Kretschmann sieht die Gründe für die schlechten PISA-Ergebnisse in einer "Änderung der Welt". Damit macht er es sich viel zu einfach, kommentiert SWR-Redakteur Henning Otte.
Und zack, die nächste Ohrfeige. Die neue PISA-Studie ist für Deutschland ein harter Schlag. So schwach waren die 15-Jährigen im Schnitt noch nie beim Lesen und Rechnen, seit es die internationale Vergleichsstudie gibt.
Auch für Baden-Württemberg ist das ein alarmierender Befund, denn - man muss daran erinnern - für die Schulen sind die Bundesländer zuständig. Und Baden-Württemberg sackt seit etwa 15 Jahren bei Schulstudien regelmäßig ab. Corona hat die Lage noch einmal verschärft.
Deutsche Schüler schlechter denn je GEW kritisiert Bildungspolitik in BW nach PISA-Studie
Deutschland schneidet in der PISA-Studie so schlecht ab wie noch nie. Die GEW fordert die Landesregierung in BW auf zu handeln, die sieht sich aber auf dem richtigen Kurs.
Kretschmann hat die Ergebnisse eher schulterzuckend kommentiert
Der frühere Lehrer Winfried Kretschmann hat die Ergebnisse heute eher schulterzuckend kommentiert. Die schlechten Leistungen der Schülerinnen und Schüler hingen mit der "Änderung der Welt" zusammen. Ganz genau kenne er die Gründe aber auch nicht.
Es liege wohl am Bildungs- und Leistungswillen, mutmaßt er. Man könne die Eltern nicht zwingen, den Kindern vorzulesen. Und überhaupt dürfe man nicht alles bei ihm abladen. Schließlich gehe das ja allen Ländern ähnlich.
Im Bereich Bildung hat das Land echte eigene Gestaltungsmöglichkeiten
Ich finde, da macht es sich Kretschmann viel zu einfach. Nicht nur weil Bayern und Sachsen anders als Baden-Württemberg weiter Spitzenreiter bei den Schultests sind. Der Grüne ist jetzt seit über zwölf Jahren Regierungschef in Baden-Württemberg. Chefsache war Bildung bei ihm aber nie. Dabei ist diese der einzige Rohstoff, den das Land hat. Und Bildung ist der Bereich, in dem das Land echte eigene Gestaltungsmöglichkeiten hat.
Aber es ist und bleibt Kretschmanns Achillesferse. Die Schulen sind seit Jahren von großem Lehrermangel und Unterrichtsausfall gebeutelt. Viele Schulgebäude sind veraltet oder marode, es fehlt Platz. Kinder mit Migrationshintergrund werden nicht genügend gefördert und integriert, bei der Schulsozialarbeit hinkt Baden-Württemberg hinterher. Die digitalen Defizite sind riesig.
Stillstand-Konzept war schon 2021 ein Fehler
Als der Ministerpräsident seine grüne Parteifreundin Theresa Schopper vor zwei Jahren zur Kultusministerin machte, gab er ihr mit auf den Weg, sie solle - wenn möglich - Ruhe reinbringen in den Bildungsbereich. Schließlich hatten sich Grüne und CDU in die Hand versprochen, nicht an den Schulstrukturen zu rühren.
Dieses Stillstand-Konzept war schon 2021 ein Fehler. Doch spätestens seit der Corona-Krise und der Ankunft zehntausender geflüchteter Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine ist es mit der Ruhe endgültig vorbei. Die Welt hat sich in der Tat geändert.
Strategiedialog: zu gefühlt allem, nur bei der Bildung nicht
Und die Schulwelt mit ihr. Nur die Politik in BW reagiert nicht schnell genug und investiert zu wenig. Zu gefühlt allem und jedem hat Kretschmann einen Strategiedialog eingerichtet - um die Probleme in den Griff zu bekommen. Nur bei der Bildung nicht.
Sein Vor-Vorgänger Günther Oettinger von der CDU hat einst das Kinderland Baden-Württemberg ausgerufen und damit zur Aufholjagd bei den Kitaplätzen geblasen. Mit Erfolg. Ich meine, es ist höchste Zeit, dass Kretschmann aus der PR-Kampagne "The Länd" ein echtes politisches Zukunftsprojekt macht: Wie wäre es mit "The Kinder Länd"?