Nach der Lenkungskreissitzung ist klar: Die Projektpartner haben kein Verständnis mehr für das Vorgehen der Bahn beim Digitalen Bahnknoten.
Die Unstimmigkeiten zwischen Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Bahnvorstand Berthold Huber sind auch auf der Pressekonferenz des Stuttgart-21-Lenkungskreises am Freitag deutlich geworden. Es war an ihren Gesichtern abzulesen, dass nach der Sitzung niemand so ganz glücklich war. Verkehrsminister Hermann mahnte die Bahn eindringlich, schnellstmöglich die vom Bund bereitgestellten Gelder in Höhe von 825 Millionen Euro abzurufen. Denn ein Teil der Gelder würde sonst verfallen und stünde womöglich kommendes Jahr nicht mehr zur Verfügung. Damit drohe das Projekt Digitaler Knoten Stuttgart nicht beendet zu werden.
Dem widersprach Bahnvorstand Huber auf der Pressekonferenz. Die zur Verfügung gestellten Gelder seien nicht weg und könnten im Bundeshaushalt auch im kommenden Jahr wieder zur Verfügung gestellt werden, wenn die Bundesregierung dazu bereit sei. Er wolle die Gelder erst dann abrufen, wenn die Finanzierung des gesamten Digitalen Bahnknotens gesichert sei, so Huber. Die Bahn bräuchte dafür mehr Geld vom Bund.
Lutz und Huber schreiben an Minister Hermann
Zusätzlich hatte Berthold Huber einen Brief zur Lenkungskreissitzung mitgebracht - das dürfte wohl kein Nikolausgeschenk gewesen sein. Erstmals antworteten Bahnchef Lutz und Bahnvorstand Huber ausführlich auf die Brandbriefe von Hermann - ebenfalls schriftlich. Darin heißt es, dass die Finanzierung des Digitalen Knotens Stuttgart mit der Finanzierung der Folgeprojekte "Digitale Schiene Deutschland" zusammen hängen würden, wie die Ausrüstung der Strecke Köln - Rhein/Main mit Digitaler Leit- und Sicherungstechnik. Zwar seien die Mittel aus dem Bundeshaushalt vorhanden, allerdings beziehe sich diese auf eine Berechnung aus dem Jahr 2017. Die Bahn rechne aber gerade mit mehr als zwei Milliarden Euro.
In dem Brief, der dem SWR vorliegt, heißt es: "Wenn der Aufsichtsrat der DB AG den Gremienvorbehalt nicht in diesem Jahr aufhebt, führt dies nicht zu einem Verfall der mit der Finanzierungsvereinbarung verbundenen Bundesmittel i.H.v. 825 Mio. EUR." Damit widerspricht die Bahn sämtlichen Ausführungen von Michael Theurer (bis September Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr), Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Minister Hermann und anderen. "Solange keine Auflösung der Finanzierungsvereinbarung erfolgt, bestehen die Mittelbindungen weiterhin." Daran würde auch der Gremienvorbehalt nichts ändern. Dennoch wolle man - zumindest mit den Ausschreibungen zum DKS 3 - fortfahren: "Für den DKS 3 würden wir die Ausschreibung der jetzt anstehenden Planungsphase unter Finanzierungsvorbehalt starten und nach Vorliegen des Bundeshaushalts weitere Entscheidungen treffen. Wesentliche Verzögerungen für das Projekt entstehen daraus derzeit nicht."
Befürchtung: 825 Millionen Euro könnten verfallen
Das Unverständnis gegenüber der Bahn ist in den vergangenen Monaten immer mehr gewachsen. Denn 825 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt wären aus verschiedenen Budgettöpfen direkt abrufbar, um die Umsetzung des dritten Bausteins voranzutreiben. Durch die Mittel sei das gesamte Vorhaben durchfinanziert, heißt es vom Bundesverkehrsministerium seit Monaten. Erst durch diese Ausbaustufe sollen die eigentlichen Vorteile durch die digitale Technik, wie Kapazitätssteigerungen und zuverlässigerer Bahnbetrieb, zum Tragen kommen.
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Milliarden fehlen im Bundeshaushalt, deshalb muss die Bahn sparen und stoppt eventuell geplante Projekte. Auch der Ausbau des Digitalen Knotens in Stuttgart könnte betroffen sein.
Doch seit einem Jahr geht es beim sogenannten DKS 3 nicht weiter. Ein Gremienvorbehalt bei der Bahn führt seit einem Jahr zum Streit zwischen Politikern des Landes, des Bundes und dem Bahnvorstand. Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Landesverkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne), der damalige Beauftragte der Bundesregierung für Schienenverkehr Michael Theurer (FDP) und zahlreiche Bundestagsabgeordnete, auch von CDU und SPD, schrieben nach Berlin und forderten ein Eingreifen der Bundespolitik oder ein Handeln vom Bahnvorstand.
Der Knackpunkt: Wird dieser Gremienvorbehalt nicht in diesem Jahr aufgehoben, könnten die gesamten Mittel aus dem Bundeshaushalt verfallen. So schrieb es Theurer im Mai, als er noch im Bundesverkehrsministerium war, an Bahninfrastrukturvorstand Berthold Huber. So wandte sich erst vor wenigen Wochen auch Verkehrsminister Hermann an Bahnchef Richard Lutz.
Die Folge: Das Projekt wäre dann nicht mehr finanziert und könne - zumindest vorerst - nicht umgesetzt werden. Lediglich die zu Stuttgart 21 gehörenden Bausteine 1 und 2 würden realisiert werden. "Ich fordere Sie deshalb auf, den am 27.12.2023 bei der Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung DKS III eingelegten Gremienvorbehalt unverzüglich aufheben zu lassen", so Theurer in seinem Schreiben im Mai 2024.
Stuttgart 21: Auswirkungen auf den Zeitplan?
Die Uhr tickt also. Und die Sorge wird größer, dass sich der Streit auch auf die Umsetzung schon beschlossener und im Bau befindlicher Projekte auswirkt. Bereits im Juni schrieb Ministerpräsident Kretschmann an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): "Im Übrigen hätte eine Absage auch eine industriepolitisch fatale Signalwirkung für den gesamten Bahnsektor." So würde die Firma Hitachi Rail, früher Thales, erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen in die Ausstattung des Digitalen Knotens investieren, da weitere Digitalprojekte folgen sollen. "Sollten das Pilotvorhaben in Stuttgart und in dieser Folge die Digitalisierung weiterer Bahnknoten scheitern, birgt dies auch Risiken für die weitere Produktentwicklung im Bahnsektor", so Kretschmann weiter.
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Das Bahnprojekt Stuttgart 21 wird nicht im Dezember 2025 in Betrieb gehen, sondern erst ein Jahr später - 2026. Das geht aus einer SWR-Recherche hervor.
Eines dieser Risiken könnte laut Insiderkreisen des Projektes Auswirkungen auf die geplante Fertigstellung von Stuttgart 21 und den Tiefbahnhof im Dezember 2026 haben. Dieser neue spätere Eröffnungstermin ist erst im Juni dieses Jahres bekannt gegeben worden. Doch sollte der dritte Baustein des Digitalen Knotens nicht beschlossen werden, könnte laut Insidern die Firma Hitachi den Anreiz verlieren, zusätzliche finanzielle Mittel, Ressourcen und Personal in die rechtzeitige Fertigstellung der digitalen Stuttgart-21-Technik zu investieren. Nur sechs Monate nach der Verkündung des neuen Eröffnungstermins droht nun also auch dieser bereits wieder zu wackeln.
Versucht die Bahn den Bund zu erpressen?
Doch warum hebt die Bahn nicht einfach den Gremienvorbehalt auf? Gibt es tatsächlich Unklarheiten bei der Finanzierung, wie es zwischenzeitlich hieß? Einer der letzten Briefe von Landesverkehrsminister Hermann an den Bahnvorstand, der dem SWR vorliegt, gibt Aufschluss: "Uns wurde seitens des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) mitgeteilt, dass bei den Finanzierungsverhandlungen zwischen Bund und Bahn über die Mittelausstattung der DB AG bis zum Jahr 2027 der Vorstand der DB AG die Aufhebung des Gremienvorbehalts nur unter der Bedingung zugesagt hat, dass eine gefundene Einigung über ein Gesamtpaket der Bahn-Finanzierung bis zum Jahr 2027 auch verabschiedet wird."
Die Bahn will also den Digitalen Knoten nur dann zu Ende bauen, wenn allgemein für den Konzern in den kommenden Jahren mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Zudem soll laut Hermann auch bei den Nachtragsverhandlungen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung der Digitale Knoten "als Pfand für die Verhandlungen" genutzt werden. Tatsächlich sind viele Finanzierungsfragen in anderen Bereichen bei der Bahn gerade ungeklärt. Auch der Bruch der Ampelregierung in Berlin hat dafür gesorgt, dass die Bahn unter noch größerem Druck steht, die finanzielle Lage für die kommenden Jahre schnell zu klären.
Dass für diese Verhandlungen der Digitale Knoten als Druckmittel eingesetzt wird, geht für Hermann aber zu weit. "Für den Baustein 3 des DKS ähnelt das einer Geiselnahme." Selbst die Finanzierung eventueller Kostensteigerungen beim Bau seien durch Vereinbarungen zwischen Bahn und Bund laut Hermann geregelt.
Land hat bereits in Digitalen Knoten investiert
Das Land Baden-Württemberg pocht also vehement auf die Umsetzung des dritten Bausteins beim Digitalen Knoten. Denn das Land selbst hat bereits in die neue Technik investiert. Der Großteil der Nahverkehrszüge muss auf das digitale Zugsicherungssystem umgerüstet werden - eine teure Angelegenheit. 2021 beauftragte das Landesverkehrsministerium die Umrüstung von 118 Regionalbahnzügen für 130 Millionen Euro. Später wurden zusätzlich moderne Doppelstockzüge nachbestellt - Kosten: 2,5 Milliarden Euro. Die Sorge ist also groß, dass die umgerüsteten und bestellten Züge nicht in der gesamten Region Stuttgart, sondern lediglich im neuen Tiefbahnhof, den S21-Tunnelanlagen und auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm diese kostspielige digitale Technik brauchen werden.
Pilotprojekt Digitaler Knoten Stuttgart
Beim Pilotprojekt Digitaler Knoten Stuttgart soll erstmals ein ganzer Bahnknoten nicht nur mit dem neuen European Train Control System (ETCS) ausgestattet werden, sondern der Bahnverkehr soll auch komplett über digitale Stellwerke gesteuert werden. Daraufhin sollte ursprünglich im Rahmen des Projekts "Digitale Schiene Deutschland" das System deutschlandweit Schritt für Schritt ausgebaut werden. Eine Recherche des SWR legte vor wenigen Monaten offen, dass die Bahn die digitalen Ausbauprojekte aber vorerst stoppen möchte.
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