Die Hoffnungen sind groß, die Erfolge ermutigend. Das neue Zentrum für Gen- und Zelltherapie in Heidelberg verspricht einen Riesensprung bei der Heilung schwerer Krankheiten.
In Heidelberg ist ein neues Zentrum für Gen- und Zelltherapie gegründet worden. Es ist zunächst ein Arbeitsverbund. Ein eigenes Gebäude ist noch Zukunftsmusik.
Was bedeutet Zelltherapie?
Die Praxis dagegen ist schon längst Gegenwart. Die Verfahren basieren bei der Zelltherapie auf mittlerweile gut eingeübten Techniken wie der Stammzell-Transplantation, zum Beispiel im Kampf gegen Leukämie. Die entnommenen Zellen werden gentechnisch verändert. Vor allem Patienten mit aggressivem Lymphdrüsenkrebs und bestimmten Formen von Leukämie bietet diese Therapie Hoffnung.
Was bedeutet Gentherapie?
Die reine Gentherapie basiert auf Medikamenten, die das Erbgut reparieren sollen. Dabei wird über ein modifiziertes Virus eine intakte Kopie des defekten Gens in den Blutkreislauf eingeschleust. Das bekannteste Medikament ist Zolgensma. Es wird gegen Spinale Muskelatrophie (SMA) bei Neugeborenen eingesetzt.
Gen- und Zelltherapie: Neue Arzneimittel heißen ATMP
Beide neue Arzneimittelgruppen der Gen- und Zelltherapie werden in Europa unter dem Namen ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products) zusammengefasst. ATMP können Krankheiten heilen, für die es bisher keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gibt. Experten zufolge sind sie in der Wirkung bahnbrechend und sollen Hoffnungslosen Hoffnung machen.
Vier Krankheiten im Fokus
Zurzeit werden vier schwere Erkrankungen mit ATMP bekämpft: Mit der Zelltherapie bösartige Erkrankungen des Lymphsystems wie Lymphdrüsenkrebs. Mit der reinen Gentherapie die Spinale Muskelatrophie (SMA), schwere kombinierte Immundefekte und die Leukodystrophie, bei der das Fehlen eines Enzyms schwere Behinderungen hervorruft. Vor allem Säuglinge und Kinder werden mit der Gentherapie behandelt.
Uniklinikum Heidelberg: Junge wurde erfolgreich geheilt
Es gibt ein wunderbares Beispiel für erfolgreiche Heilung bei Kindern. Das Uniklinikum Heidelberg hat die Geschichte des kleinen Elias veröffentlicht, der mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) zur Welt kam. Die Eltern Martin und Jessica Wehr erfuhren davon wenige Wochen nach der Geburt, durch das neu eingeführte Neugeborenen-Screening auf Gendefekte. Es war ein schockierender Anruf.
Dann ging es um Stunden. Die Eltern mussten mit dem Kleinen sofort in die Klinik. Elias hatte Glück, das Medikament erreichte den kleinen Körper rechtzeitig, er hat Chancen auf ein normales Leben, sollte sich der Umbau der Gene als dauerhaft erweisen. So sieht es zurzeit aus.
Wie die Zelltherapie funktioniert
Die Zelltherapie wird bereits heute bei Erwachsenen angewendet. Die Medizinische Klinik am Heidelberger Uniklinikum ist eines der größten und erfolgreichsten Zentren in Deutschland, wenn es darum geht, Stammzellen in der Regel aus dem Blut zu entnehmen, einzufrieren, im Labor zu verändern und nach einer Chemotherapie wieder zurückzuführen.
Neue Form der Immuntherapie mit CAR-T-Zellen
Das Verfahren ist also gut eingeübt, die entnommenen Zellen sind im Fall der Zelltherapie aber Lymphozyten aus dem Immunsystem des Körpers. Sie werden gentechnisch verändert und bekommen einen speziellen Rezeptor, der Krebszellen erkennt. Er ist wie ein kleiner Greifarm, mit dem die Zellen an Krebszellen andocken und sie vernichten. Diese veränderten Lymphozyten heißen CAR-T-Zellen (Chimäre Antigen-Rezeptor-Zellen).
40 Patientinnen und Patienten im Uniklinikum mit CAR-T-Zellen behandelt
Am Uniklinikum Heidelberg werden schon 40 Patienten mit CAR-T-Zellen behandelt. Längst hat sich die neue Waffe gegen Krebs herumgesprochen, die eine Form der Immuntherapie ist. Das eröffnet Perspektiven für viele Betroffene. Eine Google-Suche zeigt rasch, dass viele Menschen im Internet fragen: "CAR-T-Zellen - für welche Krebsarten?"
Individuell aufwändig hergestellt
CAR-T-Zellen werden individuell aus dem Blut der Patienten hergestellt, und zwar in der Klinik selbst, in den Reinräumen des GMP-Labors an der Medizinischen Klinik in Heidelberg. GMP steht dabei für "Good Manufactoring Practice".
Das Verfahren ist so aufwändig, dass bislang nur wenige Patienten behandelt werden können - es sollen bald mehr werden, betont einer der Sprecher des neuen Gen- und Zelltherapie-Zentrums, Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow.
Gentherapeutika reparieren Gene
Gentherapeutika wie Zolgensma haben einen anderen Ansatz. Sie bestehen aus Nukleinsäuren, die in den Körper eingeschleust werden und defekte oder falsch funktionierende Gene ersetzen, reparieren oder entfernen, wie bei der Spinalen Muskelatrophie (SMA). Das Problem: Die Behandlung ist extrem teuer, weil die Pharmaunternehmen sich beim Preis an langfristigen Therapien orientieren. Zolgensma war eine Zeitlang das teuerste Arzneimittel der Welt. Seit Oktober2022 beträgt der Preis für Zolgensma 1.395.000 Euro.
Doch eine Spritze kann entscheidend sein. Die Krankheit wird im besten Fall gestoppt, weil defekte Gene ersetzt wurden.
Gentherapie zurzeit vor allem bei Säuglingen und Kindern
Die Gentherapie bekämpft mit weiteren ähnlichen Medikamenten andere schwere Krankheiten bei Neugeborenen und Kindern:
Kombinierter Immundefekt
Beim schweren kombinierten Immundefekt fehlt Neugeborenen wegen eines Gendefekts ein Enzym - sie haben keine Abwehrkräfte gegen Viren und Bakterien und sterben meist innerhalb der ersten beiden Jahre. Der Gendefekt wird durch die Gentherapeutika repariert, damit der Körper das fehlende Enzym produziert. Die Kinder können im Erfolgsfall ein intaktes Immunsystem aufbauen und sind vor Viren und Bakterien geschützt.
Leukodystrophie
Leukodystrophie ist eine erbliche Stoffwechselkrankheit und war bislang nicht behandelbar. Bei der Leukodystrophie führt der Mangel eines bestimmten Enzyms zu schwerer geistiger und körperlicher Behinderung. Die Gentherapie kann die Gene in der DNA reparieren und so den Enzymmangel ausgleichen.
Das Uniklinikum Heidelberg (UKHD), das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) verbinden mit der Gründung des Gen- und Zelltherapie-Zentrums ihre Fähigkeiten. Am Uniklinikum läuft zurzeit ein Projekt für den Einsatz der Genschere CRISP-CAS9, mit der Gene maßgerecht geschneidert werden können.
In Deutschland soll ein Netzwerk für die Gen- und Zelltherapie entstehen. Die Charité in Berlin ist dabei, dort ist auch ein Zentrum wie in Heidelberg in Gründung. Die Unikliniken in Dresden, Erlangen, Essen, Frankfurt und Hamburg-Eppendorf (UKE) sowie Tübingen und das LMU-Klinikum München sollen sich in dem Netzwerk engmaschig austauschen.
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