Die in Baden-Württemberg geplante Pflegekammer wird voraussichtlich nicht eingerichtet. Der zuständige Minister geht von einer Ablehnung aus. An dem Projekt gibt es scharfe Kritik.
Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) geht davon aus, dass es im Land wohl keine Pflegekammer geben wird. "Es zeichnet sich ab, dass das Quorum für eine Pflegekammer in Baden-Württemberg nicht erreicht wird", sagte Lucha am Mittwoch im Sozialausschuss des Landtags in Stuttgart. Er bedauere das. Man müsse sich überlegen, warum man die Pflegekräfte nicht von den Vorzügen der Kammer habe überzeugen können.
Mindestens 60 Prozent Zustimmung als Voraussetzung
Konkrete Zahlen könne er nicht nennen, weil die Einwendungen erst noch geprüft werden müssten. Es sei aber nicht absehbar, dass sich der Trend noch ändere. Gegründet sollte die Kammer nur werden, wenn sie von einer Mehrheit der Pflegefachkräfte gewollt ist. Dafür muss ein Quorum von mindestens 60 Prozent Zustimmung erreicht werden. Geplant war ein Starttermin Ende 2024 oder Anfang 2025.
Der Landtag hatte im vergangenen Mai den Weg zur Gründung einer Pflegekammer frei gemacht. Sie sollte die Interessen der Pflegefachkräfte aus Sicht der grün-schwarzen Landesregierung besser vertreten, dem Berufsstand eine Stimme geben und das Berufsbild schärfen. Bis zum 23. Februar konnten mehr als 110.000 angeschriebene Pflegekräfte Einwände gegen die Errichtung der Kammer erheben.
Das Land verfolgt den Plan für eine Pflegekammer bereits seit 2016. Dazu fand im Jahr 2018 eine Befragung von Kranken- und Altenpflegekräften in Baden-Württemberg statt: Damals waren zwar 68 Prozent für die Kammer, allerdings hatten nur rund 2.700 Pflegekräfte teilgenommen.
Ablehnende Pflegekräfte sehen keinen Mehrwert
Die Pflegekammer werte den Pflegeberuf auf - so hatte Gesundheitsminister Lucha für das Vorhaben geworben. Als Vertreterin der Pflegekräfte säße die Kammer in entscheidenden Gremien dann mit am Tisch. Für die Schaffung einer Pflegekammer im Land hatten auch der Landespflegerat Baden-Württemberg und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) geworben. Die Pflegekammer als Selbstverwaltungsorgan des Berufsstands könne den Beruf weiterentwickeln und Strukturen mitgestalten, so der Landespflegerat. Laut DBfK könnte eine Pflegekammer zum Beispiel eine Berufsordnung erlassen, die etwa Qualitätsstandards in der Berufsausübung definiert.
Allerdings sind die Arbeitsbedingungen in der Pflege laut Lucha kein Thema für die Pflegekammer. Daran hatte sich Kritik von Pflegekräften entzündet, die die Gründung der Kammer ablehnen: Sie seien dann zur Mitgliedschaft und damit zur Zahlung von Beiträgen gezwungen, bekämen dafür aber keinen Mehrwert, da die Kammer die Rahmenbedingungen nicht verbessern könne. Ausnahmen bei der Mitgliedschaft sollte es nur für Auszubildende, Pflegehelferinnen und Pflegehelfer sowie Hochschuldozierende geben.
Scharfe Kritik am Verfahren zur Pflegekammer
Auch die Gewerkschaft ver.di steht einer Pflegekammer ablehnend gegenüber, da diese auf das drängendste Problem in der Pflege - mehr Personal zu finden - keinen Einfluss hätte. Gewerkschaften und die Opposition kritisierten zudem das Verfahren scharf und bezeichneten es als undemokratisch. Auch hatte es mehrere Probleme in dem Verfahren gegeben. So habe man etwa 3.100 Pflegekräfte wegen fehlender oder falscher Adressen nicht anschreiben können, hatte der Gründungsausschuss der Pflegekammer mitgeteilt. Alle weiteren Probleme in dem Verfahren hätten behoben werden können.
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Scheitern der Pflegekammer laut SPD "persönlicher Supergau" für Lucha
SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl sieht in dem Scheitern der Kammer einen "persönlichen Supergau" für Lucha. "Kein anderes Projekt hat er so mit seinem Namen verbunden wie die Einführung der Pflegekammer. Er hat dafür geworben, bis an die Grenzen des Zulässigen", sagte Wahl. Nun habe sich gezeigt, dass die Pflege dem Minister nicht folge. "Das führt einen massiven Vertrauensverlust vor Augen, die der Sozialminister nach der Corona-Krise unter den Pflegebeschäftigten hat", sagte Wahl.
Der FDP-Abgeordnete Jochen Haußmann bot Lucha an, die Pflege auch nach der gescheiterten Pflegekammer weiter in den politischen Fokus zu nehmen. "Dafür stehen wir zur Verfügung", sagte Haußmann. Man habe bereits konkrete Vorschläge gemacht, die Pflege in Baden-Württemberg zu stärken.
ver.di fordert "jetzt echte Verbesserungen" der Arbeitsbedingungen
Die CDU nahm das mutmaßliche Scheitern der Kammer zur Kenntnis. "Für uns gilt, was wir im Hinblick auf die Pflegekammer immer gesagt haben: Wir sehen sie als Angebot an die Pflege, welches diese annehmen und selbstverständlich auch ablehnen kann, und wir werden jeglichen Ausgang des Registrierungsverfahrens respektieren", sagte der Sprecher der CDU-Fraktion für Pflegepolitik, Tim Bückner.
Es sei klug, auf die Beschäftigten zu hören, sagte der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Kai Burmeister. "Leider wollte die Landesregierung mit dem Kopf durch die Wand. So ist viel Zeit verloren gegangen", sagte Burmeister. Nun müsse man eine bessere Personalausstattung in der Pflege angehen.
ver.di Baden-Württemberg teilte mit, das vorläufige Ergebnis bestätige die Rückmeldungen, die die Gewerkschaft von Tausenden Pflegefachkräften in den vergangenen Wochen erhalten habe. "Der Versuch, die Pflegenden in eine Kammer zu zwingen, ist damit voraussichtlich gescheitert", so ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross. "Um das Vertrauen der Pflegepersonen in die Landespolitik wiederherzustellen, müssen jetzt echte Verbesserungen an den Arbeitsbedingungen herbeigeführt werden." Vorschläge dafür gebe es genug.
Pflegekammern in anderen Bundesländern teilweise wieder abgeschafft
Bundesweit gibt es Pflegekammern derzeit nur in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein waren Pflegekammern eingerichtet worden, sie wurden wegen mangelnder Akzeptanz der Pflegekräfte aber bereits wieder abgeschafft. Der Unmut über Pflichtmitgliedschaft, Zwangsbeiträge und zum Teil auch Management der Kammern in beiden Bundesländern war zu groß.
Der baden-württembergische Landtag hatte die Einrichtung der Pflegekammer mit einem im Mai 2023 verabschiedeten Gesetz beschlossen. Für den Aufbau stellte das Land 3,9 Millionen Euro bereit, mittelfristig sollte sich das Gremium durch die Pflichtbeiträge der Mitglieder selbst finanzieren.
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