War die SPD Filderstadt zu naiv im Umgang mit der als rechtsextremistisch eingestuften türkischen Bewegung "Graue Wölfe"? Der Ortsverein stellt sich nun gegen den SPD-Landesverband.
In Filderstadt (Kreis Esslingen) ist der SPD-Ortsverein über das Wochenende gleich zwei Mal in die Kritik geraten. Zum Fastenbrechen hatte die örtliche SPD-Spitze in der vergangenen Woche den Deutsch-Türkischen Freundschaftsverein besucht, dessen Dachverband der türkisch-nationalistischen Bewegung der "Grauen Wölfe" angehört. Beide Organisationen, Dachverband und "Wölfe", werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Und dann ging es noch um drei Kandidierende für die SPD Filderstadt auf der Liste zur Kommunalwahl Anfang Juni, die in den Verdacht gerieten den "Grauen Wölfen" nahezustehen.
Nach dem Besuch bei dem Verein zusammen mit dem Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordneten Nils Schmid hatte es auch Kritik und Anfragen von Mitgliedern gegeben. Am Wochenende ruderten sowohl der Ortsverein als auch Nils Schmid zurück und löschten entsprechende Posts aus den sozialen Medien. Man habe gedacht, es ließe sich zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft vor Ort und dem Dachverband unterscheiden. Dies sei eine Fehleinschätzung gewesen. Der Besuch hätte besser nicht stattgefunden, räumte auch der Kreisrat und Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, Walter Bauer, gegenüber dem SWR ein. Bauer war ebenfalls bei dem Treffen dabei gewesen.
Wolfsgruß und "Wölfe"-Flagge: eindeutige Fotos in sozialen Medien
Inzwischen geht es aber um einen weiteren Fauxpas in Filderstadt: Auf der Liste der Kandidierenden zur Kommunalwahl sollen für die Sozialdemokraten zwei Kandidatinnen und ein Kandidat stehen, die den "Grauen Wölfen" nahestehen. Öffentlich wurde dies durch Recherchen der Zeitung "Die Welt". Ein Redakteur hatte nach dem Besuch bei dem Moscheeverein Bilder verglichen und war in sozialen Netzwerken darauf gestoßen, wie eine Kandidatin auf Fotos den sogenannten Wolfsgruß zeigt und auf denen die Fahne der "Grauen Wölfe" zu sehen ist.Die Welt-Recherche zeigt auch einen weiteren Kandidaten auf einem Foto mit einer einschlägigen Flagge im Hintergrund.
Das sei alles "maximal dumm gelaufen", sagte Walter Bauer. Für ihn und auch den Vorstand des Ortsverein habe es keinen Anlass zur Vermutung gegeben, dass einer der Kandidierenden in der Nähe der "Grauen Wölfen" stehen könnte. "Sie überprüfen ja dann nicht den Verfassungsbericht von jemandem oder fragen bei den Treffen mit den Kandidaten, mit wem sie verkehren, ob da problematische Gruppen dabei sind", sagte Bauer. Zwei der Kandidierenden habe man schon vorher gekannt beziehungsweise ihr Umfeld. Eine der Kandidatinnen sei bereits vor zehn Jahren einmal aufgestellt worden. Alle seien engagiert, unter anderem in der Frauen- und Flüchtlingshilfe.
SPD-Generalsekretär Binder: "unentschuldbarer Vorgang"
Für SPD-Generalsekretär Sascha Binder sind die Kandidaturen und das Verhalten des Ortsvereins "unentschuldbar". Denn: "Kandidierende mit eindeutigem Bezug zu einer Bewegung, deren Ideologie von Rassismus und Antisemitismus geprägt ist, haben auf unseren Listen nichts verloren", so Binder. Er forderte am Dienstag, dass die drei Kandidaten schriftlich erklären, ihr Amt im Falle einer Wahl nicht anzutreten. Zuerst hatte es vom SPD-Landesverband geheißen, dass entsprechende Erklärungen von zwei Kandidierenden der SPD Filderstadt bereits vorlägen und die dritte noch am Dienstagabend unterschrieben werden soll. Das revidierte der Ortsverein am Mittwoch.
Konflikt zwischen SPD Filderstadt und dem Landesverband
Außerdem wurde gefordert, dass alle Drei von sämtlichen Wahlkampf-Materialien entfernt werden. Bei einer Pressekonferenz des Filderstädter Ortsvereins am Mittwoch gemeinsam mit zwei der verdächtigten Kandidierenden, einem Mann und einer Frau, wurde deutlich, dass der Ortsverein den Forderungen des Landesverbandes nur eingeschränkt folgen will. Die SPD Filderstadt habe diese Verzichtserklärung von einer der drei Kandidierenden erhalten und bestätigte, sie aus sämtlichen Wahlkampf-Materialien entfernt zu haben. Die beiden anderen verdächtigten Kandidierenden habe der Ortsverein aber aufgefordert, die Verzichtserklärung nicht zu unterschreiben.
Die Begründung: An den Beschuldigungen sei nichts dran. Diese beiden Personen stünden den "Grauen Wölfen" nicht nahe, so der Ortsverein. Dies hätten die beiden Kandidierenden auch zu Papier gebracht.
Zwei der Kandidierenden streiten Nähe zu "Grauen Wölfen" ab
Der Mann erklärte bei der Pressekonferenz, er habe zwar schon von den "Grauen Wölfen" gehört, aber nichts Genaueres über sie gewusst. Berührungspunkte mit dem Moscheeverein habe sie ausschließlich bei Trauerfeiern und zur Begleitung von älteren Damen, so die Kandidatin. Sie werde dabei als Dolmetscherin gebraucht. Beide betonten ihre demokratische politische Einstellung und wiesen klar von sich, rechtsextremistisches Gedankengut zu haben.
Dem SPD-Landesverband reicht das nicht. Er fordert weiterhin von allen drei Kandidierenden eine Verzichtserklärung. Generalsekretär Binder geht es dabei um "eine klare Trennlinie zu diesem Verein und zu den 'Grauen Wölfen'. Und nicht mal ein bisschen da sein und ein bisschen weg sein. Sondern eine klare Distanzierung."
Knappe Pressemitteilung zum Wochenende
Zum vergangenen Wochenende hin hatten der SPD-Kreisverband Esslingen und der Ortsverein Filderstadt nach der Kritik lediglich in einer knappen gemeinsamen Mitteilung erklärt: "In Bezug auf die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland ('Graue Wölfe') gilt der Unvereinbarkeitsbeschluss des SPD-Bundesparteitages aus dem Jahr 2013. Die angefragten Kandidatinnen und Kandidaten sind keine Mitglieder der SPD. Die SPD Filderstadt wird sich intern mit den angefragten Kandidatinnen und Kandidaten zur Kommunalwahl in Verbindung setzen und den Sachverhalt klären." Diese Pressemitteilung sei aber wohl versehentlich nur an wenige Medien rausgegangen, sagte Bauer: "Wenn es schief läuft, dann richtig."
Seit Jahren sind der Moscheeverein und dessen Umfeld als hochproblematisch bekannt. 2019 wurde sogar von der Stadtspitze und allen Fraktionen ein Positionspapier verfasst, das sich klar von dem Verein und seinen Aktivitäten abgrenzt, wie Oberbürgermeister Christoph Traub (CDU) in Erinnerung ruft. "Also auch mit Herrn Bauer verabschiedet und unter voller Kenntnis der Sachlage", so Traub.
Das Funk-Format "STRG_F" hat sich im vergangenen Jahr mit den "Grauen Wölfen" in Deutschland beschäftigt:
Verfassungsschutz: Filderstädter Moscheeverein einer der aktivsten
Das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz teilte auf SWR-Anfrage mit, es beobachte die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (ADÜTDF) seit über zwei Jahrzehnten als Teil des türkisch-rechtsextremistischen Spektrums. Zu ihm gehörten in Baden-Württemberg etwa 40 Vereine mit rund 2.200 Mitgliedern, darunter auch der Deutsch-Türkische Freundschaftsverein Filderstadt e. V..
Der Großraum Stuttgart sei ein Schwerpunkt der türkisch-rechtsextremistischen Szene in Baden-Württemberg. Über die Hälfte der Mitgliedsvereine der ADÜTDF haben laut eines Sprechers ihren Sitz in der Region. Sie zählten zu den mitgliedsstärksten Vereinen im Land - und der Filderstädter Mitgliedsverein zu den aktivsten der ADÜTDF in Baden-Württemberg.
Verbot der "Grauen Wölfe" wird schon lange gefordert
Eine Verbotsdebatte um die "Grauen Wölfe" gibt es seit 2020 im Bundestag, in BW fordert die FDP eine bessere Überwachung türkischer Vereine. Oft heißt es, die Menschen würden den Konflikt aus der Türkei und Kurdistan nach Deutschland importieren. Expertinnen und Experten sagen aber, dass die Bewegung kein politisches Problem aus der Türkei sei, sondern genauso eigenständig eines in Deutschland.
SWR Aktuell Wahl-Special Kommunalwahl 2024
In unserem Online-Special finden Sie alle Informationen rund um die Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Baden-Württemberg.
Mehr zu den "Grauen Wölfen" in BW
Kritik an Innenministerium FDP fordert bessere Überwachung rechtsextremistischer türkischer Vereine in BW
Werden Sportgruppen extremistischer, türkischer Vereine genutzt, um Kinder und Jugendliche zu beeinflussen? Das Innenministerium hat keine Erkenntnisse dazu - der FDP-Abgeordnete Weinmann nennt das naiv.