Nacheinander treten in Stuttgart die voraussichtlichen Rivalen um die Kretschmann-Nachfolge zum Gespräch an: Cem Özdemir und Manuel Hagel. Vor allem der Grüne spart nicht mit Spitzen.
Cem Özdemir ist am Mittwochabend nur Zweiter. Als der Grüne im Stuttgarter Wizemann vor gut 500 Zuhörern auf die Bühne steigt, ist sein voraussichtlicher Konkurrent um das Amt des Ministerpräsidenten schon wieder weg. Das Interview mit Özdemir bei der Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung" dauert bereits fast 25 Minuten, als er erstmals - zumindest indirekt - auf den CDU-Mann Manuel Hagel zu sprechen kommt.
Es geht um das von der EU geplante Ende für Verbrenner-Autos ab 2035. Hagel hatte gut eine Stunde vorher an gleicher Stelle gesagt, er würde die Frist gern nach hinten verschieben und synthetische Kraftstoffe voranbringen - wofür er einige wütende Zwischenrufe erntet, die ihn kurzzeitig aus dem Konzept bringen.
Wenig später erklärt Özdemir, was er von Hagels Vorstoß hält: nichts. Er habe gehört, dass "mein Mitbewerber" sich für synthetische Kraftstoffe ausspreche, sagt der Bundesminister. Er könne dazu nur sagen: "Ich war nur in Schulen, wo man Physik nicht abwählen konnte." Es sei illusorisch, auf synthetische Kraftstoffe zu setzen. "Die gibt es nur in Reagenzglasgröße", sagt Özdemir. "Das kann man nicht ernsthaft vertreten."
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Ein Aal sei verlässlicher als Söder
Der 58-jährige Grünen-Politiker, seit dem Bruch der Ampelkoalition nicht mehr nur Bundesminister für Landwirtschaft, sondern auch für Bildung und Forschung, ist an diesem Abend spottlustig.
Über Markus Söder, den bayerischen Ministerpräsidenten, sagt er: "Ein Aal ist - glaub ich - verlässlicher." Mal wolle der CSU-Chef schnell aus der Atomkraft aussteigen, dann wieder einstiegen. "Er ist mir zu schnell mit seinen Pirouetten." So sei die Jugend eben heutzutage, sagt Özdemir über den ein Jahr jüngeren Söder. "Aber ich will die Jugend nicht beleidigen."
Özdemir zieht über FDP her
Auf die Frage, wer bei der Ampel denn nun mit wem Schluss gemacht habe, zieht Özdemir nach einigen Vorreden über die FDP her. Er erinnert an den Ausstieg der Liberalen aus den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition Ende 2017, als FDP-Chef Christian Lindner zur Begründung sagte: "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Özdemir erzählt, dass sein Sohn danach immer gesagt habe: "Lieber keine Hausaufgaben, als schlechte Hausaufgaben."
Bei Liberalen komme als erstes die Person und als letztes das Land
Als Minister müsse man doch das Land an erste Stelle stellen, mahnt der Grüne. "Ganz zum Schluss kommt die Person." Bei der FDP sei das anders: Da stehe an erster Stelle die Person, dann komme lange nichts, dann die Partei, dann wieder lange nichts und erst dann das Land.
Am Zerbrechen der Ampel trügen aber alle Partner ihren Anteil. Die Grünen hätten zu schnell zu viel gewollt und hätten den Veränderungswillen der Menschen überschätzt. Die SPD habe führen wollen, "ein bisschen". Und über die FDP sagte er: "Die dritten haben gesagt: ich, ich, ich."
Heimspiel für Özdemir in Stuttgart
Seit 30 Jahren spielt Cem Özdemir in der großen Politik mit. 1994 zog der gebürtiger Uracher mit türkischen Wurzeln erstmals in den Bundestag ein. Der 58-Jährige ist der erfahrene, der wortgewandte Bundesminister und Stuttgarter Abgeordnete - er hat an diesem Abend ein Heimspiel und viele Lacher auf seiner Seite.
Aber politisch ist er in der Defensive. Denn das Ampel-Chaos hat auch die Umfragewerte der Grünen in BW nach unten gezogen. Die Partei von Regierungschef Winfried Kretschmann liegt bei 18 Prozent, die mitregierende CDU von Hagel bei 34 Prozent.
Rückenwind für CDU BW aus Berlin
Der junge Christdemokrat sagt denn auch im vorgelagerten Interview keck: "16 Prozent vorne liegen ist schon angenehmer, als 16 Prozent hinten." Da spricht einer, der momentan Rückenwind aus Berlin verspürt.
Viel spricht dafür, dass nach den Neuwahlen am 23. Februar Friedrich Merz ins Kanzleramt einzieht. Der in BW immer noch relativ unbekannte Hagel will den Schwung nutzen und 2026 in die Staatskanzlei einziehen. Während Özdemir mehr über die gescheiterte Ampel Auskunft geben muss, als über seine Pläne für BW ("Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben"), darf Hagel ausführlich seine Sicht aufs Land beschreiben und erklären, woran es seiner Meinung nach hakt.
Hagel drängt auf Verwaltungsreform in BW
Der 36-Jährige aus Ehingen im Alb-Donau-Kreis tut das meistens in ernsthaftem Ton: Er fordert mehr Anstrengungen von jedem einzelnen. Viele hätten vergessen, woher der Wohlstand kommt. Deutschland und BW hätten an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die Migrationskrise sei zur Sicherheitskrise geworden.
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Hagel sieht das Land zudem in einer "Staatskrise" wegen der überbordenden Bürokratie. Es gebe in BW fünf Verwaltungsebenen: die Gemeinden, die Landkreise, die Regionalverbände, die Regierungspräsidien und das Land mit den Landesoberbehörden. Dadurch werde im Schnitt jeder dritte Verwaltungsvorgang mindestens zweimal artgleich bearbeitet, sagte Hagel. "Ich finde, da können mindestens zwei weg." Man brauche einen funktionsfähigen Staat, deshalb müsse man eine Reform angehen.
So äußerte sich BW-CDU-Chef Manuel Hagel zur Verwaltungsreform:
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Und dann geht es auch um Markus Söder und die Grünen. Der CSU-Chef sei ja strikt gegen eine Koalition mit der Ökopartei nach der Bundestagswahl am 23. Februar. Was er denn dazu sage, schließlich regiere die CDU in BW mit den Grünen.
"Die CSU ist ja unsere kleine Schwester", sagt Hagel und erntet dafür einen seltenen Lacher. In einer Familie sei es so, dass man Dinge auch mal unterschiedlich sieht. Und dann kommt ein großes Plädoyer auf die Koalition in BW: Zwar seien CDU und Grüne sehr unterschiedlich. Aber: "Wir machen aus diesen Unterschieden keine unüberbrückbaren Gräben. Wir machen aus diesen Unterschieden etwas Neues. Es macht nicht nur Sinn, es macht auch Freude."
Strebt Hagel eine Koalition mit der SPD an?
War das schon eine Einladung für Koalitionsverhandlungen nach einem möglichen CDU-Sieg nach der Landtagswahl? Schließlich rechnen viele damit, dass Hagel in dem Fall eher auf die SPD zugehen würde, um den größeren grünen Konkurrenten endlich mal wieder aus der Regierung zu kegeln - so wie Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) das in Hessen gemacht hat.
Hagel sagt, entscheidend sei "wer geht ans Telefon, wenn du anrufst". Dann komme es darauf an, ob derjenige verlässlich sei und in den eigenen Reihen auch was durchsetzen könne. "Da ist mir völlig wurscht, welche Partei das ist."
Hagel und Özdemir haben bis zur Landtagswahl noch 16 Monate Zeit herauszufinden, ob sie einander verlässlich finden.
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