Seit wenigen Wochen steigen die Corona-Infektionen in BW wieder. Wer an Long Covid erkrankt, findet in einem Esslinger Therapiezentrum Hilfe - wie die 27-jährige Lena Vogel.
Noch immer ist Lena Vogel wacklig auf den Beinen. Wenn sie zu lange steht oder läuft, versagt ihr rechtes Bein. Dann muss sie sich setzen. Und dass, obwohl die 27-Jährige vor einem Jahr noch sehr sportlich war. Sie ging häufig joggen, lebte gesund und genoss ihren Arbeitsalltag als Automobilverkäuferin. Im Oktober 2022 erkrankt sie an Corona.
Seit einigen Tagen bietet der Impfstoffhersteller BioNTech einen neuen Corona-Impfstoff an. Der medizinische Geschäftsführer im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, Mark Dominik Alscher, empfiehlt allen über 60-Jährigen, sich impfen zu lassen. Im Herbst rechnet er mit steigenden Infektionszahlen:
Angst vor dem Unbekannten
Wie bei vielen Corona-Patienten war Lena Vogels Krankheitsverlauf nicht unbedingt auffällig. Halsschmerzen, Atemprobleme, Schmerzen in der Lunge. Irgendwann ist die Lungenentzündung dann abgeklungen.
Doch ein paar Wochen später verliert Lena ihre Stimme und schleichend verliert sie auch die Kontrolle über ihre Beine. "Ich wusste nicht, was mit mir los ist. Ich hatte kein Gefühl mehr. Auch heiß und kalt konnte ich nicht mehr unterscheiden. Das heiße Backblech aus dem Ofen habe ich einfach angefasst", sagt Lena Vogel.
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Ärztemarathon ohne Hilfe
Für Lena Vogel beginnt ein Ärztemarathon mit drei Krankenhausaufenthalten und einer fünfwöchigen Reha. Nichts kann ihr helfen. Im Gegenteil: Ihre Situation verschlechtert sich. Vor allem die Reha empfindet Lena Vogel als extrem anstrengend und als Überlastung. "Kein Arzt hat mich richtig ernst genommen. Alle haben auf mich eingeredet, dass das eine psychische Erkrankung sei. Erst ein Arzt aus einer Corona-Praxis in Tübingen hat dann die Diagnose 'Long Covid' gestellt. Das war in gewisser Weise erleichternd", sagt Lena Vogel.
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Eine Therapie mit offenem Konzept?
Der Arzt verweist sie im Mai 2023 an das Corona-Rehabilitationszentrum in Esslingen. Die Leiterin des Zentrums Susanne Heinl und ihr Team arbeiten bereits seit Winter 2020 auf dem Gebiet der Corona-Therapie. Damit war die Praxis zu Beginn ein Vorreiter, denn in der Region gab es keine vergleichbaren Angebote. Im Esslinger Therapiezentrum gibt es Therapeutinnen und Therapeuten für die Bereiche der Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie und Osteopathie. Alle Therapiemöglichkeiten zu kombinieren, sei ein guter Ansatz, um gegen Long und Post Covid etwas erreichen zu können, sagt die Ergotherapeutin Susanne Heinl.
Individualität als oberstes Ziel
Das Problem aller Corona-Folgeerkrankungen sei die Vielfältigkeit, so Susanne Heinl. Jeder Patient, der an Long oder Post Covid erkrankt, hat meist unterschiedliche Symptome, auch abhängig davor, welche Coronavariante der Erkrankung vorausgegangen ist. Bei den ersten Coronavarianten seien Geschmacks- und Geruchsverlust typische Corona Langzeitfolgen gewesen. Jetzt kommen immer häufiger Patientinnen und Patienten mit Reizfilterschwäche in die Praxis. Sie können Lärm und Helligkeit nur schwer ertragen. Deshalb bekommt jeder Erkrankte einen individuellen Therapieplan.
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Der lange Weg der Besserung
Bei Lena Vogel hat eine Kombination aus Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie geholfen. Auch die Arbeit mit einem Spiegel, die sonst bei Patienten mit Phantomschmerzen oder Amputationen eingesetzt wird, konnte ihr helfen. "Es war sinnvoll, ganz speziell aufs Lenas Bedürfnisse einzugehen. Das war beispielsweise in der Reha mit Gruppentherapie nicht das Fall", sagt Susanne Heinl. Lena Vogel ist vermutlich in ein paar Wochen austherapiert. Dann kann sie auch wieder ihre Arbeit aufnehmen, wenn auch langsam. Mehr als 300 Tage lang war es ihr nicht möglich zu arbeiten.
Post und Long Covid als fortbestehendes Problem
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass zwischen 10 und 20 Prozent der Coronainfizierten auch an Long Covid erkranken. Ein einheitliches Krankheitsbild gibt es bisher nicht. Auch die zugrunde liegenden Mechanismen seien noch nicht geklärt, so das Robert-Koch-Institut. Die Betroffenen müssen oft immer noch um die Anerkennung ihrer Krankheit kämpfen. Susanne Heinl rät Betroffenen, sich bei ersten Anzeichen möglichst früh an Ärzte oder Therapeuten zu wenden. Je früher die individuelle Therapie beginne, desto besser seien die Heilungschancen.
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