Wegen der Vorwürfe zu sexualisierter Gewalt bei der Polizei in Baden-Württemberg wollen die Grünen das Disziplinarrecht verschärfen. Was soll das bringen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Seit eineinhalb Jahren beschäftigt der Fall der mutmaßlichen sexuellen Belästigung durch den Polizeiinspekteur die Politik in Baden-Württemberg. Jetzt gibt es auch noch einen Verdacht gegen einen Dozenten an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen: Der Polizist sei wegen grenzüberschreitenden Verhaltens gegenüber Polizistinnen vom Dienst suspendiert worden, heißt es in Medienberichten vom Samstag. Die Grünen im Landtag fordern nun, das Disziplinarrecht zu überdenken, nach dem die Behörden Fehlverhalten ihrer Beamtinnen und Beamten ahnden. Worum geht es? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
- Um was geht es im Disziplinarrecht?
- Sind Disziplinarverfahren und Justizverfahren das Gleiche?
- Ist mit dem Gerichtsprozess das Disziplinarverfahren gegen den Inspekteur beendet?
- Was fordern die Grünen in BW konkret?
- Warum?
- Wie schwer sind die Strafen nach einem Disziplinarverfahren?
- Was fordern die Grünen noch?
- Gibt es Stellen, an die sich die Geschädigten wenden können?
- Reichen sie aus?
Um was geht es im Disziplinarrecht?
Das Disziplinarrecht greift, wenn Anhaltspunkte für einen Verdacht vorliegen, eine Beamtin oder ein Beamter könnte sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht haben. Dabei kann es sich zum Beispiel um Mobbing drehen, Bestechung oder eben sexuelle Belästigung und Gewalt, auch innerhalb des Kollegenkreises. Der Dienstherr oder die Dienstherrin muss dann ein Disziplinarverfahren von Amts wegen einführen. In dem Verfahren lädt die Führungspersönlichkeit Zeugen vor, sie kann Gutachter hören oder Durchsuchungen anordnen. Sie sammelt belastende, aber auch entlastende Indizien, um den Verdacht zu bestätigen oder aufzuklären.
Sind Disziplinarverfahren und Justizverfahren das Gleiche?
Nein. Das Verfahren ist keine strafrechtliche Ermittlung und es ersetzt sie auch nicht: Werden Staatsanwaltschaft und Polizei bei einem Verdacht tätig, wird das Disziplinarverfahren ausgesetzt, so wie das bei den Vorwürfen gegen den Polizeiinspekteur gerade der Fall ist. Hier stechen Ermittlungen und Prozess das Disziplinarverfahren. So wollen die Behörden doppelte Arbeit vermeiden.
Heißt das, das Disziplinarverfahren gegen den Polizeiinspekteur ist beendet?
Nein. Das Disziplinarverfahren läuft nach dem Prozess weiter. Die Erkenntnisse, die das Gericht zutage fördert, sind dann auch für das Disziplinarverfahren wichtig. Anhand derer muss der Dienstherr unabhängig vom Urteil entscheiden, ob ein Dienstvergehen vorliegt oder nicht.
Was fordern die Grünen in BW konkret?
Sexuelle Gewalt müsse künftig bei der Polizei als schweres Dienstvergehen gewertet werden, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Oliver Hildenbrand, der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. "So können wir noch besser gewährleisten, dass solches Fehlverhalten mit angemessener Härte geahndet wird."
Warum?
In Baden-Württemberg unterscheidet das Disziplinarrecht leichte, mittelschwere und schwere Dienstvergehen, doch die Schwere wird im Einzelfall geprüft. Kriterien dafür sind zum Beispiel, wie häufig und lange das Fehlverhalten auftrat und dauerte, wie groß der Vertrauensverlust der Behörde und generell der Schaden durch die Tat ist. Sexuelle Belästigung kann demnach als schweres Dienstvergehen eingestuft werden - muss sie aber nicht. Das wollen die Grünen ändern. Es mangele an einer Definition, was als schweres Dienstvergehen zähle, sagte Hildenbrand. Aus Sicht der Grünen muss neben dem Verbreiten rechtsextremistischer Inhalte auch sexualisierte Gewalt künftig in Bund und Land als schweres Dienstvergehen gewertet werden
Wie hoch sind die Strafen?
Die Strafen werden als Disziplinarmaßnahmen bezeichnet. Es gilt: Je schwerer das Dienstvergehen, desto weitreichender die Maßnahme. Die Spanne reicht vom schriftlichen Tadel, über Geldbußen bis zum Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis. Stufe das Recht sexualisierte Gewalt als schweres Vergehen ein, würde das einen Beitrag dazu leisten, dass disziplinarrechtliche Maßnahmen schärfer ausfielen, so Hildenbrand.
Was fordern die Grünen noch?
Es müsse geprüft werden, ob nach dem Abschluss eines Disziplinarverfahrens - sofern eine Verfügung oder ein Urteil ergehe - bereits bezahlte Bezüge zurückgefordert werden könnten. Der Polizeiinspekteur ist derzeit vom Dienst freigestellt, darf seit Ende 2021 keine Dienstgeschäfte mehr führen - kassiert aber seitdem weiter monatliche Bezüge in Höhe von mehr als 8.000 Euro.
Außerdem wollen die Grünen die Spitze der Polizei in Baden-Württemberg verschlanken. Landespolizeipräsidentin, Inspekteur der Polizei, Landeskriminaldirektor, Landespolizeidirektor, Präsidentinnen und Präsidenten der regionalen Polizeipräsidien - das sei "eine sehr breite Führungsspitze" bei der Polizei im Land, kritisierte Hildenbrand. Schlankere Strukturen könnten es möglich machen, effektiver zusammenzuarbeiten, sagte er.
Im Fall des Polizeiinspekteurs und des Dozenten an der Hochschule in Villingen-Schwenningen waren die mutmaßlichen Opfer selbst Polizistinnen. Gibt es Stellen, an die sich die Geschädigten wenden können?
Ja, die gibt es. Die Gewerkschaft der Polizei und die Bürgerbeauftragte des Landes haben eine Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt innerhalb der Polizei eingerichtet. Betroffene können sich auch an Mitglieder der Personalvertretung in der Dienststelle, die Beauftragte für Chancengleichheit oder die Vorgesetzten wenden.
Reicht das?
Nein, sagt etwa die SPD im Land. Bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss im vergangenen Jahr hatte sie mehr externe Anlaufstellen, klar kommunizierte Meldewege und Dienstvereinbarungen für den Umgang mit sexueller Belästigung gefordert. In einer Dienstvereinbarung regeln Arbeitgeber und Personalrat Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Beschäftigten. Viele Fälle blieben im Dunkeln, weil Wege fehlten, sexuelle Fehlverhalten anzuzeigen, sagen auch Expertinnen und Experten. Die Grünen kritisieren in dem Zusammenhang die Fehlerkultur bei der Polizei. Der innenpolitische Sprecher Hildenbrand spricht von der Tendenz, "interne Probleme und Missstände unter einem Mantel des Schweigens zu verhüllen". "Das kann dazu führen, dass Beamtinnen und Beamte lange stillhalten, obwohl sie vielleicht ein schlechtes Gefühl haben mit dem, was eine Kollegin oder ein Kollege tut."