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Bahn plant Digitalisierung von Zugstrecken in Deutschland vorerst zu stoppen - bleibt S21 die Ausnahme?

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Frieder Kümmerer
Frieder Kümmerer
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Verena Neuhausen
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Die Bahn will aus der Digitalisierung von Stellwerken und Schienen aussteigen. Was heißt das für Zugpünktlichkeit, S21 und andere Bahn-Baustellen in Deutschland?

Die Bahn möchte den Ausbau der digitalen Stellwerkstechnik und der digitalen Schieneninfrastruktur stoppen. Das geht aus internen Plänen hervor, die dem SWR vorliegen. Mehrere Insider, darunter auch die Landesverkehrsminister aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, haben die Existenz dieser Pläne bestätigt. Demnach sollen alte und marode Stellwerke nicht - wie bisher geplant - durch neue digitale Stellwerke ersetzt werden, sondern durch herkömmliche elektronische Technik.

ETCS-Ausbau soll reduziert werden

Auch der Ausbau des neuen digitalen europäischen Zugsicherungssystems, dem European Train Control System (ETCS), soll demnach stark reduziert werden. Experten befürchten, dass die Bahn ohne diese neue Technik weniger leistungsfähig und weniger zuverlässig bleibt. Denn vor allem durch digitale Stellwerke und ETCS soll mehr Zugverkehr möglich sein, und die Bahn soll dadurch pünktlicher werden. Die neuen Pläne der Bahn haben daher Auswirkungen auf Bahnstrecken in ganz Deutschland, die bislang nicht digitalisiert sind. Es stellt sich die Frage, ob Milliardeninvestitionen, wie etwa in die S21-Neubaustrecke Stuttgart-Ulm und den Bahnknoten Stuttgart, überhaupt nötig waren.

Die Pläne sind alarmierend.

Bahn widerspricht: "Halten an Digitalisierung fest"

Die Bahn erklärte am Freitag, man halte an der Digitalisierungsstrategie für das gesamte Schienennetz fest. Ob Bauarbeiten im bisher geplanten Zeitrahmen erfolgen sollen und welche Strecken zeitnah digital modernisiert werden, teilte die Bahn auf SWR-Anfrage nicht mit. Es hieß lediglich: "In den kommenden Jahren rüsten wir unsere Strecken und Knoten Stück für Stück von den bestehenden nationalen Zugsteuerungssystemen auf ETCS um. So erreichen wir mehr Kapazität im Netz und machen unsere Infrastruktur insgesamt leistungsfähiger." Die Bahn verweist außerdem auf derzeit laufende Gespräche mit dem Bundesverkehrsministerium über Geld für Digitalisierungsprojekte. Das betreffe auch den Digitalen Knoten Stuttgart. Darüber hinaus liefen Vergabeverfahren für die serienmäßige Ausrüstung digitaler Stellwerke, hieß es in einer Mitteilung am Freitag.

Digitalisierung zu teuer für Bahn?

Bisher hatte die Bahn deutschlandweit auf eine Digitalisierung des gesamten Streckennetzes gesetzt. Dazu wurde die neue Technik auf Neubaustrecken wie der neuen S21-Verbindung zwischen Stuttgart und Ulm eingebaut. Der "Digitale Bahnknoten Stuttgart" sollte als Pilotprojekt Vorreiter für die Bahntechnik der Zukunft in ganz Deutschland werden. Auch auf der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt wird digitale Technik verbaut.

Parallel kämpft die Bahn allerdings mit einem Sanierungsstau im gesamten Schienennetz. Nach den internen Papieren will die Bahn daher jetzt weniger Geld in die Digitalisierung stecken, um so mehr Geld für die Sanierung der Haupttrassen zu haben. "Die DB InfraGO hat festgestellt, dass die digitale Stellwerktechnik zu teuer sein könnte und der Ausbau zu viel Personal binden würde", erklärte ein Bahn-Insider dem SWR. Die DB InfraGO ist für die Modernisierung der Infrastruktur bei der Deutschen Bahn zuständig.


Bahnexperte: Bahn will in Technik aus den 90er Jahren investieren

Laut SWR-Informationen hat die DB InfraGO im "Arbeitskreis Bahnpolitik" den Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes neue Schwerpunkte präsentiert. Demnach will die Bahn kaputte Anlagen durch die "bewährte Technik der 90er Jahre" ersetzen, sagte der Bahn-Insider dem SWR. Kritiker befürchten, dass zugunsten der Sanierung jetzt an der Modernisierung gespart wird.

Auszug aus einem Dokument der DB InfraGO
Diese Folie aus einer Präsentation der DB InfraGO wirkt harmlos. Doch hinter den Formulierungen verbirgt sich eine versteckte Botschaft. Die "schnell verfügbare Technik" in der ersten Welle bedeutet herkömmliche Technik aus den 90er Jahren. "ETCS-Ausrüstungsverpflichtungen" in der zweiten Welle heißt, lediglich dort ETCS ausbauen, wo die Bahn bereits vertraglich dazu verpflichtet ist.

Kritik von Landesverkehrsministern aus Schleswig-Holstein und BW

Die internen Pläne der Bahn stoßen bei Verkehrspolitikern in ganz Deutschland auf Kritik. Die Befürchtung: Ohne Digitalisierung wird die Bahn nicht zuverlässiger, leistungsfähiger und pünktlicher. Die Hoffnung, dass ein Drittel mehr Züge auf bestehenden Strecken in Deutschland fahren, schwindet. Der Verkehrsminister von Schleswig-Holstein, Claus Ruhe Madsen (CDU) teilte dem SWR mit: "Dies sendet ein falsches Signal hinsichtlich der Modernisierung und Zukunftsfähigkeit des Schienennetzes in Deutschland." Das Land Schleswig-Holstein hat im "Arbeitskreis Bahnpolitik" aktuell den Landesvorsitz inne. Auch der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) findet klare Worte: "Die Pläne sind alarmierend", sagt er dem SWR.

Besonders bedauerlich ist, dass der Rollout der digitalen Leit- und Sicherungstechnik aus finanziellen Gründen gestoppt wurde.

Was bedeuten die Sparpläne für Bahnkunden?

Bisher hatte die Bahn für die Digitalisierung der Strecken und das Leitsystem ETCS viel Werbung gemacht. Immer mit dem Argument: Mit der digitalen Technik werde die Bahn künftig pünktlicher. Außerdem sollten dank der neuen Technik mehr Züge pro Stunde fahren können.

Im Großraum Stuttgart kann man alte und neue Technik vergleichen. Zwischen Stuttgart und Ulm verkehren Züge auf zwei Trassen, der herkömmlichen mit alten Stellwerken und der Stuttgart 21-Neubaustrecke, die ausschließlich die neue ETCS-Leittechnik hat. Immer wieder hatte es mit der neuen Strecke Schwierigkeiten geben. Sollte die Digitalisierung tatsächlich gestoppt werden, würde das Projekt "Digitaler Knoten Stuttgart", das in Zusammenhang mit S21 als Pilotprojekt gilt, entscheidend an Bedeutung verlieren.

Die Bahn will weniger Geld für neue digitale Zugtechnik ausgeben. Hier sitzt ein Lokführer im Cockpit eines Zuges auf der digitalisierten Neubaustrecke Stuttgart-Ulm.
Die Bahn will weniger Geld für neue digitale Zugtechnik ausgeben, die beispielsweise schon auf der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm verbaut ist. (Archiv)

Bahnberater: Sanierung und Digitalisierung nur zusammen

Bisher waren für die Bahn die Ziele Sanierung und Digitalisierung gleichwertig. Es sei fatal, jetzt der Sanierung auf Kosten der Digitalisierung Vorrang zu gewähren, so der Berliner Bahn-Berater Hans Leister: "Die Frage ist nicht Sanierung oder Digitalisierung. Digitalisierung geht nur durch Sanierung." Die neuen Pläne veranschaulichten die finanziellen Schwierigkeiten, in der die Bahn wegen des Sanierungsrückstaus steckt.

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Betroffen von den vorgelegten Plänen ist laut den Bahn-Unterlagen und den Aussagen der Verkehrspolitiker ganz Deutschland. Eigentlich sollte beispielsweise die Schnellfahrstrecke zwischen Köln und Frankfurt in den kommenden Jahren digital ausgerüstet werden. Gleiches gilt für den sogenannten Korridor Skandinavien-Mittelmeer, also in Deutschland die Strecke von Hamburg über Halle und Erfurt nach München. Hier waren bereits Teile der Strecke mit der digitalen Zugsicherung ETCS ausgerüstet worden. Beide Projekte sollen nun der Sanierung zum Opfer fallen. Die Folge: Der geplante deutschlandweite digitale Ausbau käme zum Erliegen. "Der digitale Rollout ist tot", soll ein hochrangiger Bahnvertreter diese Woche bei einem Termin in Berlin gesagt haben.

Das war es mit der Digitalisierung der Bahn in Deutschland.

Digitaler Bahn-Knoten Stuttgart soll trotzdem gebaut werden

Auch der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann (Grüne) ist alles andere als begeistert. "Das wäre im Grunde genommen eine Absage an all das, was wir hier in Stuttgart im Digitalen Knoten machen." Der sogenannte Digitale Knoten Stuttgart, der in Zusammenhang mit Stuttgart 21 aktuell gebaut wird, sollte das Pilotprojekt für den deutschlandweiten Ausbau der Technik werden.

Bauarbeiten an der Bahnstrecke in Stuttgart-Bad Cannstatt für den Digitalen Knoten Stuttgart. (Archiv). Zu sehen sind Bauarbeiter mit Maschinen auf Bahn-Gleisen.
Bauarbeiten an der Bahnstrecke in Stuttgart-Bad Cannstatt für den Digitalen Knoten Stuttgart. (Archiv)

Mit den sogenannten Bausteinen eins und zwei wird dazu in den ersten Schritten der Betriebsablauf digitalisiert. Mit Baustein drei sollen die Vorteile der neuen Technik zum Tragen kommen, wenn ETCS und ein Digitales Stellwerk intelligent zusammenarbeiten. Zuletzt gab es immer wieder die Sorge, dass der Baustein drei durch eine unzureichende Finanzierung nicht zustande kommt. Zumindest einen Teil dieser finalen Ausbaustufe will aber die DB InfraGO laut den neuen Plänen umsetzen. In einer Mitteilung betonte die Bahn am Donnerstag: "Ziel ist auch die Klärung offener Fragen mit Fokus auf den Digitalen Knoten Stuttgart und seine dritte Ausbaustufe." Der Digitale Bahnknoten in Stuttgart vermindere die Störanfälligkeit des Netzes. Das betreffe auch die S-Bahn-Stammstrecke, so die Bahn.

Milliarden für Digitaltechnik in Stuttgart vergeudet?

Der Nutzen eines digitalisierten Stuttgarter Bahnknotens ohne parallele Digitalisierung in ganz Deutschland bleibt fraglich. So sieht es der baden-württembergische Verkehrsminister: "Das soll ja das große Pilotprojekt sein mit großem Kostenaufwand, auch des Landes Baden-Württemberg. Das wären dann Investitionen umsonst. Schließlich rüsten wir in Baden-Württemberg dafür alle Züge um." Es sei verrückt, wenn Milliarden in die Sanierung der Strecken investiert würden, ohne die moderne Technologie einzubauen.

Was die Bahn vorschlägt, ist die alte Technik aufzuhübschen, die eigentlich schon ausgereizt ist.

Auch der Bahn-Berater Hans Leister teilt diese Einschätzung: "Stuttgart würde dann ein digitales Inselprojekt mitten in Deutschland sein, während alles drum herum mit Technik aus den 90er-Jahren modernisiert wird."

Bahn fährt ohne Digitalisierung mehr Verspätungen ein

Warum die neue digitale Technik so wichtig ist, veranschaulicht Bahnexperte Leister folgendermaßen: "Stellen Sie sich vor, zwei Züge fahren auf dasselbe Gleis zu. Jetzt ist es so, dass ein Zug dann anhalten muss und wartet, bis die Strecke wieder frei ist." Durch die digitale Technik soll das anders werden. "Dann bekommt der eine Zug den Befehl, 20 Stundenkilometer langsamer zu fahren, damit er sich elegant in den Ablauf einbringt." Die meisten Verspätungen würden verursacht, wenn ein Zug auf offener Strecke anhalten müsse. Das könne durch intelligente, digitale Steuerung von Zügen vermieden werden.

Durch die digitalen Stellwerke seien darüber hinaus alle Weichen und alle anderen Elemente in der Schiene in einer Art Netzwerk verbunden. Das sorge dafür, dass Befehle über mehrere Wege zum Ziel gelangen können, ähnlich wie auch eine E-Mail im Internet über viele Wege in den Posteingang des Empfängers kommen könne. "Das heißt, wenn ein Kabel kaputt geht, oder ein Kabelkasten beschädigt ist, fällt nicht automatisch auch eine Weiche aus", so Leister.

Sind Bahn-Pläne ein Erpressungsversuch?

Das neue Konzeptpapier zur Digitalen Schiene Deutschlands von DB InfraGO ist noch nicht umgesetzt. Es muss jetzt vom Aufsichtsrat der Bahn diskutiert und beschlossen werden. Und auch der Eigentümer der Bahn, der Bund - vertreten durch das Bundesverkehrsministerium - könnte eingreifen. Verkehrspolitiker geben zu bedenken, dass die neuen Pläne ein Versuch der Bahn sein könnten, den Bund zu einer stärkeren Finanzierung der digitalen Modernisierung beim Zugverkehr zu zwingen. In der kommenden Woche beginnen die Haushaltsverhandlungen in Berlin. Es ist damit zu rechnen, dass die Kosten für die Digitalisierung der Bahn dabei eine Rolle spielen dürften.

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