Verkehrsforscher Andreas Knie vergleicht im SWR Aktuell-Interview die Verkehrssituation vor und nach Corona. Er verrät, was sich verändert hat - und was sich noch ändern muss.
SWR Aktuell: Herr Knie, der Verkehr hat sich nach der Corona-Pandemie wieder normalisiert, der ADAC meldet aber weniger Staus - was steckt dahinter?
Andreas Knie: In der Tat haben wir immer noch nicht den Zustand, wie wir ihn vor Corona hatten. Das gilt für alle Verkehrsträger, also für den Flieger, für die Schiffe, aber auch für den ÖPNV und für die Autos. Wir gehen davon aus, das momentan etwa 80 Prozent des Volumens erreicht sind. Und wir werden möglicherweise nie wieder das alte Vor-Corona-Niveau zurückbekommen, denn wir haben uns während der Pandemie so nachhaltig verändert, dass wir wahrscheinlich mit weniger Verkehr auskommen.
SWR Aktuell: Und da ist der Punkt wahrscheinlich das Home Office ...
Andreas Knie: Genau. Das spricht jedenfalls für gut ein Drittel der Beschäftigten - Tendenz eher steigend und das quer durch alle Branchen. Gerade die Pendler im Südwesten, die eher dörflich wohnen und dummerweise mit dem Auto in die Stadt zum Arbeiten müssen. Diese Wege werden jetzt weniger, und damit werden wir möglicherweise auch dauerhaft weniger Verkehr auf den Straßen haben.
SWR Aktuell: Staus haben wir aber weiterhin, vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern und gerade auch in Baden-Württemberg. Diese Staupunkte, die wir immer wieder in den Verkehrsnachrichten hören, A5 und A8, werden die trotzdem bleiben?
Andreas Knie: Also der Verkehr ist ja nicht verschwunden. Wir werden allerdings weniger Stau bekommen, weil die Peaks, also wenn alle unterwegs sind, sich abmildern. Denn wir werden individualisierter unterwegs sein. Das heißt, wir werden nicht nur weniger Verkehr haben, sondern er wird sich auch gleichmäßiger verteilen.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass unsere Infrastruktur kaputt geht. Viele Autobahnen sind sehr überlastet, und der Schwerlastverkehr der Lkws macht Straßen und vor allem die Brücken kaputt.
Und die werden jetzt gerade repariert. Deshalb ist das Volumen momentan eingeschränkt. Vielleicht sollte man sich doch eher auf die Reparatur konzentrieren und den Neubau von Straßen, der immer wieder diskutiert wird, zumindest einmal vorübergehend einstellen.
SWR Aktuell: In der Bundesregierung gibt es momentan zwischen Grünen und FDP immer wieder die Diskussionen über ein Tempolimit auf Autobahnen. Würde sich denn ein Tempolimit auf Staus auswirken?
Andreas Knie: Da sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten einig: Mit Tempo 100 würden zehn Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Gemessen daran, dass wir bisher überhaupt keine Emissionen im Verkehr eingespart haben, ist das jede Menge. Und für den Stau besonders wichtig: Der Verkehr könnte kontinuierlicher fließen, was zu weniger Stau führt.
Staubilanz 2022 ADAC: Pforzheim ist deutschlandweit Stau-Hotspot 2022
Die neue Staubilanz des ADAC zeigt: Pforzheim gilt bundesweit als Stau-Hotspot. Auch auf der A5 rund um Karlsruhe standen Autofahrer länger im Stau als im Vorjahr.
SWR Aktuell: Was ist mit der politischen Diskussion, wie der Verkehr mehr auf die Schiene kann, wie gebaut werden muss, wie saniert werden muss? Welche Schwerpunkte müssten in einer modernen Verkehrspolitik gesetzt werden?
Andreas Knie: Eine moderne Verkehrspolitik sehen wir in vielen Nachbarländern aber auch in den USA: Dort wurde der Fokus auf die Verbrennermotoren zurückgeschraubt.
Hier in Deutschland müsste der konsequente Umbau in die Elektromobilität fortgesetzt werden. Auch die Privilegien, die das Auto bei uns sehr genießt, müssten weg - zum Beispiel die permanente Subventionierung des Diesels und die Entfernungspauschale. Mit dem eingesparten Geld könnte der öffentliche Personennahverkehr und der Fernverkehr so modernisiert werden, dass das Auto quasi nicht gebraucht wird.