Das RS-Virus kann für kleine Kinder zur Gefahr werden. Ein Grund für den drastischen Anstieg an Klinikbehandlungen bei Säuglingen könnten die Corona-Schutzmaßnahmen gewesen sein.
Die hohe Zahl an kranken kleinen Kindern mit schweren Atemwegserkrankungen hat die Kliniken im Winter an die Grenzen der Belastung geführt. Lange Wartezeiten in den Notaufnahmen, keine freien Betten - viele baden-württembergische Kinderkliniken sprachen von einem Ausnahmezustand. Nun zeigt sich: Im vergangenen Winter ist die Zahl der Neugeborenen und Säuglinge, die wegen des sogenannten RS-Virus in einer Klinik im Südwesten behandelt werden mussten, laut einer Studie drastisch gestiegen.
Ein Grund: Durch Schulschließungen und Kontaktverbote während der Corona-Pandemie hatten sich vorletzten Winter deutlich weniger Kinder mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) infiziert - das wurde dann in der jetzt zu Ende gehenden kalten Jahreszeit auf- und nachgeholt.
Nicht selten steckt das RSV dahinter, wenn Kinder stark husten, schnell atmen und Atemnot bekommen. Am RSV kann man zwar in jedem Alter erkranken, aber vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Erreger bedeutsam. Folge können einfache Atemwegsinfektionen sein, aber auch schwere Verläufe bis hin zum Tod sind möglich.
Säuglinge können indirekt von Nachhol-Effekt betroffen sein
Auch wenn diese besonders kleinen Kinder und Säuglinge zu jung sind, um die meisten Kontaktbeschränkungen selbst erlebt zu haben - von dem Nachhol-Effekt könnten sie trotzdem indirekt betroffen sein, erklärt Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
So könne es mehr Kinder geben, die sich aufgrund der Maßnahmen im Alter von zwei bis drei Jahren erstmals mit RSV infizieren. "Diese Kinder haben häufig inzwischen schon kleine Geschwister, die dann natürlich häufiger angesteckt werden.", so Maske. Allerdings müsse diese Frage weiter wissenschaftlich aufgearbeitet werden.
Immunologe: Nestschutz möglicherweise vermindert
Möglich sei außerdem ein verminderter Nestschutz, erklärt Johannes Liese, Professor für pädiatrische Infektiologie und Immunologie an der Universität Würzburg. Denn während der Schwangerschaft werden Antikörper von der Mutter auf das Kind übertragen, so ist das Neugeborene in den ersten Monaten geschützt.
Da die Mütter aber während der Pandemie weniger Kontakt zu RS-Viren hatten, hätten sie in dieser Zeit auch weniger entsprechende Antikörper gebildet, so Liese. Das könne zusätzlich eine Rolle spielen, bei der Frage, weshalb sich vermehrt Kinder im ersten Lebenshalbjahr angesteckt haben.
Zu Risikopatienten zählt das RKI zum Beispiel Frühgeborene und Kinder mit Lungen-Vorerkrankungen, aber auch generell Menschen mit Immunschwäche oder unterdrücktem Immunsystem.
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Nach einer Analyse im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit lag die Zahl der unter Einjährigen mit RSV im letzten Viertel des vergangenen Jahres in Baden-Württemberg dreimal höher als im selben Zeitraum 2018 - also vor der Corona-Pandemie.
Zwischen Oktober und Dezember seien mehr Kinder mit RSV in Krankenhäusern behandelt worden als in der gesamten Vor-Corona-Saison 2018/19. Der Anteil auf den Intensivstationen stieg laut DAK um 134 Prozent.
Stationäre Fälle haben sich verdreifacht
Mediziner sprechen von erheblichen Nachholeffekten nach der Corona-Pandemie. Denn während der Covid-19-Pandemie in Baden-Württemberg seien nahezu keine Kinder mit RSV-Infektionen im Krankenhaus behandelt worden. Nach der Corona-Pandemie habe sich der Höhepunkt der RSV-Welle zeitlich nach vorne verschoben, teilte die DAK mit. Und es seien merklich mehr Kinder stationär versorgt worden. In der Saison 2021/22 habe sich der Anteil der baden-württembergischen Babys, die mit RSV im Krankenhaus behandelt wurden, im Vergleich zur Saison 2018/19 verdreifacht.
Doch nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern gab es im vergangenen Winter eine starke RSV-Welle - unter anderem in Schweden. Während der Corona-Pandemie galten hier nicht so strenge Kontaktbeschränkungen wie in Deutschland. Trotzdem: "Die Vorsichtsmaßnahmen hatten vermutlich auch in Schweden einen deutlichen Effekt auf die Weiterverbreitung von respiratorischen Viruserkrankungen", so Johannes Liese von der Universität Würzburg. Außerdem sei die Zirkulation der RS-Viren weltweit während der Pandemie zurückgegangen. Beides habe zur Folge, dass sich im vergangenen Winter auch in Schweden viele Kinder zum ersten Mal mit RSV infiziert haben.
Stuttgarter Mediziner fordert mehr Geld für Kinderkrankenhäuser
Auch Jan Steffen Jürgensen, Vorstand des Klinikums Stuttgart, spricht von einer "ausgefallenen Infektsaison". Zudem hätten sich mehrere Wellen kritisch überlagert. "An den schweren Verläufen vieler Neugeborener und Säuglinge wurde das schmerzhaft deutlich", sagte der Stuttgarter Mediziner.
Jürgensen forderte vor allem bessere Rahmenbedingungen für die Betreuung der kranken Kinder: "Die Zahl der Betten in Kinderkrankenhäusern ist seit Jahren rückläufig", sagte er. In den vergangenen 30 Jahren sei die Anzahl um etwa 40 Prozent gesunken, die verbliebenen Kliniken seien oft sehr stark belastet. "Kindernotaufnahmen arbeiten am Limit und schon bei leichten Steigerungen der Patienten wird die Überlastung immer wieder gefährlich", warnte Jürgensen. Allein in der Kindernotaufnahme des Klinikums Stuttgart seien im vergangenen Jahr mehr als 50.000 Kinder akut versorgt worden.
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DAK-Landeschef: "Besorgniserregende Entwicklung"
Ähnlich sieht das der Landeschef der DAK-Gesundheit, Siegfried Euerle. "Unsere Analyse zeigt eine besorgniserregende Entwicklung", sagte er. Personalmangel dürfe die Versorgung nicht gefährden.
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Die DAK-Gesundheit ist nach eigenen Angaben mit 5,5 Millionen Versicherten die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands. Insgesamt sind bei der Krankenkasse in Baden-Württemberg rund 630.000 Menschen versichert.