Die Landesregierung in BW plant, dass alle Pflegefachkräfte Kammermitglieder werden müssen. Die Gewerkschaft ver.di ist dagegen - und gegen die Art, über die Gründung abzustimmen.
Ähnlich wie beispielsweise bei Architekten soll auch für baden-württembergische Pflegefachkräfte bald die Mitgliedschaft in einer Kammer zur Pflicht werden. Das plant die grün-schwarze Landesregierung. Gegründet wird die Kammer jedoch nur, wenn sie von einer Mehrheit der Pflegefachkräfte im Land gewollt ist. Erheben mehr als 40 Prozent der Pflegefachkräfte im Land bis zum 23. Februar Einwände gegen die Einrichtung der Kammer, kommt sie nicht. Derzeit können sie per Post oder online dagegen stimmen, dass eine solche Pflegekammer ins Leben gerufen wird.
Schweigen gilt als Zustimmung
Doch wenn sich die Pflegefachkräfte gar nicht äußern und nicht auf ein entsprechendes Schreiben reagieren, wird das automatisch als Zustimmung zur Pflegekammer gewertet, kritisiert die Gewerkschaft ver.di. "Wer 'ja' sagt, muss nichts machen, wer 'nein' sagt, muss begründet innerhalb von sechs Wochen Einwände vorbringen", bemängelt ver.di und hält das Verfahren für undemokratisch. Sollte eine baden-württembergische Pflegekammer ins Leben gerufen werden, wäre sie somit nicht ausreichend legitimiert, findet die Gewerkschaft, der die Gründung einer solchen Einrichtung grundsätzlich ein Dorn im Auge ist.
Sprachrohr für Berufsstand BW will verpflichtende Mitgliedschaft in Pflegekammer
Eine verpflichtende Kammermitgliedschaft für rund 110.000 Pflegekräfte in Baden-Württemberg - so sieht das ein Gesetzentwurf von Sozialminister Lucha (Grüne) vor. Daran gibt es Kritik.
Pflegekammer: Sprachrohr und Kontrollinstanz in einem
Die baden-württembergische Landesregierung verspricht sich von einer solchen Kammer unter anderem, dass sie den Pflegefachkräften eine Stimme geben könnte. Doch ver.di kritisiert, sie solle auch darüber wachen, dass die Pflegekräfte ihre beruflichen Pflichten einhalten. Sie soll also einerseits ein Sprachrohr der Pflegekräfte nach außen und gegenüber der Politik sein, aber andererseits auch eine Kontrollinstanz nach innen - die die Pflegekräfte über ihre Mitgliedsbeiträge auch noch selbst finanzieren sollen, kritisiert die Gewerkschaft.
Dabei komme Fehlverhalten von Pflegekräften ohnehin vor allem durch schlechte Arbeitsbedingungen zustande, argumentiert ver.di - doch um diese zu verändern, fehle es einer Pflegekammer an Einflussmöglichkeiten gegenüber Arbeitgebern und der Politik, die für die Rahmenbedingungen der Pflege letztlich zuständig seien.
Gewerkschaft kritisiert Pflichtmitgliedschaft
Durch eine Kammer und ihre Sanktionsmöglichkeiten müssten sich die Pflegekräfte künftig außerdem nach "zwei Herren" richten: Denn zu den Weisungen ihrer Arbeitgeber komme nun auch noch die Pflegekammer und ihre Berufsordnung dazu - aus Sicht von ver.di "doppelte Fremdbestimmung". Und statt einer Austrittsmöglichkeit aus der Kammer bleibe Pflegekräften als Alternative nur der Wechsel in einen anderen Beruf oder ein Umzug in andere Bundesländer ohne eine solche Kammer, so die Gewerkschaft.
Pflegesystem am Limit Landespflegekammer macht mobil gegen Leiharbeit
Die Landespflegekammer hat ein Positionspapier gegen Leiharbeit in der Pflege vorgelegt. Kammerpräsident Mai kritisierte zudem die Pflege-Reformpläne der Bundesregierung.
Pflegekammer in RLP ist für ver.di ein Negativbeispiel
Beispiele aus anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz zeigten ohnehin, dass eine Pflegekammer sinnlos sei, so ver.di. "Die Erfahrungen aus mittlerweile sieben Jahren zeigen: Die Pflegekräfte hatten davon bisher keine Vorteile. Die grundlegenden Probleme der Pflege - hohe Belastung, zu wenig Personal und vor allem in der Altenpflege eine unzureichende Bezahlung - bleiben ungelöst", urteilt die Gewerkschaft über die Pflegekammer aus dem benachbarten Bundesland.
Pflegekammer-Ausschuss: ver.di "schürt Ängste"
Der Gründungsausschuss für die Pflegekammer weist die Kritik von ver.di wiederum scharf zurück: Der derzeit laufende Abstimmungsprozess sei "hoch demokratisch" und die Entscheidung über eine baden-württembergische Pflegekammer liege in der Hand der Pflegefachkräfte, entgegnete der Ausschussvorsitzende Peter Bechtel. Die Gewerkschaft informiere hingegen "tendenziös", sie schüre Ängste und verbreite Fehlinformationen. Sie sei somit mit daran Schuld, dass die Pflegekammern in Schleswig-Holstein und Niedersachsen wieder aufgelöst worden seien.
Junge Pflege Südwest sieht Pflegekammer als Chance
Auch die Junge Pflege Südwest im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) kritisiert, die Gewerkschaft ver.di überschreite Grenzen mit ihrer Kritik an der geplanten Pflegekammer. Die Vertretung von jungen Pflegenden, Auszubildenden und Studierenden in der Pflege sieht eine Pflegekammer vielmehr als Chance, sich Gehör in der Politik zu verschaffen, endlich mitzureden und die allgemeine Pflegequalität zu steigern.
Die Freiburger Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Charlotte Marx hält eine Pflegekammer für "total relevant für die Berufsgruppe der Pflegenden wie auch für die ganze Gesellschaft", erklärte sie dem SWR.