Am Oberlandesgericht Stuttgart hat am Montag ein besonderer Terrorprozess begonnen. Neun Männer sind angeklagt, weil sie einen Staatsstreich geplant haben sollen.
Ein echter Prinz soll ihr Anführer gewesen sein. Auch wenn Heinrich XIII. Prinz Reuß im ersten Prozess gegen die nach ihm benannte Gruppe noch nicht auf der Anklagebank sitzt, sondern sich erst in einigen Tagen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verantworten muss, gilt er als das geistige und organisatorische Zentrum einer Verschwörung gegen die bestehende Demokratie in der Bundesrepublik.
Nicht weniger als eine Wiederauferstehung des Deutschen Reichs soll die Gruppe im Sinn gehabt haben. Gewaltsam sollte das geschehen, unter anderem mit einem Sturm auf den Bundestag und einer Entführung des Bundespräsidenten. Der Startpunkt sei aber immer wieder verschoben worden, heißt es in den bislang drei Anklagen des Generalbundesanwalts gegen die Gruppe. Den Auftakt dieser Prozesse bildet am Montag vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im besonders geschützten Verhandlungssaal in Stuttgart-Stammheim.
Angeklagte stammen auch aus Tübingen, Freiburg und vom Bodensee Bundesanwaltschaft klagt mutmaßliche Mitglieder von "Reichsbürger"-Netzwerk an
Ein Jahr nach der Razzia gegen ein mutmaßliches "Reichsbürger"-Netzwerk hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen 27 Personen erhoben. Sie wollten wohl die Bundesregierung gewaltsam stürzen.
Gruppe suchte aktiv nach angeblich entführten Kindern
Die Sache ist ernster, als sie beim ersten Hören klingt. Zwar hatten Teile der Gruppe allerlei bizarre und antisemitische Vorstellungen über mystische Ereignisse, internationale Verschwörungen in der Weltpolitik und einen weltweit agierenden Geheimbund, der Kinder entführt, um ihr Blut zu trinken. Doch Spinnerei als Motiv reicht wohl nicht aus, um dieses Phänomen zu erklären. Denn die Gruppe soll die - angeblich in Schweizer Kellern und Höhlen - entführten Kinder tatsächlich aktiv gesucht haben und zwei derzeit noch nicht angeklagten schweizerischen Zwillingsbrüdern hohe Geldsummen für ihre Hilfe gezahlt haben. Zudem stammen viele Beschuldigte aus der antidemokratischen und gewaltbereiten "Reichsbürgerbewegung".
Paramilitärische "Heimatschutzkompanien" waren Teil des Plans
Noch sorgenvoller stimmte deutsche Sicherheitsbehörden vor dem Ausheben der Gruppe allerdings ein Plan, paramilitärische "Heimatschutzkompanien" in Deutschland zu errichten, um nach einem Umsturz mit ihrer Hilfe das Land regieren zu können. Viele der Männer, die dies geplant haben sollen, kommen aus Baden-Württemberg. Einige von ihnen haben Bezüge zu militärischen Spezialeinheiten wie dem "Kommando Spezialkräfte" (KSK) aus Calw.
Angeklagter verletzte zwei SEK-Beamte schwer
Wie gewaltbereit die Gruppe war, leiten die Ermittler nicht nur aus diesen paramilitärischen Strukturen und zahlreichen Waffen ab, die den Angeklagten teilweise legal und teilweise illegal zur Verfügung gestanden haben. In Reutlingen sollte am 22. März 2023 die Wohnung eines heute 47-jährigen Beschuldigten durchsucht werden, den die Ermittler zur "Gruppe Reuß" zählten. Doch als das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei Baden-Württemberg am frühen Morgen die Wohnung stürmte, soll der Mann aus einer Art Hinterhalt gezielt auf die Polizisten geschossen und versucht haben, sie zu töten. Zwei SEK-Beamte wurden schwer verletzt.
Nach Schusswechsel bei Hausdurchsuchung Razzia gegen "Reichsbürger": Tatverdächtiger in U-Haft
Bei einer Razzia gegen einen "Reichsbürger" in Reutlingen wurde ein SEK-Beamter leicht verletzt. Innenminister Strobl warnt vor der Szene und kündigte konsequentes Vorgehen an.
Offenbar, so sieht es der Generalbundesanwalt, hatte der Mann die Polizei erwartet. Nach SWR-Informationen hatte er nicht nur eine geladene Pistole mit Ziellampe unter seinem Kopfkissen versteckt, sondern auch ein Gewehr bereitgestellt und sich hinter einem Stuhl versteckt, über dem eine schusssichere Weste als Deckung hing. Entsprechend lautet der Anklagevorwurf auf versuchten Mord. Mit diesem Geschehen will sich das Oberlandesgericht zu Anfang des Verfahrens in den kommenden Wochen beschäftigen. Insgesamt dürfte der Prozess viele Monate dauern.
Am Montag dürften alle Beteiligten in der Justiz schon zufrieden sein, wenn die Vertreter des Generalbundesanwalts ihre Anklage verlesen können. 33 Seiten lang ist der sogenannte Anklagesatz, der öffentlich vorgetragen wird. Die komplette Anklage umfasst in Stuttgart 605 Seiten. Allerdings dürften auch die rund zwanzig Verteidigerinnen und Verteidiger der neun Angeklagten am ersten Tag ihre Zweifel zu Gehör bringen. Eine Aufteilung des Verfahrens in mehrere Prozesse und andere formelle Bedenken gehören dazu, hieß es vorab aus dem Kreis der Verteidiger.
Acht der Neun kommen aus Baden-Württemberg
Im Gegensatz zu den noch kommenden Verfahren an den Oberlandesgerichten Frankfurt/Main und München, bei denen die Angeklagten aus ganz Deutschland stammen, ist der Stuttgarter Prozess vergleichsweise regional besetzt: Die Angeklagten kommen aus Pfinztal, Ettlingen (beide Kreis Karlsruhe), Oberharmersbach (Ortenaukreis), Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt), Rottenburg am Neckar, Neustetten (beide Kreis Tübingen) und Reutlingen. Nur ein Mann kommt aus Hessen.
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