Careleaver werden sie genannt: Pflegekinder, die aus der Jugendhilfe fallen. Leo ist bald einer von ihnen - doch im Vergleich zu vielen anderen hat er Glück.
Ein Bett, ein voller Kühlschrank, das Lieblingsessen am Familientisch - für viele Kinder und Jugendliche ist dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu Eltern keine Selbstverständlichkeit. Gerade dann, wenn sie Jugendhilfe in Anspruch nehmen müssen und zum Beispiel in Heimen oder einer Pflegefamilie aufwachsen. Das ist schwer genug - doch was passiert eigentlich mit jungen Menschen, wenn der Staat sie aus seiner Obhut entlässt? Wenn sie zwar schon volljährig sind, aber trotzdem noch jemanden bräuchten?
Junge Menschen ziehen laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich mit 24 Jahren von Zuhause aus. Für Jugendliche in Obhut ist mit 21 Jahren Schluss mit der Hilfe. Seit zwei Jahren gibt es zwar einen gesetzlichen Anspruch auf weitere Unterstützung, doch in Baden-Württemberg ist das selten der Fall. Careleaver nennt man sie, wenn sie dann ohne Hilfe in die Eigenständigkeit übergehen - wie zum Beispiel Leo.
Vorzeigeprojekt in Tübingen ist eine Seltenheit in BW
Der Chemie-Student an der Universität Tübingen befindet sich aktuell noch in Obhut. Finanzen, schlechte Noten in der Schule - all das regeln seine Betreuer von Jugendamt und Jugendhilfe zusammen mit ihm. Doch in einem Dreivierteljahr ist damit weitgehend Schluss. Mit 21 Jahren gilt er als erwachsen und muss überwiegend alleine klarkommen. "Im Alltag, wenn dann ein Brief kommt vom Amt, und ich nicht ganz weiß, was ich mit einer Rechnung machen soll, dann werde ich es schon vermissen, da jemanden zu haben", sagt er.
Alleine klarkommen müssen die Careleaver wie Leo, bei denen die staatliche Jugendhilfe endet, eigentlich seit zwei Jahren nicht mehr. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurde entsprechend geändert. Die Hilfe muss bei Bedarf auch länger gehen. Leo hat Glück. Denn in Tübingen gibt es die Careleaver-Anlaufstelle der kit-Jugendhilfe. An die 35 Jugendliche werden hier betreut, erklärt Nina Wlassow, die Projektmanagerin. Die Anlaufstelle ist ein Vorzeigeprojekt. Im Rest von Baden-Württemberg sehe das allerdings anders aus, sagt sie.
Laut Wlassow gibt es im Land drei Landkreise, die eine entsprechende Struktur aufgebaut hätten. Drei bis fünf weitere seien "inhaltlich dran, aber mehr gibt es in 40 Landkreisen nicht", sagt sie.
Viele Landkreise können der gesetzlichen Pflicht nicht nachkommen
Eigentlich ist die Hilfe seit über zwei Jahren gesetzliche Pflicht. Das zuständige Sozialministerium verweist weiter an das Landesjugendamt und örtliche Träger. Laut Landesjugendamt ist die Hilfe Sache der Kommunen. Sie müssten kontrollieren, dass es Hilfsstrukturen gibt und sie eigenständig einführen.
Doch von kommunaler Seite gibt es Widerspruch. Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, weiß, wie wichtig Anlaufstellen wären. Allerdings: "Wir müssen auch sehen, dass die Landkreise erhebliche personelle Probleme haben im Bereich der Jugendhilfe", sagt er. Außerdem konkurriere die Betreuung mit der von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.
Jugendhilfe: Oft fehlt Geld und Personal
Auch Jugendhilfen, wie etwa die kit-Jugendhilfe in Tübingen, bemängeln, dass es oft nicht genügend Geld und Personal für entsprechende Strukturen gebe. Der Landkreistag schlägt deshalb vor, in bestimmten Bereichen der Jugendhilfe die Standards für das Personal abzusenken.
Leo ist froh, dass es in Tübingen schon eine Anlaufstelle gibt. "Wenn man alleine schon weiß, dass es da was gibt, wo man sich trotzdem noch melden kann, wenn man komplett alleine ist - dass man sich da gestärkt fühlt, weil man denkt: Okay, es steht nicht mehr alles auf dem Spiel."