untersuchen und prüfen lassen.
Das Ergebnis: Mit dem Ergänzungsbahnhof würde der erhoffte Nutzen nicht erreicht werden, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln und die Verkehrswende voranzutreiben. "Da kann man dann nicht steif dran festhalten, sondern muss das eben anerkennen", sagte Hermann bei der Vorstellung am Mittwoch. "
Zulaufstrecken statt Ergänzungsbahnhof
Der Ausbau des Verkehrsknotens Stuttgart um den Hauptbahnhof würde mehr Kapazitäten bringen. Und das Projekt ist ja ohnehin schon immer teurer geworden. Konkret heißt das: mehr und bessere Zulaufstrecken in den Großraum Stuttgart. Das würde der Umsetzung des Deutschlandtaktes im Fernverkehr und der Erhöhung der Kapazitäten im Nahverkehr dienen. Nicht mehr alle Züge würden über den Hauptbahnhof fahren.
Die Lösung: das "Nahverkehrsdreieck"
Was bedeutet der Ausbau des Schienenknotens um den Stuttgarter Hauptbahnhof herum konkret? Ein neues sogenanntes "Nahverkehrsdreieck" im Stuttgarter Norden wird geschaffen. Das ermöglicht einen Nahverkehr zwischen Stuttgart-Bad Cannstatt, Stuttgart-Feuerbach und Stuttgart-Vaihingen. Damit können Nahverkehrszüge zwischen diesen drei Orten verkehren, ohne überhaupt den neuen Hauptbahnhof anfahren zu müssen. Das ermöglicht weiteren Zugverkehr zusätzlich zu dem, was mit Stuttgart 21 möglich ist.
Dieses "Nahverkehrsdreieck" beinhaltet auch den Erhalt und die Sanierung der sogenannten Panoramabahn (die zur Gäubahn gehört) zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Norden Stuttgarts. Diese würde im Norden an das Nahverkehrsdreieck angeschlossen werden, womit Nahverkehrszüge direkt von Vaihingen nach Feuerbach oder Bad Cannstatt gelangen, ohne über den Hauptbahnhof fahren zu müssen. Damit hätte man weiterhin eine Ersatzstrecke für die S-Bahnen, wenn der Stammstreckentunnel gesperrt ist.
Darüber hinaus gibt es die Überlegung, entlang der Panoramastrecke S-Bahn-ähnliche Haltestellen einzurichten, um auch dort den Nahverkehr im Stuttgarter Raum besser erschließen zu können.
Bauzeiten verlängern sich nochmals
Diese ganzen Überlegungen bedeuten vor allem eines: sehr viele weitere Baustellen. Diese gäbe es aber nicht auf einmal, sondern nach und nach. Allerdings verlängert sich dadurch die Bauzeit: Bis Ende 2025 wäre dies alles nicht zu schaffen, sondern eher bis 2040 oder 2045. Auch die Kosten würden steigen. Das Nahverkehrsdreieck im Stuttgarter Norden zu bauen, würde alleine 455 Millionen Euro kosten.
Darüber hinaus müsste das Schienennetz in einem Umkreis von 50 Kilometern erneuert und ausgebaut werden. Von 115 Ausbaumaßnahmen ist laut Verkehrsministerium die Rede, die alleine schon 3,9 Milliarden Euro kosten würden. Diese Kosten lägen außerhalb von Stuttgart 21 - womit Stadt Stuttgart und Region Stuttgart nicht mehr zusätzlich belastet würden.
Umwelt- und Verkehrsverbände begrüßen das "Nahverkehrsdreieck"
Die Umwelt- und Verkehrsverbände begrüßen die Pläne des Verkehrsministeriums. Denn für die Einhaltung der Klimaziele werde über Stuttgart 21 hinaus weitere Eisenbahninfrastruktur benötigt, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Martin Bachhofer laut Mitteilung. Auch der Landesvorsitzende von PRO Bahn Joachim Barth forderte einen weiteren Ausbau.
"Die vertiefte Diskussion über die Ergänzungsstation bringt nun im Ergebnis sogar noch eine leicht bessere verkehrliche Lösung als nur die Ergänzungsstation. Das Nahverkehrsdreieck entspricht weitgehend dem S-Bahn-Vorschlag des Verkehrsclub Deutschland (VCD) aus dem Jahr 2005", kommentierte VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb. Stefan Frey vom Landesvorstand des Landesnaturschutzverbandes sieht vor allem die hohe Bedeutung der Panoramabahn durch die Untersuchung bestätigt.
Hintergrund zum Milliardenprojekt Stuttgart 21: Chronologie der Kostenexplosion
Seit den ersten Plänen für eine Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind die prognostizierten Kosten für das umstrittene Bahnprojekt in die Höhe geschnellt. Wir dokumentieren die Kostenexplosion.
Verband Region Stuttgart: "Klarheit nach Jahren der Diskussion"
Auch der Verband Region Stuttgart begrüßt die Pläne. Verbandsvorsitzender Thomas Bopp sagte, der Verband Region Stuttgart werde sich aktiv und konstruktiv an der Diskussion zur Ausgestaltung des Nahverkehrsdreiecks beteiligen. "Das ist eine sehr gute Wendung! Wir werden die Chancen, die sich für die S-Bahn ergeben, ausloten. Bereits Ende März wollen wir bei einer Klausur unseres Verkehrsausschusses das Thema gemeinsam mit dem Verkehrsministerium behandeln."
Regionaldirektor Alexander Lahl dankte dem Verkehrsminister für "diese wichtige Entscheidung, die ihm gewiss nicht einfach gefallen ist". Nach Jahren der Diskussion hätte man nun aber Klarheit. Die Maßnahmen hätten das Potenzial, den Schienenknoten Stuttgart tatsächlich zu optimieren. Der Verband Region Stuttgart hatte bereits Mitte der 1990er-Jahre Untersuchungen zur Verbesserung des Schienenknotens im Stuttgarter Norden angestoßen und konkrete Maßnahmen im Regionalplan und Regionalverkehrsplan berücksichtigt.
Stuttgarts OB Nopper: "Damit ist der S21-Konflikt befriedet"
Auch die Landeshauptstadt Stuttgart findet, die Diskussion um den Schienenknoten habe sich gelohnt. Der Stadt Stuttgart werde der notwendige Raum für die städtebauliche Weiterentwicklung des künftigen Rosensteinquartiers gegeben. "Die Gutachten zum Schienenknoten zeigen klar: Zukunftsfähiger Bahnverkehr und zukunftsorientierte Stadtentwicklung lassen sich in unserer Stadt verbinden. Die Abkehr des Verkehrsministers vom Ergänzungsbahnhof ist deswegen richtig" sagte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). Die Zeichen stünden nunmehr auf Konsens und auf Befriedung des Stuttgart-21-Konflikts.