Die geplante Schließung von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg sorgt für Aufregung. Rund 90.000 Patienten wären betroffen, so das Gesundheitsministerium auf SPD-Anfrage.
Die Diskussionen um die geplante Schließung von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg halten an. Davon betroffen wären rund 90.000 Patientinnen und Patienten. Das geht aus der Antwort des Gesundheitsministeriums auf Anfragen der SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag hervor, die dem SWR vorliegen.
Anfragen zu fast allen Notfallpraxen
Die SPD-Fraktion hat Daten und Fakten zu 16 der 18 Notfallpraxen abgefragt, die auf der Schließungsliste stehen. Dort sind im vergangenen Jahr insgesamt 86.000 Menschen behandelt worden. Davon allein 15.000 Patientinnen und Patienten in Backnang (Rems-Murr-Kreis), wo vor zehn Jahren das Kreiskrankenhaus geschlossen wurde. Auffallend auch: die meisten Notfallpraxen haben gegenüber dem Vorjahr steigende Patientenzahlen. Nagold (Kreis Calw) beispielsweise plus 14 Prozent, Münsingen (Kreis Reutlingen) plus 12 Prozent oder Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) plus 10 Prozent.
Das Gesundheitsministerium Baden-Württemberg verweist in seiner Antwort auf die Argumentation der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), wonach der ärztliche Bereitschaftsdienst neu strukturiert werden müsse, weil knapp 1.000 Hausarztsitze nicht besetzt seien. Wenn in den nächsten Wochen das Strukturkonzept vorliege, würden noch digitale Angebote, der Ausbau der Fahrdienste oder Patientensteuerung am Telefon geprüft, teilte das Ministerium auf SWR-Anfrage mit.
Städtetag will Schließung der Notfallpraxen stoppen
Aus Sicht des Städtetags muss die geplante Schließung der Notfallpraxen vorerst gestoppt werden. "Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie die beabsichtigten Entlastungen für die Niedergelassenen an der richtigen Stelle und in der richtigen Reihenfolge stattfinden können", appellierte der Präsident des Städtetags, der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup, an die KVBW.
Für die Schließung funktionierender Standorte sei es definitiv zu früh, solange nicht überzeugend dargestellt werden könne, dass das neue Konzept aufgehe, so Mentrup. "Das würde sofort und ungebremst in die falsche Richtung steuern und die Notaufnahmen der Kliniken und die Hausarztpraxen vor Ort noch zusätzlich belasten." Er forderte die Aussetzung der geplanten Schließungen und gemeinsame Gespräche mit den Betroffenen vor Ort.
Kretschmann mit Kritik am Begriff der "Notfallpraxen"
Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) sprach sich indes erneut für die Reform aus: Die "ganze ambulante Ärzteschaft" habe ihm bei persönlichen Gesprächen versichert, dass die Strukturreform des Bereitschaftsdienstes kommen müsse. "Für echte Notfälle sind die Notfallambulanzen zuständig", so Lucha. "Für echte Notfälle gehen sie ins Krankenhaus." Bei den sogenannten Notfallpraxen, so stellte Lucha klar, handele es sich dagegen um Bereitschaftsdienstangebote. Die nutze man aus seiner Sicht mit Beschwerden, mit denen man normalweise zum Hausarzt gehe. Dies werde künftig durch den Ausbau telemedizinischer Angebote auch noch einmal deutlicher beraten, so Lucha weiter.
Der Grünen-Politiker verwies darauf, dass die verbleibenden Praxen zu größeren Einheiten verschmolzen werden. Die Pläne sehen vor, dass künftig jeder Stadt- und Landkreis mindestens eine Notfallpraxis haben soll. Außerdem sollen die Praxen für alle Menschen in Baden-Württemberg innerhalb von 30 bis 40 Minuten Fahrzeit erreichbar sein. Lucha sprach am Dienstag von einer effizienteren Ausstattung, damit man die Ressourcen besser bündeln könne. Die Kassenärztliche Vereinigung (KVBW) lege hierzu Erhebungszahlen mit Patientenströmen vor, auf die reagiert werde, so Lucha. Er betonte: "Ich gehe am Ende sogar davon aus, dass es eine qualitative Verbesserung der Versorgung gibt."
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte indes die Bezeichnung der Notfallpraxen. Dass diese, wie Lucha betonte, eigentlich "Bereitschaftsdienstpraxen" heißen, sei keine Wortklauberei, so der 76-Jährige. In den Praxen werden in der Regel aber keine Notfälle behandelt, so Kretschmann, "es sei denn, man betrachtet jede Krankheit schon als Notfall. Das ist aber nicht der Fall, sonst entsteht bei der Bevölkerung ein falscher Eindruck, nämlich dass sie in Notfällen nicht das haben, was man braucht".
Anhaltende Kritik an geplanter Schließung von Notfallpraxen
Die von der KVBW geplante Schließung von 18 Notfallpraxen soll im April 2025 beginnen und schrittweise vollzogen werden. Kritik daran kommt unter anderem von Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag. Gesundheitspolitikerinnen und -politiker mehrerer Fraktionen kritisieren, dass die Zahl der zu schließenden Notarztpraxen zu hoch gegriffen sei. Angesichts der bisherigen Schließungen und der 18 weiteren Standorte, die wegfallen sollen, sprechen manche in der Opposition von einem Kahlschlag im System der Versorgung.
Auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund ist dagegen. Sie befürchtet, dass viele Patientinnen und Patienten nicht weitere Wege auf sich nähmen, sondern stattdessen in die Ambulanz des nächsten Krankenhauses gehen. Dann drohe dort eine Überforderung.
Hunderte Menschen protestieren gegen Schließungspläne
Gegen die Schließungspläne der KVBW hatte sich breiter Protest formiert - Ärzte, Landräte, Bürgermeister und Landtagsabgeordnete sind dabei. Hunderte Menschen demonstrierten unter anderem vor dem Gebäude der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart gegen das Vorhaben.
Als Grund für die geplante Schließung von 18 Notfallpraxen nannte die KVBW den Personalmangel unter niedergelassenen Ärzten. Man habe schlicht und einfach ein Personalproblem, sagte Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der KVBW. Wenn man die Versorgung im Land verantwortungsvoll aufrechterhalten wolle, müsse man sich auf die Regelversorgung fokussieren, also auf die normalen Praxen. "Wenn wir den Bereitschaftsdienst nicht anpassen, dann fahren wir die Regelversorgung im Land an die Wand. Das ist nun mal die Realität", so Braun.
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